Showdown in Washington
10. Oktober 2013"Shutdown + Schuldenobergrenze = Chaos", diese Gleichung liest man auf einem Laufband des Fernsehsenders CNN, der, wie alle großen amerikanischen TV-Kanäle, seit Tagen kein anderes Thema mehr zu kennen scheint. Die Washington Post befürchtet ein "bevorstehendes Desaster" und sieht den Kongress mit dem Undenkbaren, der Staatspleite, flirten. Und die Menschen auf der Straße sind trotz der medialen Dauerinszenierung des Schaulaufens von Demokraten und Republikanern eher gelassen: "Beide Seiten tragen eine gehörige Schuld", sagt ein Passant und fügt eine schlichte Weisheit hinzu: "Wenn man eine Vereinbarung treffen will, müssen beide Seiten Zugeständnisse machen. Und beide Seiten sind ein bisschen kindisch."
Jüngsten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup zufolge halten zwei Drittel der US-Bürger ihre nicht mehr funktionierende Regierung für das größte Problem des Landes. Das ist der höchste Wert, den das Institut seit dem Jahr 1939 ermittelt hat.
Unabsehbare Folgen für die Wirtschaft
Die Lösung der Haushaltskrise, hierzulande wegen der teilweisen Stilllegung der Regierungstätigkeit als "Government Shutdown" bezeichnet, verbindet sich mittlerweile immer stärker mit der Debatte um eine Erhöhung der Schuldenobergrenze. Auch hier drängt die Zeit. Spätestens bis zum 17. Oktober muss die Schuldenobergrenze von bislang 16,7 Billionen US-Dollar erhöht werden. Gibt es keine Einigung zwischen Republikanern und Demokraten, droht die Zahlungsunfähigkeit der USA - mit möglicherweise katastrophalen Folgen für die USA und die Weltwirtschaft.
Kommt Bewegung in den Streit?
Dies vor Augen scheinen beide Seiten jetzt bereit zu sein, erstmals ernsthaft zu verhandeln. Jedenfalls trat der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, vor die Presse und erklärte sich zu einer geringen Anhebung der Schuldenobergrenze bereit. Der Vorteil: Durch diesen Schritt würde mehr Zeit für Verhandlungen gewonnen und die befürchtete Zahlungsunfähigkeit am 17. Oktober erst einmal abgewendet. Allerdings verlangen die Republikaner als Gegenleistung vom Präsidenten eine Aufnahme von Gesprächen über Fiskalfragen, darunter auch Verhandlungen über ein Ende des Government Shutdown. Offen ist, ob sich dahinter auch die Absicht verbirgt, über die Gesundheitsreform 'Obamacare' zu verhandeln. Das hatte Präsident Obama bisher immer strikt abgelehnt.
Obama: "Irrsinnig, katastrophal und chaotisch"
Am Donnerstagnachmittag Washingtoner Zeit trafen sich die Republikaner mit John Boehner an der Spitze mit Präsident Obama im Weißen Haus. Nach eineinhalb Stunden gingen beide Seiten ohne jede offizielle Erklärung auseinander. Der republikanische Senator Eric Cantor sprach von einem "sehr fruchtbaren Treffen", nannte aber keine Einzelheiten. Möglicherweise gebe es noch im Laufe der Nacht weitere Gespräche.
Bis dahin steht Obamas Warnung vor den Folgen einer Zahlungsunfähigkeit der USA drohend im Raum. "So unverantwortlich das Government Shutdown ist, der ökonomische Shutdown, der durch die Zahlungsunfähigkeit Amerikas ausgelöst wird, wäre noch um vieles dramatischer", sagte er am Dienstag (08.10.2013) auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus. "Wenn die Schuldenobergrenze nicht erhöht wird, wäre Amerika das erste Mal seit 225 Jahren nicht in der Lage, seine finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen."
