Sicherheit um jeden Preis
7. Februar 2014Rund drei Wochen ließen sich mutmaßliche islamistische Kämpfer Zeit, um die Verantwortung für die jüngsten Anschläge in der südrussischen Stadt Wolgograd zu übernehmen. Ende Dezember 2013 starben bei zwei Explosionen über 30 Menschen. Am 19. Januar 2014 wurde ein Bekennervideo im Internet veröffentlicht. Darin droht eine radikale Gruppe, die sich "Ansar al-Sunna" nennt, mit weiteren Anschlägen - auch während der Olympischen Winterspiele in Sotschi, die am 7. Februar beginnen.
Andrej Soldatow, Sicherheitsexperte und Chefredakteur des russischen Internetportals Agentura.Ru, meint, man müsse diese Drohung ernst nehmen. "Es handelt sich wohl um eine Gruppe aus Dagestan", sagte Soldatow in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Gefahr weiterer Terroranschläge in Russland sei hoch.
Die russische Regierung fürchtet vor allem eine Attacke in Sotschi selbst. Die Gefahr sei absolut real, sagte Jekaterina Sokirjanskaja von der International Crisis Group im DW-Interview.
Auch Alexej Filatow, ein ehemaliger Offizier der Antiterroreinheit "Alfa" meint: "Vielleicht schaltet man jetzt einen Gang zu hoch. Aber es ist wohl gerechtfertigt. Die Sicherheit soll an erster Stelle stehen, und der Komfort doch an zweiter."
Größter Sicherheitseinsatz seit Olympia 1980
Und so wird Sotschi wohl der größte Einsatz für die Sicherheitskräfte in Russland seit den Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau. Nach offiziellen Angaben werden 37.000 Polizisten aus ganz Russland im Einsatz sein. Viele von ihnen bekommen sogar Englisch-Unterricht und einen alpinen Schnupperkurs, um einerseits ausländischen Touristen helfen und andererseits im Ernstfall auch in den Bergen bestehen zu können. Außerdem werden in Sotschi rund 23.000 Mitarbeiter des Ministeriums für Katastrophen- und Zivilschutz stationiert sein. Hinzu kommen als Verstärkung Soldaten, Grenzschützer und eine nicht genau bekannte Anzahl von Geheimdienstmitarbeitern.
Auf See werden Militärschiffe und U-Boote patrouillieren, in der Luft werden Drohnen und Kampfjets eingesetzt. Dutzende zusätzliche Streifenwagen fahren jetzt schon durch die Gegend. Polizisten aus anderen russischen Städten testen bereits seit mehreren Wochen Routen und trainieren ihre Einsätze. Etwa 1400 Videokameras sind in der Stadt installiert. In den Bergen sollen moderne Quad-Geländefahrzeuge aushelfen.
Besucher werden strikt kontrolliert
Seit dem 7. Januar 2014 gelten in der Stadt am Schwarzen Meer besonders strenge Sicherheitsregeln. Jeder, der dort länger als drei Tage bleiben möchte, muss sich bei den lokalen Behörden melden. Alle Besucher der Sportwettbewerbe bekommen einen speziellen Zuschauerpass, mit dem auch persönliche Daten direkt an die russischen Sicherheitsdienste übermittelt werden. Fahrzeuge aus anderen russischen Regionen werden nicht mehr nach Sotschi gelassen, es sei denn, es sind speziell akkreditierte LKW, die die Stadt mit Lebensmitteln und anderen Produkten versorgen.
In Sotschi wurden bereits "Verbotszonen" ohne oder mit nur eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten eingerichtet. Dazu gehören die Grenzgebiete zu der von Georgien abtrünnigen Republik Abchasien und die Berge hinter Krasnaja Poljana, wo die alpinen Wettbewerbe ausgetragen werden. Mit den Verbotszonen will man Terroristen aus dem Nordkaukasus rechtzeitig stoppen.
Währenddessen ist Moskau bemüht, alle ausländischen Gastarbeiter und Leute ohne gültige Papiere oder Registrierung nach Hause zu schicken. Patrouillen suchen Straßen nach Illegalen und herrenlosen Autos ab. Die Bewohner von Sotschi wurden aufgefordert, sich aktiv nach verdächtigen Personen oder Gegenständen umzuschauen.
Briefgeheimnis außer Kraft
Faktisch hebt Russland auch das Briefgeheimnis während der Winterspiele auf. Der staatliche Postanbieter "Potschta Rossii" hat bereits angekündigt, dass alle Pakete und Sendungen auf dem Weg ins Gebiet Krasnodar, zu dem Sotschi gehört, vom 1. Januar bis 31. März geöffnet werden müssen.
Genauso wenig kann man sich auf das elektronische Briefgeheimnis verlassen. Der russische Geheimdienst FSB will die gesamte Telekommunikation während der Spiele überwachen. Eigens für diesen Zweck wurde "Sorm", das russische Pendant zum US-amerikanischen Prism-Überwachungssystem, modernisiert.
Enorme Ausgaben für die Sicherheit
Nach den jüngsten Terroranschlägen in Wolgograd ist die bisherige Kritik an den zahlreichen Sicherheitsmaßnahmen in Sotschi verstummt. Auch der dafür betriebene finanzielle Aufwand wird nicht mehr in Frage gestellt. Dabei ist er enorm. Noch Anfang 2013 schätzte die russische Wirtschaftszeitung "Wedomosti" alle Sicherheitsausgaben auf zwei Milliarden Dollar. Mittlerweile geht man sogar von drei Milliarden Dollar aus.
Trotzdem schließen Experten nicht aus, dass es während der Spiele in Sotschi oder in einer anderen russischen Stadt Anschläge geben könnte. "Der riesige Aufwand, der in Sotschi und anderen russischen Städten betrieben wird, kann keine Garantie dafür sein, dass während der Spiele nichts passiert", sagt Jekaterina Sokirjanskaja von der International Crisis Group.