Sieben Komponisten: Ihr Schicksal, ihre Musik
2. September 20181. Taub für den Rest des Lebens: Ludwig van Beethoven
Als Ludwig van Beethoven 1808 seine fünfte Sinfonie uraufführte, war er bereits schwerhörig und litt unter Ohrensausen. 1814 verlor er sein Gehör komplett. Aus Verzweiflung über seine Ertaubung und das drohende Ende seiner Karriere als Pianist schrieb er bereits 1802 während einer Kur in Heiligenstadt in seinem Testament: "Es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben. - Nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück".
Düster und klanggewaltig empfanden die Zeitgenossen diese Sinfonie in c-Moll. Sie ging als "Schicksalssinfonie" in die Musikgeschichte ein. Zu seinem Sekretär Anton Schindler soll Beethoven über das berühmte Anfangsmotiv gesagt haben: "So pocht das Schicksal an meine Tür." Forscher bezweifeln das, denn Beethoven war nicht schicksalsergeben. Zur gleichen Zeit komponierte er an seiner "Pastorale" mit frischen, fröhlichen Klängen. An einen Jugendfreund schrieb Beethoven: "Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen - ganz niederringen soll es mich nicht." Als 1824 seine berühmte neunte Sinfonie uraufgeführt wurde, war Beethoven bereits seit 10 Jahren vollkommen taub.
2. Erst Wunderkind, dann arm und krank: Wolfgang Amadeus Mozart
Schon mit sechs Jahren spielte das Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart vor begeisterten Adligen auf dem Klavier und komponierte kleine Stücke. Als er 13 war, holte ihn der Erzbischof von Salzburg als Konzertmeister zu sich. Doch der junge Mozart wollte unabhängig bleiben, kündigte und zog nach Wien. Dort lebte er mit seiner Frau Constanze mehr schlecht als recht. Das Geld war ständig knapp.
Als er 1788 seine vorletzte Sinfonie, die große g-Moll-Sinfonie komponierte, litt er bereits unter Existenzängsten und Verfolgungswahn. Gegenüber Freunden sprach er von "schwarzen Gedanken", die ihn plagten. Die große g-Moll, mal düster, mal heiter vom Klang her, galt bereits im 19. Jahrhundert als "Sinfonie aller Sinfonien" und ist noch heute eins der beliebtesten Werke klassischer Musik. Diese Anerkennung hat der erwachsene Mozart nicht mehr erlebt. 1791 starb er, 35 Jahre jung, an einer rätselhaften Fiebererkrankung. Die Ursache dieses Fiebers ist bis heute nicht wirklich geklärt.
3. Zerrissen zwischen Liebe und Loyalität: Johannes Brahms
Johannes Brahms war unsterblich verliebt in die 15 Jahre ältere Clara Schumann, die Frau seines Freundes und Förderers Robert Schumann. Zerrissen zwischen der hoffnungslosen Liebe und seiner Loyalität gegenüber dem Freund, begann er 1855 mit seinem Klavierquartett in c-Moll, op. 60. Das Seufzermotiv am Anfang lässt sein Leid erahnen.
Über 20 Jahre arbeitet Brahms immer wieder am dem Quartett, zeitweise von Selbstmordgedanken geplagt. Im letzten Satz, den er 1875 im Jahr der Veröffentlichung noch schrieb, zitiert Brahms das "Schicksalsmotiv" aus Beethovens fünfter Symphonie. Seinem Verleger Fritz Simrock schrieb er für die Notenausgabe: "Außerdem dürfen Sie auf dem Titelblatt ein Bildnis anbringen! Nämlich einen Kopf mit der Pistole davor. Nun können Sie sich ein Bild von der Musik machen. Ich werde Ihnen zu dem Zweck meine Photographie schicken! " Das brachte dem Werk den Beinahmen "Werther-Quartett" ein, nach Goethes gleichnamigem Helden, der sich nach einer unglücklichen Liebe das Leben nahm. Auch nachdem Robert Schumann 1856 gestorben war, wurde aus Johannes Brahms und Clara Schumann nie ein richtiges Paar. Der Komponist blieb Zeit seines Lebens Junggeselle.
4. Von allen Sinnen verlassen: Robert Schumann
Was Brahms nur in Gedanken vorschwebte, setzte der Komponist und Musikkritiker Robert Schumann in die Tat um. Geplagt von Depressionen sprang er 1854 in den Rhein, um sich das Leben zu nehmen, wurde aber gerettet. Geistig umnachtet verbrachte er die letzten zwei Jahre bis zu seinem Tod 1856 in einer Nervenheilanstalt. In seiner depressiven Phase hatte er noch sein letztes Orchesterwerk, das Violinkonzert in d-Moll, geschrieben.
Bis heute scheiden sich die Geister, ob es das Werk eines Wahnsinnigen oder eines Genies ist. Das Geigensolo schien unspielbar. Clara Schumann und die Nachkommen hielten dieses komplizierte Werk für ein "Zeugnis geistiger Zerrüttung". Sie verfügten, das Violinkonzert 100 Jahre lang nicht aufzuführen.