Amerikanische Politik ist konfrontativ
"Alle Demokratien haben Zyklen, und wir gehen durch einen ziemlich lauten, stürmischen und spaltenden Zyklus", erklärt der ehemalige Botschafter der USA in Deutschland, Philip Murphy, gegenüber der Deutschen Welle die schon länger zu beobachtende Konfrontation zwischen Demokraten und Republikanern. "Es begann mit der absurden Gesundheits-Debatte im Sommer 2010, dann die Diskussion um die Schuldenobergrenze im Sommer 2011 und darauffolgend die Herabsetzung unserer Kreditwürdigkeit, danach Sequestration und jetzt Shutdown und die bevorstehende Auseinandersetzung um die Zahlungsunfähigkeit nächste Woche." Murphy verließ im Juli diesen Jahres seinen Berliner Posten und gehört der demokratischen Partei des Präsidenten an.
Teil der politischen Kultur Amerikas?
Für die Ökonomin Romina Boccia von der konservativen Heritage Foundation ist der gegenwärtige Kampf um die Schuldenobergrenze Teil der politischen Kultur ihres Landes. "Historisch gesehen hat die Schuldenobergrenze in den USA eine sehr wichtige Rolle gespielt, um das Haushaltsdefizit zu reduzieren", sagte sie der Deutschen Welle. "In den letzten drei Jahrzehnten wurden alle großen Einigungen über einen Defizit-Abau auf diesem Wege erreicht. Das spielt eine sehr bedeutsame Rolle in der amerikanischen Politik. Und genau an diesem Punkt sind wir gerade.“
Anders als Deutschland haben die USA nicht das Instrument der Schuldenbremse. Es gibt kein vergleichbares Mittel, um das Haushalts-Defizit zu kontrollieren. Die Schuldenobergrenze ermögliche es dem Kongress, sein Budgetrecht wahrzunehmen, sagt Boccia. "Das ist wichtig, denn zwei Drittel der Regierungsausgaben gehen auf Programme zurück, die nicht regelmäßig überprüft werden, es gibt keine zeitliche Ausgabenbegrenzungen wie etwa bei Sozialausgaben oder Medicare. Sie gehen automatisch weiter und sind dabei, das gesamte Bundes-Budget aufzufressen."
John Boehners Rolle
Zwar ist es Präsident Obama in seiner bisherigen Amtszeit gelungen, die Schuldenaufnahme zu halbieren. Dennoch wollen die Republikaner weitere Ausgabenkürzungen durchsetzen. Darauf hat ihr Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, immer wieder hingewiesen. "Seine Aufgabe ist, einen Kompromiss zu finden, für den er genug Unterstützung der Republikaner bekommt. Das ist seine große Herausforderung", analysiert Romina Boccia. "Auch wenn Boehner gesagt hat, dass er nicht will, dass die USA zahlungsunfähig werden: Selbst wenn er versuchen sollte, die Schuldenobergrenze nach den Vorstellungen des Präsidenten anzuheben - ohne Bedingungen und ohne Ausgabenkürzungen - dürfte er vermutlich dafür nicht die erforderlichen Stimmen bekommen."
Es bleibt abzuwarten, ob eine radikale Minderheit unter den Republikanern, die sogenannte "Teaparty", auf ihren Maximalforderungen an Obama beharrt, oder ob sie Boehners Kompromissvorschlag einer zeitweisen Anhebung der Schuldenobergrenze folgt.
Boehner hat bisher keine gute Figur gemacht. "Er ist nicht in meiner Partei und ich stimme ihm in vielem nicht zu, aber er ist ein guter Amerikaner, ein guter Typ. Er ist eines von zwölf Kindern und seine Familie ist deutscher Abstammung“, sagt Philip Murphy. "Er will etwas erreichen, die Dinge nach vorne bringen. Auf der anderen Seite wird er von der krankhaften Hardcore-Gruppe der Rechten in seiner Partei in Geiselhaft genommen." Hier bisher nicht entschieden geführt zu haben, nehmen ihm viele übel.
Vieles wird jetzt davon abhängen, ob sich John Boehner gegenüber den jungen Wilden aus der Teaparty durchsetzen kann.