Siemens-Chef verzichtet auf Reise nach Riad
22. Oktober 2018Siemens-Chef Joe Kaeser hat seine Teilnahme an der am Dienstag beginnenden Investorenkonferenz in Riad abgesagt. Er habe sich lange Gedanken gemacht und letztlich die sauberste, wenn auch "nicht die mutigste" Entscheidung getroffen, erklärte Kaeser am Montag. Hintergrund der Absage ist der Fall des getöteten Journalisten Jamal Khashoggi im saudiarabischen Konsulat in Istanbul.
Kaeser begründete seine Entscheidung in einer langen Erklärung auf dem Karriere-Netzwerk Linkedin. Option eins wäre gewesen, nicht hinzufahren, Option zwei, einen Vertreter zu schicken und Option drei, "hinzufahren und darüber zu sprechen", erklärte Kaeser.
Lange habe er die dritte Möglichkeit erwogen, denn die Absage der Teilnahme wäre die "einfachste" Lösung gewesen und hätte bedeutet, sich hinter dem "Mainstream" zu verstecken, schrieb Kaeser in seinem Beitrag weiter. In der jüngsten Vergangenheit habe er dann "hunderte, wenn nicht tausende" Mails und Einträge in sozialen Netzwerken bekommen, die ihn zu einer Absage rieten und er habe sich Zeit für seine Entscheidung genommen.
Letztlich habe er sich entschieden, nicht nach Riad zu reisen. "Das ist keine Entscheidung gegen das Königreich", stellte er klar. Am wichtigsten sei derzeit aber, dass die "Wahrheit" ans Licht komme und Gerechtigkeit hergestellt werde.
Großer Markt für Siemens
Saudi-Arabien ist für Siemens ein Milliardenmarkt, derzeit ist das Unternehmen dort an zwei Großprojekten beteiligt: dem Bau eines Gaskraftwerks und der neuen U-Bahn in der Hauptstadt Riad. Kaeser begründete sein Zögern: Er habe die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen wollen: die Ziele und den Ruf von Siemens, die Partnerschaft mit den Kunden in der arabischen Welt und dem saudischen Königreich, eine geschäftliche Chance mit einem Wert von bis zu 30 Milliarden Dollar bis 2030 und tausende von Arbeitsplätzen in Saudi-Arabien und anderswo. "Und es ist keine Entscheidung gegen das Königreich oder dessen Volk", schrieb Kaeser. "Aber jetzt muss die Wahrheit (über das Verschwinden Khashoggis) herausgefunden und der Gerechtigkeit Genüge getan werden."
Der Siemens-Chef schloss sich damit nach langem Zögern einer ganzen Reihe anderer Wirtschaftslenker an, die ihre Teilnahme an der Investorenkonferenz ebenfalls abgesagt hatten, darunter Deutsche Bank-Chef Christian Sewig, aber auch führende Manager von US-Unternehmen wie Ford, Uber, Google, JP Morgan und Blackrock.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hatte als eine der ersten ihre Teilnahme in Riad abgesagt. Auch Medienpartner der Konferenz, die am morgigen Dienstag stattfindet, wie Financial Times und New York Times, kündigten die Partnerschaft auf. CNN, Bloomberg und The Economist zogen sich ebenfalls zurück.
Klare Ansage an den Kronprinzen
"Trotz des Geredes von Reformen bleiben die ausländischen Direktinvestitionen in Saudi-Arabien gering, und der Skandal wird die Unsicherheit der Investoren nur verstärken", warnen die Analysten von Capital Economics. Die diplomatischen Querelen mit Kanada und Deutschland nach Kritik an der Verfolgung der Opposition und der forschen Außenpolitik des Landes haben bereits westliche Unternehmer vorsichtig werden lassen.
Die Absagen großer Unternehmen bei der Investoren-Konferenz seien "mehr als eine bloße Imagefrage" für Saudi-Arabien, sagt die Analystin Cinzia Bianco von Gulf State Analytics. Die Botschaft der Konzerne an den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman sei, "genug des Abenteurertums, der Instabilität und der Ungewissheit". Gerade ehrgeizige Projekte des Kronprinzen wie die High-Tech-Stadt Neom dürften sich schwerer tun, die nötigen Investitionen im Ausland zu finden.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, sagte, die Wirtschaft betrachte die aktuellen Ereignisse rund um Khashoggis Tod "mit Sorge". Daher sei die "klare Haltung der Bundesregierung ein richtiges Zeichen", erklärte er mit Blick auf Äußerungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass es vorerst keine weiteren Rüstungsexporte an Saudi-Arabien geben werde. Die in Saudi-Arabien tätige deutsche Wirtschaft brauche "Vertrauen und Rechtssicherheit", erklärte der DIHK weiter. Deshalb müssten die Todesumstände Khashoggis "vollständig aufgeklärt werden".
Auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, sagte, auch die deutsche Wirtschaft verurteile die "abscheuliche Tat in aller Schärfe". Die Aufklärung von saudiarabischer Seite sei bislang "völlig unzureichend".
hb/dk (dpa,afp)