Neuer Lebensstil: Lohas
12. Dezember 2006Was haben Renate Künast und Madonna gemeinsam? Sie sollen beide Vertreterinnen eines neuen Lebensstils sein - des "Lifestyle of Health and Sustainability" - kurz: sie sind Lohas. Auf Deutsch: Sie pflegen einen an Gesundheit und Nachhaltigkeit orientierten Lebensstil. Glaubt man Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut in Kelkheim, zählt mittlerweile ein Drittel der Deutschen zu dieser Gruppe, die der amerikanische Soziologe Paul Ray zuerst in den USA identifiziert haben will.
"Moralische Hedonisten"
Lohas - das seien Menschen, die bisher unvereinbare Orientierungen zusammenbringen: Auf der einen Seite steht die Sorge um Gesundheit und Globus, auf der anderen aber die Lust an Konsum und Genuss. Lohas wollen konsumierenderweise ihr eigenes Wohlbefinden steigern, aber das doch bitte ökologisch korrekt.
"Moralische Hedonisten", nennt sie Eike Wenzel. Mit den Umwelt-Bewegten der 1980er-Jahre haben sie wenig zu tun. "Die waren damals noch klar kapitalismuskritisch und konsumverweigernd, mittlerweile ist ökologisches Bewusstsein schick, ein Lebensstil der gesellschaftlichen Mitte." Der idealtypische Lohas könnte den Satz sprechen: "Ich schäme mich nicht mehr, dass ich gut verdiene. Aber trotzdem will ich etwas für die Umwelt und die Gemeinschaft tun." Der tragbare MP3-Player iPod ist entsprechend für Wenzel der Inbegriff des Lohas-Produktes. "Er ist persönlich, er ist teuer, er hat ein ansprechendes Design, man kann ihn genießen." Und mit seinen aufladbaren Akkus lässt er auch das nötige Quäntchen eingebauter Umweltverträglichkeit eines idealen Lohas-Produktes nicht missen.
USA und Japan sind Lohas-Länder
In den USA sollen die Lohas bereits Hollywood erobert haben: Julia Roberts wurde mit Einkaufstüte der Bio-Kette "Wild Oats" gesichtet, George Clooney neben einem Elektro-Auto. Auch Japan zähle zu den Lohas-Vorreitern, sagt Michael Kuhndt vom Zentrum für nachhaltiges Konsumieren und Produzieren in Wuppertal. Dort verkauften sich strahlungsarme Handys gerade besonders gut. In Europa seien es vor allem die Briten, denen es gefalle, sich mit Lohas-Produkten zu umgeben, sagt Eike Wenzel. In Großbritannien gebe es neben Lohas-Kneipen auch Lohas-Mode. "Nachhaltig, fair gehandelt und merklich teurer", seien die guten Stücke. Entworfen würden die Luxus-Klamotten von Designern wie Stella McCartney.
Lohas als "Etikettenschwindel"
Für den Konsumsoziologen Michael Jäckel ist der Begriff der Lohas "Etikettenschwindel". Entweder sei der Begriff bald wieder verschwunden, oder aber "wir sind alle Lohas", dann wohl, wenn jeder, der irgendwann mal ein Bio-Produkt kauft, zu den Lohas gezählt wird. Bislang gebe es in Deutschland noch keine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen, so Jäckel. Auch die einheitliche Definition, wer zu den Lohas zählt und wer nicht, fehle bislang. Wenzels Zahl von einem Drittel Lohas unter den Deutschen ist umstritten. Erreicht werde diese Zahl nur, wenn es um das Interesse der Deutschen an Wellness und Gesundheit gehe, meint Michael Kuhndt vom Wuppertaler Zentrum.
Und während Zukunftsforscher Wenzel die Lohas als informationsaffin und medienkritisch beschreibt, als "Menschen, die über den eigenen Tellerrand hinausschauen und ein komplexes Weltbild haben", hält Soziologe Jäckel sie nicht für diejenigen, "die bei Bio-Früherdbeeren tatsächlich an den großen Bewässerungsaufwand in Spanien denken".
Bio-Supermärkte als Homezone
Einigkeit herrscht darüber, dass das, was auch immer unter Lohas zu fassen ist, noch am Anfang steht. Ob der Begriff bald wieder verschwunden ist, wie Michael Jäckel meint, oder ob die Prognose von Eike Wenzel eintritt, dass mit den Lohas gerade eine neue Klasse entsteht, die bald mehr als die Hälfte der Deutschen umfassen soll, werden zukünftige Lohas-Definitionen und -Mitgliederzahlen zeigen.
Aktuell liegt der Anteil der Bio-Lebensmittel am deutschen Lebensmittelmarkt bei 3,5 Prozent, so Christoph Spahn vom Handelspanel Biovista, das die Verkaufszahlen von Bio-Läden und -Supermärkten auswertet. Deren Umsatzraten steigen - um neun Prozent im vergangenen Jahr, sagt Spahn. Und die Bio-Supermärkte werden immer mehr. Absolut gesehen gibt es mittlerweile 300 im Bundesgebiet, vornehmlich in den großen Städten.
Sicher ist: Verzichten wollen Lohas nicht
Bis Zukunftsforscher und Soziologen sich geeinigt haben, und Renate Künast und Madonna sich solidarisch als Gruppe begreifen, freuen sich die Lohas wohl lieber über das, was sie Gutes getan haben, als sich für mancherlei Inkonsequenz zu kasteien. Denn verzichten, der Umwelt zuliebe, wollen sie nicht. Sie tun, was sie können. Einkaufen vor allem.