Über 80 Jahre nach der Entstehung, am 26. November 1937, wurde das Violinkonzert gegen den Willen von Schumanns Tochter Eugenie dann doch vor Ablauf der Frist mit den Berliner Philharmonikern unter Karl Böhm uraufgeführt. Der Solopart war vom Komponisten Paul Hindemith stark bearbeitet und vereinfacht worden. Es heißt, die Nationalsozialisten hätten Ersatz gefordert für ein geplantes Stück des jüdisch geborenen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy. Heute wird das Werk von namhaften Geigenvirtuosen geschätzt und möglichst originalgetreu wiedergegeben.
5. Der ewige Kampf im Schatten Beethovens: Franz Schubert
Sein Leben lang eiferte der Komponist Franz Schubert seinem großen Vorbild Ludwig van Beethoven nach und versuchte gleichzeitig vergebens, aus seinem Schatten zu treten. Allein 21 Klaviersonaten schrieb Schubert in seinem kurzen Leben; bei Beethoven waren es 32. 1828 entstanden Schuberts letzte drei Sonaten, wie bei Beethoven als Trias angelegt. Über Themen und Motive sind die Sonaten miteinander verbunden. Bei der B-Dur Sonate, seinem letzten abgeschlossenen Werk, löst sich Schubert von der üblichen Form seiner Zeit. Er spielt mit einzelnen Motiven. "Musikalisch und gesangreich rieselt es von Seite zu Seite weiter, hier und da von einzelnen heftigen Regungen unterbrochen", schrieb der Komponist und Musikkritiker Robert Schumann 1838 in seiner Rezension.
Die drei letzten Sonaten werden als Befreiungsschlag von Beethoven gesehen. Gerade hatte sich Franz Schubert, Komponist des Liederzyklus "Die Winterreise", im Musikgeschäft etabliert, fand Verleger für seine Partituren und trat öffentlich auf. Doch seit Jahren schon litt er unter Syphilis und Alkoholsucht. 1823 schrieb er im Krankenhaus: "Ich fühle mich als den unglücklichsten, elendsten Menschen der Welt". Die B-Dur-Sonate war seine letzte. Schubert wurde 31 Jahre alt und hat in seinem kurzen Leben über 1000 Werke komponiert.
6. Musik in Gefangenschaft: Olivier Messiaen
Der französische Komponist Olivier Messiaen gilt als Vorreiter der atonalen Musik. Im Zweiten Weltkrieg geriet er 1940 in deutsche Gefangenschaft. Die Lagerkommandanten ließen ihn jedoch weiter komponieren und besorgten sogar ein Klavier. Im Gefangenenlager schrieb Messiaen sein "Quartuor pour la fin du temps" (Quartett vom Ende der Zeit). Vorgesehen sind Instrumente, die Insassen vor Ort spielen konnten: Klarinette, Geige, Cello und Klavier. Die Uraufführung kam noch im Lager zustande.
1941 konnte Messiaen nach Paris zurückkehren. Der Krieg hat seine Spuren in seiner Musik hinterlassen. Der Biograph Theo Hirsbrunner beschreibt es so: "Seine Musik bekommt unvermittelt einen noch größeren Ernst, der sich in den Monaten des Leidens einstellte und apokalyptische Visionen hervorbrachte." So greift sein Quartett die apokalyptischen Visionen aus der biblischen Offenbarung des Johannes auf. Die Satz-Überschriften greifen diese Sprache auf: "Wirbel der Regenbögen für den Engel, der das Ende der Zeit verkündet" oder "Tanz des Zorns für die sieben Trompeten".
7. Angst vor Stalin: Dmitri Schostakowitsch
Dmitri Schostakowitsch schrieb Auftragswerke für das stalinistische Regime, unter anderem 1927 eine Hymne zum zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution. Wer bei seinen Werken genau hinhörte, fand unterschwellig Hohn und Spott gegen seine Auftraggeber. Dafür wurde der russische Komponist zeitweise geächtet, denn auch Stalin hatte genau hingehört. Aufführungsverbote und gezielt lancierte schlechte Kritiken trieben ihn in die Depression bis hin zu Selbstmordgedanken. Zeit seines Lebens litt er unter der Angst vor dem russischen Geheimdienst.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte es Schostakowitsch zu Weltruhm gebracht. Seine frühen Werke wurden in der Sowjetunion zwar rehabilitiert, dennoch überkamen ihn die Ängste immer wieder: "Das Warten auf die Exekution ist eines der Themen, die mich mein Leben lang gemartert haben, viele Seiten meiner Musik sprechen davon." So auch die 15. Sinfonie in A-Dur op. 141 von 1971, Schostakowitschs letzte Sinfonie.
Er zitiert musikalisch aus eigenen Werken und aus denen anderer Komponisten, wie etwa die Szene der Todesverkündigung aus Wagners "Die Walküre". Die Sinfonie ist ein Rückblick auf sein Leben zwischen Angst und Loyalität gegenüber den sozialistischen Machthabern. Eine Moskauer Wochenzeitung schrieb: "Um die Geschichte unseres Landes zwischen 1930 und 1970 nachzuleben, reicht es aus, die Sinfonien von Schostakowitsch zu hören". Dmitri Schostakowitsch starb 1975 an einem Herzinfarkt.
Alle genannten Komponisten sind mit ihren "Schicksalswerken" beim diesjährigenBeethovenfest in Bonn vom 31. August bis zum 23.9. 2018 zu hören.