Siemens erlebt Debakel im Bahn-Geschäft
23. April 2013Für Siemens gerät die Bahntechnik immer mehr zur Riesenbaustelle. Nach den Lieferverzögerungen der neuen ICEs für die Deutsche Bahn gibt es nun auch Probleme mit den neuen Eurostar-Zügen für den Ärmelkanaltunnel, wie Siemens-Vorstand Roland Busch in einem Zeitungsinterview einräumte.
Die Pannenserie kostet die Münchener im ersten Geschäftshalbjahr mindestens 230 Millionen Euro. Die Rückstellungen für die Modelle Velaro D und Velaro Eurostar - wie die Hochgeschwindigkeitszüge im Firmenjargon heißen - im abgelaufenen Quartal würden die des Weihnachtsvierteljahres von 116 Millionen Euro noch übertreffen, räumte Busch in der "Süddeutschen Zeitung" ein.
ICEs überfällig
Wann die Deutsche Bahn die längst überfälligen ICEs bekommt, die Konzernchef Peter Löscher bereits für den vergangenen Winter versprochen hatte, ist weiterhin unabsehbar. Ende Juli beginne ein neuer Zulassungsprozess, erklärte eine Sprecherin. Erfahrungsgemäß dauere der vier bis 18 Monate. Die Behörden hatten sich bisher vor allem an der Zug-Software der neuen Flotte gestört.
Für die Münchner wird die Lieferung zu einem Geschäft, bei dem sie draufzahlen müssen. Schon nach den ersten Verzögerungen hatte das Unternehmen eingeräumt, nichts mehr an der Bestellung zu verdienen. Für den verpatzten Zeitplan geben Löscher und Busch den Zulassungsbehörden die Schuld. Die Bahn reagiert mittlerweile mit Schulterzucken: "Wir nehmen dies zur Kenntnis", erklärte ein Sprecher.
Lange Reihe von Patzern
Experten zweifeln angesichts einer Serie von verpatzten Großprojekten an der bei Siemens oft gerühmten Ingenieurskunst. So bekommen die Münchner neben den Zügen auch den Anschluss von Windparks vor der Nordsee-Küste nicht hin. Sogar Erzrivale ABB musste dem hängengelassenen Netzbetreiber dort aushelfen. Löscher gab für den Fristbruch auch hier den Behörden die Schuld.
In Finnland verzögert sich seit Jahren der einzige Neubau eines Atomkraftwerks in Europa, das Siemens mit seinem Partner Areva baut. Für Löscher haben die Franzosen dafür die Verantwortung. Im angestammten Transformatorengeschäft setzen dem Traditionsunternehmen mehr und mehr asiatische Konkurrenten zu, ein Stellenabbau läuft.
Vorstöße in neue Technologiefelder
Schief gingen in jüngster Zeit auch noch Vorstöße in neue Technologiefelder. Seine zusammengekaufte und verlustreiche Solarsparte bietet Siemens derzeit zum Kauf an. Doch mangels Interessenten kündigte Finanzchef Joe Kaeser eine weitere Abschreibung auf den Bereich an.
Die Produktion sogenannter Wechselrichter für die Photovoltaik-Industrie gibt Siemens auf. Die Schweizer ABB verkündete am Montag indes genau in diesem Bereich eine milliardenschwere Übernahme.
ul/ml (rtr, dpa, afp)