FCB: Problemlos zum Meistertitel?
16. August 2017Wohl selten zuvor war man beim FC Bayern so glücklich, dass vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison mit dem Super-Cup und der ersten Runde im DFB-Pokal noch zwei lästige Pflichtaufgaben auf dem Programm standen. Denn erst seit sich die Münchener im Elfmeterschießen gegen Dortmund und mit 5:0 gegen chancenlose Chemnitzer durchgesetzt haben, herrscht beim Titelverteidiger wieder ein wenig mehr Ruhe. Zuvor war - aufgrund miserabler Testspiel-Ergebnisse - Krisenstimmung angesagt. Und erstmals gab es offene Kritik am Trainer. Zwar scheint zum Auftakt gegen Bayer 04 Leverkusen am Freitag (Start der neuen Bundesliga-Saison) die Stimmung wieder im Lot, doch einige potentielle Brandherde schwelen im Untergrund weiter und könnte im Laufe der Saison noch zum Problem für Ancelotti werden.
1. Überangebot im Mittelfeld
Die Bayern haben den besten Kader der Liga, allerdings tummeln sich in ihren Reihen so viele Topspieler, dass nicht für alle regelmäßig Platz in der Startelf sein wird. Top-Transfer Corentin Tolisso soll in der defensiven Zentrale oder etwas vorgerückt als "Achter" spielen. Auch Sebastian Rudy beansprucht einen Platz als einer der beiden "Sechser" vor der Abwehr. Arturo Vidal und Joshua Kimmich wollen ebenfalls dort spielen. Offensiv streiten sich Thiago, James Rodriguez und Thomas Müller um die Rolle als zentraler Spieler. Auch Renato Sanches - so er denn in München bleibt - käme in Frage.
"Natürlich gibt es Konkurrenzkampf, aber das ist normal in einem großen Team. Das ist doch der Treibstoff, die Energie, die Motivation für eine Mannschaft", gab sich Ancelotti gelassen. Es sei doch "kein Problem, wenn auch mal einer draußen sitzt", fügte er an. Fraglich ist nur, ob die ehrgeizigen Stars das genauso sehen wie ihr Trainer.
2. Kein Back-up für Lewandowski
Was macht Ancelotti, wenn sein einziger Stoßstümer verletzt ausfällt? Eine Patentlösung gibt es nicht, weil sich im Kader kein zweiter klassischer Mittelstürmer findet. "Robert macht pro Jahr 90 bis 95 Prozent aller Spiele", beschwichtigte Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Wenn er dann mal zwei, drei Spiele nicht zur Verfügung stehe, sei das nicht weiter problematisch. Diese Rechnung geht allerdings nur dann auf, wenn Lewandowski auch weiterhin von schweren Verletzungen verschont bleibt. Erster Ersatzmann wäre Müller, dem in der vergangenen Saison jedoch das Abschluss-Pech an den Stiefeln klebte. Wie wichtig Lewandowski ist - nicht nur wegen seiner vielen Tore - zeigte das verlorene Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid, als der Pole im Hinspiel angeschlagen fehlte und Müller ihn nicht ersetzen konnte. Möglicherweise wäre James - 2014 immerhin Müllers Nachfolger als WM-Torschützenkönig - eine Alternative. So oder so, es bleibt ein schmaler Grat.
3. Kaum Entwicklung von Talenten
Der FC Bayern will künftig wieder mehr Spieler aus der eigenen Jugend in den Profikader eingliedern. Im neuen FC Bayern Campus sollen die Stars von Morgen ausgebildet werden, damit wieder mehr eigene Talente den Sprung ins Profiteam schaffen. "Wir tun alles dafür, dass wir in Zukunft hier erfolgreicher sind. Wir müssen besser sein als die anderen, und wie wir das schaffen, werden wir sehen", sagte Präsident Uli Hoeneß, dem die früher vorhandene "Mia-san-mia"-Mentalität im Team fehlt. Nicht umsonst hat er das Projekt in die Hände von Hermann Gerland gelegt, einem Bayern-Urgestein.
Allerdings hat Hoeneß für die Umsetzung der neuen Philosophie momentan noch den falschen Trainer. Ancelotti entwickelt keine jungen Talente, sondern vertraut lieber fertigen Spielern. Entsprechend fiel seine Wahl auf dem Transfermarkt auf Ex-Spieler James. Inwieweit der Kolumbianer Hoeneß' Wunsch nach mehr "Mia-san-mia" erfüllen kann, erschließt sich nicht. Dennoch zog Ancelotti den bei Real Madrid gescheiterten Offensivspieler den bereits vorhandenen Talenten vor. Viele Bayern-Insider störte deren Nichtberücksichtigung schon in der vergangenen Saison. "Er hatte letztes Jahr mit Kingsley Coman, Joshua Kimmich und Renato Sanches drei der besten jungen Spieler Europas im Kader", sagte beispielsweise Ex-Bayern-Spieler Dietmar Hamann. "Keines der Talente hat sich so entwickelt, wie es der Verein erwartet hat."
Auch deswegen hängt der Erfolg des FC Bayern in entscheidenden Spielen nach wie vor von der 33 und 34 Jahre alten "Senioren-Flügelzange" Arjen Robben und Franck Ribéry ab. Die beiden Routiniers hätten es in anderen europäischen Spitzenklubs wohl nicht so leicht, sich gegen die jüngere Konkurrenz durchzusetzen.
4. Mehr Kontrolle von oben
Neben den Spielereinkäufen gab es in diesem Sommer auch im Funktionsteam des FC Bayern zwei interessante Neuzugänge: Willy Sagnol, von 2000 bis 2009 Bayern-Profi und seitdem enger Vertrauter des Bayern-Präsidenten, ist Ancelottis neuer Assistenztrainer. Im Mai hatte Sagnol seinen jetzigen Chef noch hart kritisiert. "Welche Kultur hat dieser Verein, welche Identität?", fragte der Franzose damals im "Kicker" und ergänzte: "Guardiola setzte drei Jahre die jungen Spieler immer wieder ein, Ancelotti setzt nur auf die erfahrenen Profis. Da fehlt die Kontinuität."
Zudem vermisste der Franzose bei den Münchenern eine klare Philosophie. Dies sei "ein Grund dafür, dass die Bundesliga international nicht mehr die Hauptrolle spielt". Auch der neue Sportdirektor Hasan Salihamidzic ist ein Mann mit Bayern-Stallgeruch, der in erster Linie Hoeneß und Rummenigge zuarbeiten soll. Nachdem sie ihn im vergangen Jahr weitestgehend gewähren ließ, zieht die Vereinsführung den Kreis der Beobachtungsposten um Ancelotti nun also enger.
5. Kein Platz für Verlierer
Grund hierfür ist die Zielvorgabe der Klubführung, nach 2013 wieder die Champions League zu gewinnen. Schon Pep Guardiola hatte man deswegen verpflichtet. Dreimal hintereinander scheiterte der Katalane im Halbfinale. Unter Ancelotti sollte das besser werden, doch es gab einen Rückschritt. Das Aus kam schon im Viertelfinale. Dieses Jahr muss der Italiener sein Team ins Endspiel führen - so die Erwartungshaltung in München. Dass man nebenher auch noch die deutsche Meisterschaft gewinnt - die sechste in Folge - wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Sollte der Bayern-Motor auf dem Weg dorthin zu stottern beginnen, dürfte es mit der Geduld der Vereinsbosse wohl nicht sehr weit her sein. Ancelotti muss liefern. Der Italiener geht in ein schweres zweites Bayern-Jahr - und vielleicht auch in sein letztes.