Serbien: Petition zur Begnadigung von Djindjic-Mörder
5. November 2021Am 12. März 2003 wurde Zoran Djindjic, der erste demokratisch gewählte Premier Serbiens, in der serbischen Hauptstadt Belgrad ermordet. Zwei Jahre zuvor, am 25. Januar 2001, war er Regierungschef geworden, nachdem der bisherige Machthaber, Slobodan Milosevic, gestürzt worden war. Milosevic hatte drei Kriege angezettelt und wollte auf dem Territorium des ehemaligen Vielvölkerstaates Jugoslawien einen ethnisch reinen, großserbischen Staat schaffen. Das Ziel des 1952 geborenen Djindjic dagegen war ein modernes, demokratisches und europäisches Serbien.
"Meine Regierung kümmert sich um das Schicksal dieses Landes und versucht, ein festes Fundament für zukünftige Generationen zu legen, indem sie Serbien mit Europa verbindet", so Djindjic über sein politisches Programm. "Nichts kann Serbien auf seinem Weg nach Europa aufhalten, auf dem Weg in die Familie der demokratischen, modernen, entwickelten Staaten."
Der Versuch des Premiers, Serbien an Europa anzunähern, manifestierte sich unter anderem darin, dass das Land unter seiner Regierung die Mitgliedschaft in allen wichtigen internationalen Organisationen erneuerte, aus denen es unter Milosevic ausgeschlossen worden war. Auch die Inflation konnte von 113 Prozent im Jahre 2000 auf acht Prozent im Jahre 2003 gesenkt werden. Zudem wurde ein Gesetz zum Kampf gegen die Organisierte Kriminalität beschlossen und die Todesstrafe abgeschafft. Und: Der Ex-Präsident Milosevic wurde verhaftet und dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag übergeben, das ihn wegen Kriegsverbrechen anklagte.
Am 12. März 2003 schoss Zvezdan Jovanovic, ein Angehöriger der Einheit für Spezialoperationen (JSO) der serbischen Polizei, von einem Gebäude in der Nähe des Sitzes der serbischen Regierung auf Zoran Djindjic. Der Premier starb kurz darauf, sein Mörder wurde bald gefasst und gestand den Mord im Laufe seiner Vernehmung. Verhaftet wurde auch Milorad Ulemek, genannt "Legija", der Ex-Kommandant der JSO, der zusammen mit Angehörigen des kriminellen "Zemun-Clans", einem Verbrechersyndikat benannt nach einem Belgrader Vorort, für Djindjics Ermordung verantwortlich war. Jovanovic und Ulemek wurden zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. An Djindjics Beerdigung nahmen rund 200.000 Bürgerinnen und Bürger des Sieben-Millionen-Einwohner-Landes sowie mehr als 70 ausländische Delegationen teil.
Das Schweigen der Regierung
Im März 2020 kam Dragan Vasiljkovic, genannt "Kapitän Dragan", zurück nach Serbien, nachdem er wegen Kriegsverbrechen in der Zeit von 1991-95 verurteilt worden war und acht Jahre und neun Monate in Australien und Kroatien im Gefängnis gesessen hatte. Im September 2020 gründete er die Stiftung "Kapitän Dragan", mit der er im August 2021 begann, Unterschriften für die Freilassung des verurteilten Djindjic-Mörders Zvezdan Jovanovic zu sammeln, den er öffentlich als Kriegshelden bezeichnet. Bisher hat sich kein Angehöriger der jetzigen serbischen Regierung von dieser Initiative distanziert.
"Die Tatenlosigkeit und das Schweigen der Regierung zur Petition eines verurteilten Kriegsverbrechers für die Begnadigung eines Mörders spricht für sich und ist eine klare Botschaft", sagt Natasa Govedarica, die Belgrader Direktorin der deutschen Hilfsorganisation Ziviler Friedensdienst (ZFD), der DW. "Der nie von Milosevics Leuten gesäuberte staatliche Apparat ist bis heute überzeugt davon, dass Djindjic getötet werden musste. Zu einem solchen Apparat passt eine Gesellschaft, in dem ein sogenannter Kapitän Dragan weiß, wer ein Held ist und wer ein Verbrecher, wer Freiheit verdient hat und wer Gefängnis."
