Homophobie auf dem westlichen Balkan
7. Oktober 2011Eine der ersten Homosexuellenparaden auf dem Westbalkan fand 2002 in der kroatischen Hauptstadt Zagreb statt. Dabei kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf die Teilnehmer. Polizeiaufnahmen zeigen: 32 Menschen wurden angegriffen und verletzt. Zwar wurden 27 Personen festgenommen, aber sie wurden bis heute nicht verurteilt. Nun sind seit dem ersten Christopher-Street-Day (CSD) in Zagreb fast zehn Jahre vergangen. Und - auf seinem Weg in die EU - hat sich Kroatien bemüht, viel für die Menschenrechte und gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten zu tun.
Einige Fortschritte in Kroatien
"Die kroatische Regierung, die schon seit acht Jahren regiert, hat verstanden, dass ohne die Achtung der Menschenrechte, ein sehr wichtiges Kapitel in den EU-Verhandlungen nicht abgeschlossen werden kann. Das ist Kapitel 23, das die Grundrechte deckt", sagt Marko Jurčić, einer der Organisatoren des CSD in Zagreb. So wurden Anti-Diskriminierungsgesetze beschlossen und das Strafrecht erweitert. Diskriminierung jeglicher Art, auch wegen der sexuellen Orientierung, steht inzwischen unter Strafe. Die Homophobie sei trotzdem noch präsent, sagt Schwulenaktivist Jurčić.
Umfragen zeigen, dass über 60 Prozent der kroatischen Bürger gegen die öffentliche Versammlung von sexuellen Minderheiten sind. Dennoch würde mittlerweile kaum einer offen diese Meinung vertreten, meint der CSD-Organisator: "Es scheint vielmehr, dass es Einzelpersonen und kleine, rechtsextreme Gruppen sind, die die Parade nutzen, um sich Gehör zu verschaffen."
In Kroatien würden dennoch etwa die Hälfte der Menschen, die nicht heterosexuell veranlagt sind, über verschiedene Formen von Diskriminierung klagen. Die meisten von ihnen leiden unter Beschimpfungen und müssen berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Immer wieder würden Schwule und Lesben auch Opfer von brutaler Gewalt. Mit Veranstaltungen wie die Homosexuellenparaden wollen die Aktivisten aber nicht die Öffentlichkeit aufklären oder für das Problem sensibilisieren, meint Jurčić. Die Paraden seien vielmehr eine Form des Protests gegen ein System, indem sich die Menschen, die nicht zur Mehrheit gehören, nicht gleichberechtigt fühlen. In Zagreb gebe es von Jahr zu Jahr immer mehr Teilnehmer der CSD-Parade, so der Aktivist.
Homophobie und Gewalt
Besonders beunruhigend erscheint jedoch die Gewaltbereitschaft gegenüber Schwulen und Lesben, vor allem in Serbien. Laut Umfragen kommen homophobe Einstellungen dort am häufigsten bei jungen Menschen zwischen 15 und 18 Jahren vor: Viele Befragten gaben sogar zu, schon einmal jemanden wegen dessen sexueller Orientierung angegriffen zu haben oder jemanden zu kennen, der das getan hat.
Diese Gewaltbereitschaft entlud sich während der Gay Pride Parade in Belgrad 2010 - trotz eines massiven Polizeiaufgebots: Rund 5000 Polizisten hatten die Parade begleitet, um die etwa 1000 Teilnehmer vor Übergriffen zu schützen. Dennoch gab es Verletzte: 20 Zivilisten und 147 Polizisten. Dieses Jahr wurde die für Anfang Oktober geplante Parade abgesagt. Grund dafür sei das zu hohe Sicherheitsrisiko, erklärte der serbische Innenminister Ivan Dacic. Denn bereits im Vorfeld hätten rechtsradikale Organisationen angekündigt, während der Parade Schwule und Lesben angreifen zu wollen, so Dacic. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete das Verbot der Parade als Rückschritt für die Menschenrechte in dem Land.
Auch im Alltag seien Homosexuelle körperlicher Gewalt ausgesetzt, sagt Goran Miletic, Mitglied des Organisationskomitees der CSD-Parade in Belgrad. "Kleine Gruppen stellen sich vor Schwulenklubs und greifen dann die Besucher an." Oder noch schlimmer: Die Ermordung von Merlinka und Suzana, zwei berühmten Transsexuellen, die in ihren Wohnungen tot aufgefunden wurden, erzählt Miletic.
Die Justiz unternehme wenig, um Schwule und Lesben vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen, denn die Strafen, die die Gerichte in solchen Fällen verhängen, seien unzureichend, glaubt der Schwulenaktivist: "Wegen Morddrohungen im Internet hat ein Mann nur eine Verwarnung bekommen. Das finde ich mehr als skandalös. Oder ein anderes Beispiel. Ein junger Mann, der Drohungen per SMS verschickte, musste am Ende nur eine Geldstrafe von 100 Euro bezahlen."
Nicht nur in Serbien und Kroatien
Ähnlich ist das Schicksal der Homosexuellen in Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Mazedonien. In der Öffentlichkeit sind Schwule und Lesben kaum sichtbar und sie genießen nur eine geringe politische Unterstützung. In Mazedonien haben Politiker Verfassungsänderungen angekündigt, um die Homosexuellen-Ehe ausdrücklich zu verbieten. Laut einer Umfrage seien über 80 Prozent der Bürger gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, berichtete eine mazedonische Tageszeitung. Derselben Umfrage zufolge glaubten gleichzeitig fast zwei Drittel der Menschen, dass Schwulen und Lesben in Mazedonien diskriminiert werden.
Über die Diskriminierung sexueller Minderheiten in Bosnien und Herzegowina gibt es nur wenige Informationen. Tatsache ist, dass Organisationen, die sich jahrelang für die Rechte der Schwulen und Lesben engagiert haben, nicht mehr aktiv sind. Es gab den Versuch, ein Sarajevo Queer Festival 2008 zu organisieren. Auch dabei gab es am Ende gewaltsame Übergriffe, acht Menschen wurden verletzt. Die Angreifer waren islamische Fundamentalisten.
Über eine CSD-Parade in Montenegro wurde in diesem Jahr zum ersten Mal diskutiert. Sie war für den 31. Mai geplant, wurde dann aber von den Veranstaltern wegen des großen Sicherheitsrisikos für die Teilnehmer abgesagt.
Autor: Jakov Leon
Redakteur: Blagorodna Grigorova