Serbien und das Haager Tribunal
25. Februar 2016Ein wenig peinlich müsste es Šešelj schon sein. Seitdem er vorläufig aus der Haft entlassen wurde, zeigt sich der 61-Jähriger der serbischen Öffentlichkeit meistens bei kleinen und obskuren Lokalsendern und sogar in Reality Shows. Der stämmige großserbische Ideologe war früher ein anerkannter Juraprofessor, der in den Neunziger gegen Kroaten und Muslimen wetterte und Freischärler für die Front organisierte. Jetzt erzählt er wieder seine nationalistischen Tiraden im Kreis von begeisterten drittklassigen Promis. Obwohl seine Ansichten längst bekannt sind, ist Šešelj immer noch fähig, für Schlagzeilen zu sorgen.
Am 31. März 2016 soll vor dem Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien das erste Urteil in der Causa Šešelj fallen. Nach Den Haag fliegen, um die Entscheidung der Richter zu hören und eventuell im Gefängnis zu bleiben, das möchte der Angeklagte keinesfalls. Er habe dieses antiserbische Gericht bereits früher schon juristisch zerstört, so das typische Šešelj Eigenlob. Viele internationale Experten finden das zumindest teilweise zutreffend, denn das Gericht hat 13 Jahre lang gebraucht , um ein Urteil zu treffen. Fast die ganze Zeit saß Šešelj in Haager Haft, bevor er Ende 2014 wegen seiner Krebserkrankung freigelassen wurde.
Das Problem mit dem Ziehvater
Äußerst pikant ist das Timing des angekündigten Urteils, denn Ende April finden in Serbien Parlaments- und Lokalwahlen statt. Mit dem Einzug ins Parlament darf auch das erstarkte rechtsnationale Lager wieder rechnen, dessen prominentestes Gesicht ist Šešelj. Eine Verhaftung und Auslieferung nach Den Haag könnte die konservative Regierung als "unpatriotisch" erscheinen lassen, so die unter Beobachtern verbreitete These. "Es ist gut möglich, dass die jetzige Regierung ihren internationalen Verpflichtungen nicht nachkommt und somit das Ansehen Serbiens kompromittieren wird - aus Angst, von den Wählern abgestraft zu werden", meint auch der politische Kommentator Teofil Pančić.
Im DW-Gespräch betont Pančić aber vor allem den gemeinsamen Werdegang von Vojislav Šešelj und den heutigen serbischen Machthabern. Jahrelang waren der serbische Präsident Tomislav Nikolić und der Premierminister Aleksandar Vučić engste Mitarbeiter Šešeljs, die seine nationalistischen Parolen fleißig fortpflanzten. Zwischen den Gleichgesinnten krachte es 2008, als Vučić und Nikolić aus Šešeljs Radikaler Partei austraten und die proeuropäische Fortschrittspartei gründeten, die heute die absolute Mehrheit im Parlament hat. "Die Regierenden haben jetzt das psychologische Problem: denen ist es wohl ungemütlich, den eigenen politischen Ziehvater auszuliefern", meint Pančić.
Zumal die beiden Machthaber kein gutes Wort für das Kriegsverbrecher-Tribunal übrig haben. "Sie sagen uns, wir sollten Šešelj mitten in der Wahlkampagne ausliefern. Will Den Haag etwa die Rechten in Serbien damit unterstützen oder mich stürzen?", fragt Regierungschef Vučić. In seinem autoritären Ton erläuterte der starke Mann, dass er allein darüber entscheide, ob Šešelj nun verhaftet wird oder nicht. Die Entscheidung werde "wie immer, im besten Interesse Serbiens sein". Platte Demagogie für innenpolitischen Gebrauch, meint Kolumnist Pančić. "Vučić glaubt, dass sich die Erde um ihn dreht und dass alle damit beschäftigt sind, ihn zu stürzen. Das stimmt natürlich nicht. Kein einziges Gericht soll auf Wünsche von Politikern achten."
Einfluss auf Zeugen?
Dabei ist die Zusammenarbeit mit dem Tribunal praktisch schon aufgekündigt worden: Serbien weigert sich bereits mehr als ein Jahr lang die drei Parteifreunde Šešeljs auszuliefern, die angeblich die Zeugen in seinem Fall eingeschüchtert, bestochen und instruiert zu haben. Sonja Biserko, die Präsidentin des Helsinki- Komitee für Menschenrechte, glaubt dafür eine Erklärung zu haben: die heutigen serbischen Machthaber fürchteten, dass auch ihre Rolle ans Licht kommen könnte. "Präsident Nikolić und Premier Vučić haben damals die Radikale Partei während der Abwesenheit ihres Chefs Šešelj angeführt. Die beide haben mitentschieden, auf Zeugen und deren Familienmitglieder Druck auszuüben", sagt Biserko gegenüber DW.
Die mangelnde Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal war lange Zeit für den EU-Aspirant Serbien ein Klotz am Bein. Als 2011 auch die letzte Person der Fahndungsliste ausgeliefert worden war, schien das Thema für Serbien erledigt zu sein. Von wegen: Belgrad hat jetzt bis Mitte März Zeit, Šešelj entweder auszuliefern oder eine plausible Erklärung für ihr Nichtstun zu finden. "Die Regierung hat nicht so viel Spielraum, wenn sie ihre proeuropäische Orientierung bestätigen möchte", so Biserko, der auf eine baldige Auslieferung tippt.
Seinen einstigen Weggefährten möchte Vojislav Šešelj die Sache nicht einfacher machen. Man werde ihn und seine drei angeklagten Mitarbeiter nach Den Haag tragen müssen, sagte Šešelj. "Ich weiß nur nicht, wie sie sich das vorstellen", witzelte Šešelj. Denn er selbst wiege 130 Kilogramm, seine Kollegen je 120 und die mitangeklagte Kollegin "bis 100". Insgesamt seien das fast 500 Kilogramm, rechnete Šešelj vor. Er plane, in den nächsten Wochen weiter zuzunehmen.