Treffen mit der Justizministerin
Auch viele Medien in Serbien geben Vasiljkovic seit seiner Rückkehr aus dem Gefängnis öffentlichen Raum. Kroatien hatte ihn nach Verbüßung seiner Haftstrafe ausgewiesen. Das kroatische Gericht, das ihn verurteilt hatte, konnte belegen, dass "Kapitän Dragan" unter anderem für Folterungen, Missbrauch und Mord von Gefangenen im Kroatien-Krieg verantwortlich war.
Im Mai 2021 sagte Vasiljkovic gegenüber Journalisten, er glaube nicht, dass er Feinde in der serbischen Regierung habe. Gegenüber dem regierungsnahen Sender Pink TV gab er an, er habe keinen Kontakt zu serbischen Staatangestellten - außer zur Justizministerin Maja Popovic, mit der er sich getroffen habe. Worüber die beiden gesprochen hatten, präzisierte der verurteilte Kriegsverbrecher nicht - aber er machte klar: "Sie ist mein Kontakt zum serbischen Staat." Zudem wiederholte "Kapitän Dragan", dass Zvezdan Jovanovic ein "Kriegsheld" sei, was man als mildernden Umstand anerkennen müsse - und weshalb man den Mörder freilassen solle.
Der erste verurteilte serbische Beamte
Gleich zu Beginn des Krieges im ehemaligen Jugoslawien im Frühsommer 1991 schloss sich Zvezdan Jovanovic serbischen Freiwilligenverbänden an. Es wird angenommen, dass er der paramilitärischen, bewaffneten Gruppe unter Franko Simatovic "Frenki" angehörte, aus der sich später die Spezialeinheit JSO entwickelte. Simatovic wurde als erster Beamter des serbischen Staates im Juni 2020 in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verletzung der Gesetze und Gepflogenheiten des Krieges zu 12 Jahren Haft verurteilt.
Simatovics "Frenki Boys" und andere paramilitärische Verbände waren nach dem Friedensvertrag von Dayton Ende 1995 aufgelöst worden. Zvezdan Jovanovic schloss sich der frisch gegründeten Spezialeinheit JSO an, die von Milorad Ulemek "Legija" geführt wurde. Mit ihm und der JSO nahm er auch am Kosovo-Krieg 1999 teil, allerdings wurde nie geklärt, wo genau er dort eingesetzt worden war und was er während des Krieges in Kosovo getan hatte.
Was tut der Staat?
Der Belgrader Anwalt Mihailo Pavlovic sagt der DW, dass es für Mitglieder der Kapitän-Dragan-Stiftung nach serbischem Gesetz weder einen Grund für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit noch für ein Betätigungsverbot gebe. Allerdings hätten die Unterschriftensammlungen, die Vasiljkovic und seine Leute in mehreren Städten Serbiens durchgeführt haben, verhindert werden können: Laut Verfassung kann die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden, wenn das zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, der Moral oder der Staatssicherheit erforderlich ist.
"In diesem speziellen Fall reicht meiner Meinung nach das Versammlungsrecht aus, um diese Unterschriftensammlungen zu unterbinden", so Pavlovic. Stattdessen konnte Vasiljkovic vor kurzem sogar eine Pressekonferenz in den Räumen der Journalistenvereinigung Serbiens veranstalten. Anfragen von Journalisten zur Haltung der serbischen Regierung zu diesen Aktivitäten blieben unbeantwortet.
Hinweise auf die Position Belgrads gibt es aber durchaus. So sagte Aleksandar Sapic, der Vizepräsident der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS), Dragan Vasiljkovic habe "das Recht, seine Meinung zu äußern". Die Positionen des verurteilten Kriegsverbrechers in Bezug auf den Mörder Zoran Djindjics unterstütze er nicht, so Sapic weiter, aber er unterstütze ihn, "weil er das serbische Volk verteidigt" habe und drückte sein Bedauern darüber aus, dass Vasiljkovic so lange im Gefängnis sitzen musste.
"Eine solche Haltung eines Vertreters der serbischen Regierungspartei trägt weder zum Aufbau eines nachhaltigen Friedens im postjugoslawischen Raum bei, noch verbessert sie die Beziehungen zwischen den Völkern und Gesellschaften, die hier leben", sagt Natasa Govedarica vom ZFD der DW.