Schwierige Regierungsbildung in Afghanistan
10. März 2006"Diese Regierung hat kein Konzept, um die Aufbauprojekte durchzuführen", sagt ein Mann in Kabul. Ein anderer meint: "Nach vier Jahren können die Ministerien immer noch nicht ihre Pflichten erfüllen." Die Stimmung im Land ist schlecht. Die afghanische Regierung bekommt nirgends gute Noten. Die Wirtschaft tritt auf der Stelle, die Sicherheitslage verschlechtert sich zusehends, die Korruption nimmt ständig zu. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst von Tag zu Tag und nährt den Unmut der Massen. Ihre einzige Hoffnung: bald muss der Präsident eine neue Regierung zusammenstellen. Eine Regierung, die vom Parlament bestätigt werden müsste. Daher verlangen sie von ihrem Präsidenten eine komplett neue Mannschaft.
Kleinster gemeinsamer Nenner
Doch das ist leichter gesagt als getan. Präsident Hamid Karsai muss eine Regierung zusammenstellen, die den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellt. So musste er schon in den vergangenen vier Jahren verfahren, sagt die Parlamentsabgeordnete Shokria Barekzai. Illusionslos stellt sie fest: "Präsident Karsai ist es in den letzten vier Jahren nicht gelungen, eine tüchtige Mannschaft zusammenzustellen, und es wird ihm bei dieser Zusammensetzung des Parlaments auch für die Zukunft nicht gelingen."
Die Abgeordnete aus Kabul glaubt nicht, dass die politischen Spielräume für Präsident Karsai größer geworden sind. Immer noch müssten bei der Regierungsbildung die Interessen der politischen Kräfte im Land, meist der regionalen Stammesfürsten, berücksichtigt werden. Jetzt noch viel mehr, weil eine Reihe von ihnen im Parlament sitzt. Karsai ist zum Teil auf ihre Stimmen angewiesen. Er muss Kriegsherrn wie Sayyaf oder Rabani politisch bestechen und mindestens je einen Minister ihrer Wahl in seine Regierung aufnehmen.
Mehr Tradition, weniger demokratische Freiheiten
Karsai setzt langfristig auf die Traditionalisten im Parlament, die er noch nicht ganz für sich gewinnen konnte. Ihre Forderungen nach mehr Tradition und Reduzierung der demokratischen Freiheiten schmecken Karsai nicht ganz. Doch er hofft auf einen Kompromiss und will sich diesen Kräften als unverzichtbarer Machtpartner anbieten. Ob das gelingen wird, wird die Zukunft zeigen. Zurzeit sieht es nicht danach aus.
Die Abgeordneten haben mehrheitlich gegen den Wunsch von Karsai beschlossen, nicht über die Regierung insgesamt, sondern über jeden Minister einzeln abzustimmen. Aus purem politischen Kalkül, meint die Politikerin Barekzai: "Sie wollen dadurch die Regierung mehr unter Druck setzen und ihre eigenen Kandidaten in die Exekutive einbringen."
Finanziell und militärisch abhängig
Karsai hat, selbst wenn er wollte, keine andere Wahl als dieses Spiel mitzumachen. Er ist, wenn auch vom Volk gewählt, politisch zu schwach, um den Warlords Paroli zu bieten. Er braucht sie und ihre privaten Armeen im Kampf gegen die Taliban. Außerdem ist sein Staat finanziell und militärisch von den Geberländern, vor allem den Amerikanern abhängig. Es verwundert also nicht, dass viele seiner jetzigen Minister aus dem amerikanischen Exil kommen. Der Finanzminister zum Beispiel oder der zurückgetretene Innenminister.
Dazu müssen Nachbarstaaten wie Pakistan, Iran und nicht zuletzt Russland berücksichtigt werden. Sie haben alle jahrelange Stellvertreterkriege in Afghanistan geführt und verfügen über ihre eigenen Schützlinge im Land. Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf zum Beispiel bemängelte lange Zeit, die Paschtunen seien in der Regierung nicht angemessen vertreten. Dieser Umstand wurde korrigiert. Auf der anderen Seite sitzen ehemalige Moskau-treue Personen ebenso in der Regierung wie die einst vom Iran unterstützten Kräfte.
Das offizielle Kabul schweigt
Präsident Karsai werde in den nächsten Tagen seine neue Mannschaft dem Parlament vorstellen, lautet es inoffiziell aus Regierungskreisen; das offizielle Kabul schweigt zu diesem Thema gänzlich. Bis dahin geht die Suche aber weiter. Immer noch steht nicht fest, wie viele der 26 Ministerien gestrichen werden sollen. Ferner sei noch offen, ob neben dem paschtunischen Verteidigungsminister ein Tadschike als Innenminister ernannt werden solle oder ein weiterer Paschtune. Eines aber stehe auf Wunsch der Europäischen Union fest: zwei Ministerposten für Frauen. Doch welche religiöse Minderheiten und welche Volksgruppe sie vertreten werden, könne noch nicht gesagt werden.