"Große Kluft zwischen USA und EU"
24. Oktober 2013Deutsche Welle: Dem US-Geheimdienst wird vorgeworfen, Angela Merkels Handy abgehört zu haben. Wie groß ist der Schaden für die Beziehungen zwischen Berlin und Washington?
Ben Scott: Wenn es sich bestätigen sollte, dass die NSA das Handy von Merkel abgehört hat, dann ist das schon ein sehr ernstzunehmendes politisches Problem. Und es zeigt den Unterschied zwischen den US-amerikanischen und den europäischen Erwartungen hinsichtlich dessen, was im Bezug auf Nachrichtendienste und Überwachungen im Ausland angemessen ist.
Waren Sie überrascht, als Sie von der Telefonüberwachung Merkels gehört haben?
Oh ja - ziemlich überrascht. Das Handy eines Regierungschefs abzuhören ist schon eine Entscheidung, die man nicht leichtfertig trifft und die schwere Folgen haben kann.
Wie wird Deutschland reagieren und wie denken Sie sollte Deutschland reagieren?
Wir haben schon gesehen, dass die erste Reaktion große Empörung und die Forderung nach Aufklärung auf höchster Ebene war. Aber ich denke, dass die wichtigste mittelfristige Folge nicht nur die Forderung sein wird, nicht mehr das Handy der Kanzlerin auszuspionieren, sondern dass es eine Verständigung zwischen den Regierungen geben muss, so dass wir zu einer politischen Lösung kommen. Der Vorfall deutet auf eine größere Kluft in den Überwachungsvorstellungen hin. Und ich glaube, wir brauchen eine Diskussion und eine Zusammenführung hinsichtlich der Standpunkte zu Überwachung und Spionage. Wir brauchen diese Debatte, da die USA und Deutschland ja schon seit langer Zeit sehr gute Verbündete sind. Sie können es sich einfach nicht leisten, dass dieses Verhältnis durch Misstrauen auseinandergetrieben wird.
Könnte es auch eine gemeinsame Reaktion der EU geben? Wie wird sich der Vorfall auf die transatlantische Beziehungen auswirken?
Ich denke, dass man das schon kommen sieht. Jede Woche kommt ja eine neue Geschichte ans Licht - vor ein paar Tagen waren es die abgehörten französischen Telefone, nun ist es das Handy der deutschen Kanzlerin. Ich denke, es macht deutlich wie nötig ein transatlantisches Bemühen hier ist und dass wir einen Beschluss dazu brauchen, wie die Standards zwischen Verbündeten hinsichtlich Überwachungstechnologien aussehen sollten.
Die Ironie der Snowden-Enthüllungen ist, dass wir so einiges über die Praktiken der NSA erfahren haben aber nichts über den deutschen Geheimdienst oder beispielsweise den französischen. Und wenn Europa hier die Latte höher hängen möchte und einen neuen Standard für digitale Überwachung durchsetzen möchte um festzuschreiben, was akzeptable ist und was nicht, dann müssen die europäischen Praktiken selber transparenter werden. Es gibt keinen Minimalstandard zum Datenschutz zwischen europäischen Staaten. So ziemlich jedes Land schützt seine eigenen Bürger besser als die anderer Länder. Ich glaube, dass einer der ersten Schritte sein müsste, dass die EU mit einem gemeinsamen Beschluss zum Schutz ihrer Bürger beginnt.
Glauben Sie, es ist möglich, dass sich EU-Länder untereinander und die EU mit den USA auf solche gemeinsamen Standards einigen können?
Ich denke ja. Wenn es den NATO-Verbündeten gelingt, gemeinsam in den Krieg zu ziehen, dann können sie doch sicherlich auch beschließen, damit aufzuhören, sich gegenseitig auszuspionieren. Es ist eine Frage des politischen Willens und auch die Frage einer öffentlichen Debatte über die Kosten und Nutzen der Überwachung von Freunden. Was sind die Vorteile, die es so wichtig machen, dass die eine Seite die andere ausspioniert - trotz des Risikos des politischen Schadens? Ich glaube jedoch, wir sollten vorsichtig sein und nicht die gesamte Schuld auf Washington schieben. Denn wenn man zwischen den Zeilen liest, ist es ja doch klar, dass viele europäische Länder sehr ähnliche Sachen machen - sie haben einfach nur nicht die gleichen technischen Möglichkeiten wie die NSA.
Was glauben Sie, wie die USA reagieren werden? Registriert man in Washington, dass der Spionageskandal ernsthaft Schaden in den diplomatischen Beziehungen anrichtet?
Wenn es bisher noch nicht registriert wurde, so ist dies spätestens jetzt der Fall. Und ich glaube, es wird schon eine Reaktion geben. Man hat gesehen, dass Präsident Obama eine Reihe von Statements abgegeben hat hinsichtlich einer neuen Evaluierung der Überwachungspolitik und in Bezug darauf was wirklich wichtig ist im Kampf gegen Terrorismus und was eben etwas zurückgefahren werden könnte. Er hat das in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung angesprochen und ich denke, dass das recht vielversprechend ist. Das Weiße Haus sieht, dass es einen Reformbedarf gibt - auch hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Europa. Aber wie dies im Detail aussieht, wird man erst noch sehen.
Ist es denn überhaupt möglich, hier die Zeit zurückzudrehen? Ist es nicht so, dass Überwachung in gewisser Weise derart einfach geworden ist, dass Nachrichtendienste immer dieser Versuchung nachgeben werden?
Wir haben eine ganze Reihe von Technologien, die uns ermöglichen würden, Dinge zu tun, die wir besser nicht tun sollten. Ob es nun digitale Überwachung ist oder der Gebrauch von Massenvernichtungswaffen. Aber deshalb haben wir in demokratischen Gesellschaften ja Gesetze. Ich gehe davon aus, dass die NSA sich an solche Gesetze hält, wenn das Weiße Haus und der Kongress die Gesetzeslage ändern würde und der NSA beispielsweise untersagen würde, das Handy von Frau Merkel abzuhören. Es gibt ja schon Einschränkungen für das Handeln der NSA und ich denke, dass diese auch eingehalten werden oder dass man sich zumindest Mühe gibt, sie einzuhalten. Diese Regeln könnte man enger fassen und die NSA würde entsprechend handeln. Das gleiche gilt, denke ich, für europäische Nachrichtendienste. Die Faustregel für jeden Nachrichtendienst ist, dass alles das gemacht wird, was technisch möglich, legal und finanziell machbar ist. Und wenn man hier Veränderungen möchte, dann muss man an der gesetzlichen Seite ansetzen. Wenn gewisse Dinge illegal werden, dann muss man sehr deutlich klarmachen, wo die Grenzen liegen. Sonst ist es nicht glaubwürdig. Es gibt also ein Gesetzes- und ein Vertrauensproblem. Es reicht nicht, einfach nur die Gesetze zu ändern. Man muss die Menschen auch davon überzeugen, dass die Änderungen wirklich etwas bedeuten.
Ben Scott ist aktuell bei der Stiftung Neue Verantwortung Direktor des Programms "Europäische Digitale Agenda". Während Obamas erster Amtszeit war er Innovationsberater unter US-Außenministerin Hillary Clinton und war dort verantwortlich für den Umgang mit neuen Techologien und sozialen Netzwerken als Teil der US-Diplomatie.
Das Interview führte Andreas Illmer.