Ein Balkanthriller
23. August 2017Angebliche Spionage, künstlich erzeugte Spannungen und viel heiße Luft – Standardstoff vieler Balkandramen. Doch was die serbische Regierung am Sonntag tat, ist einmalig: Das gesamte diplomatische Personal wurde aus der mazedonischen Hauptstadt Skopje zu "dringenden Beratungen" nach Belgrad beordert. Man habe Beweise über "sehr offensive" geheimdienstliche Aktivitäten, so die knappe Erklärung des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Da Vučić mehr nicht sagen konnte oder wollte, kochte gleich die mediale Gerüchteküche hoch.
"Skandal: Die Mazedonier belauschen sogar Vučić?!" – titelte das Hetzblatt "Informer", das inoffizielle Sprachrohr der serbischen Regierung. Die restlichen auflagenstarken Boulevardblätter stellten den neuen mazedonischen Premier Zoran Zaev an den Pranger: "Zaev erklärt Serbien Krieg" und "Zaev sticht uns ein Messer in den Rücken" war auf den Titelblättern zu lesen.
Das Geheimnis um einen Geheimdienstler
Um den langjährigen Autokraten Nikola Gruevski zu stürzen, musste sich der Sozialdemokrat Zaev mit Chefs der albanischen Parteien in Mazedonien arrangieren. Der Deal beinhaltete verschiedene Zugeständnisse an die Albaner, die etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. So gelangte Zaev Anfang Juni an die Macht - und der alte Machthaber Gruevski ins Visier der Justiz, die ihm Machtmissbrauch, Wahlbetrug und massive Korruption vorwirft.
Es war vor allem die "albanische Frage", weshalb die serbische Führung bis zum Ende an Gruevski festhielt. Als seine Anhänger Ende April als wütender Mob das Parlament in Skopje stürmten, um die Bildung neuer Regierungskoalition zu verhindern, zeigten Videoaufnahmen einen serbischen Geheimdienstler an der Spitze des Ansturms. Mehrere Abgeordnete wurden verletzt, darunter auch Zoran Zaev.
Die für Belgrad peinliche Episode wurde heruntergespielt, auch die neue mazedonische Regierung bemühte sich um einen diplomatischen Ton gegenüber den nördlichen Nachbarn. Möglicherweise hat dieser Eklat die mazedonischen Dienste dazu bewegt, die serbische Diplomaten im Land strenger unter die Luppe zu nehmen, meint Bojan Elek, der beim Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik forscht. In Skopje werden offiziell alle Spionagevorwürfe bestritten. In der mazedonischen Presse wird aber vermutet, dass Belgrad den spektakulären Schritt unternommen hat, um mögliche Geheimdienstaktivitäten gegen Zaev zu relativieren und zu verschleiern.
Der Kosovo als Zankapfel
Zahlreiche Beobachter vermuten allerdings andere Gründe für den neu entflammten Streit. Ende Oktober soll die Vollversammlung der UN-Kulturorganisation (UNESCO) erneut über die Aufnahme vom Kosovo entscheiden. Serbien erkennt die 2008 einseitig erklärte Unabhängigkeit der einstigen Südprovinz weiterhin nicht an, Mazedonien hingegen schon. Vor zwei Jahren verfehlte der Kosovo, der fast ausschließlich von ethnischen Albanern bewohnt wird, die UNESCO-Mitgliedschaft knapp. Es fehlten nur drei Stimmen für die nötige Zweidrittelmehrheit.
Obwohl Zaev im Mai signalisierte, dass Mazedonien bei der nächsten Abstimmung "neutral" sein könnte, verdichten sich jetzt Hinweise, dass Skopje erneut für die Aufnahme Kosovos stimmen wird. "Wir haben solche Informationen", sagte dazu der serbische Präsident Vučić in einer Nachrichtensendung. In Skopje heißt es, man werde sich an der Mehrheit der EU-Mitglieder orientieren.
"Die serbische Seite mag nicht verstehen, dass wir ein multiethnisches Land sind. Die Regierung muss stets die Interessen aller Bürger berücksichtigen", sagte der frühere mazedonische Außenminister Denko Maleski der DW. Man dürfe nicht die Stabilität im Land gefährden, sagte er in Anspielung auf die Dauerspannungen zwischen Mazedonien und Albanern. "Wir werden wahrscheinlich für die Aufnahme des Kosovos in die UNESCO stimmen – das entspricht unseren staatlichen Interessen."
Von der NATO umzingelt
Nach der Aufnahme der kleinen Adriarepublik Montenegro in die NATO ist Serbien fast vollständig von den Staaten des atlantischen Militärbündnisses umzingelt. Auch die neue mazedonische Regierung strebt einen schnellen NATO-Beitritt an. Das Regime des früheren Ultranationalisten Vučić in Belgrad gibt sich reformbereit und proeuropäisch, doch die NATO bleibt ein Tabu. Die Allianz bombardierte Serbien heftig im Zuge des Kosovokrieges 1999. Außerdem sind die serbischen Politeliten stets bemüht, die besten Beziehungen mit Russland zu pflegen.
Der mazedonisch-albanische Diplomat Alajdin Demiri deutet deswegen die "Hysterie" aus Belgrad als Versuch, einen EU- und NATO-Beitritt Mazedoniens zu verhindern. "Dahinter steckt wahrscheinlich ein Versuch, Moskau zu unterstützen. Ich glaube, dass das nur der Anfang war und bald neue Schritten folgen werden", prognostiziert Demiri im DW-Gespräch.
Um den Weg für eine Mitgliedschaft freizuräumen, muss Mazedonien zuerst den jahrelangen Streit mit Griechenland um die Staatsnamen beilegen. Hinter der Bezeichnung "Mazedonien" wittert Athen einen Gebietsanspruch auf die gleichnamige griechische Region Makedonien. Die neue Koalition in Skopje ist sichtlich um einen Kompromiss bemüht. Es würde sie hart treffen, wenn künftig Belgrad, wie der Außenminister Ivica Dačić angedroht hat, Mazedonien nicht mehr unter diesen Namen anerkennen würde.
Die Krisenproduktion
Der Analytiker Elek glaubt die Regierungsmuster des serbischen Machthabers Vučić erkannt zu haben: er schaffe künstlich Krisen mit Nachbarländern – Kroatien, Montenegro, Kosovo oder eben Mazedonien – um sich dann innenpolitisch als kluger und kühler Politiker inszenieren zu können. Die Nachbarn würden so als bedrohlich wahrgenommen. "Und dann kommen die serbischen Politiker als Retter, die das Problem beseitigen."
So halte er das heimische Publikum in Atem. Echte Probleme rückten hingegen in den Hintergrund: die wirtschaftliche Misere, die willkürliche Verteilung der Jobs im öffentlichen Dienst durch die Parteignade und die mediale Zensur.
Am Mittwoch telefonierten Vučić und Zaev miteinander, um die Lage zu beruhigen und die eigentlich freundschaftliche Beziehung zwischen den Serben und den Mazedoniern zu betonen. Man wolle im Dialog bleiben, die wirtschaftlichen Beziehungen stärken und sich gegenseitig auf dem EU-Weg unterstützen, so die gemeinsame Stellungnahme. Die serbischen Diplomaten sollen schon ab Donnerstag wieder in Skopje sein.