Auf dem Weg zur Fußball-Weltmacht
27. Juni 2018Was trinkt Messi da nur? Siegesgewiss lächelnd und mit erhobenem Daumen steht der argentinische Fußballstar vor einem Werbebanner, in der linken Hand hält er einen kleinen weißen Getränkekarton. Das Logo im Hintergrund ist chinesisch, ebenso der Aufdruck auf der Verpackung. Nur der Werbeslogan wurde holprig ins englische übersetzt: "Power of Nature, Born of Greatness". Um was geht es hier nur? Ein Muskelaufbaupräparat? Aber das wäre ja Doping. Dass es sich bei dem Produkt um Milch des Molkerei-Konzerns Mengniu, zu deutsch "mongolische Kuh", handelt, erkennt ein Chinese sofort. Der durchschnittliche Europäer erkennt allenfalls Lionel Messi, aber bei der Milch versteht er nur noch chinesisch. Und das ist nicht der einzige Fall bei dieser WM in Russland.
Wanda, Hisense, Mengniu und Vivo lauten die Namen, die - manchmal in Kombination mit chinesischen Schriftzeichen - bei jedem Spiel als Bandenwerbung erscheinen. Was da beworben wird, kann man nur ahnen. "Ich kauf mir einen 'Wanda' und lege ihn in meinen 'Vivo' ", spottete ein Twitter-User - nicht ahnend, dass es sich bei Wanda um einen der größten Immobilienkonzerne Chinas und bei Vivo um eine der beliebtesten Mobiltelefonmarken des Landes handelt.
Enorme Werbeeinnahmen aus China
Wanda, Mengniu, Vivo und der Elektronikgeräte-Hersteller Hisense sind die vier chinesischen Unternehmen, die sich dieses Jahr in den Kreis der zwölf wichtigsten offiziellen WM-Sponsoren eingekauft haben. Die gesamten Werbeeinnahmen während der WM belaufen sich auf 2,4 Milliarden US-Dollar, 835 Millionen hiervon stammen von chinesische Unternehmen. Und das, obwohl China bei der WM gar nicht mitspielt. Die Botschaft an die Zuschauer zu Hause lautet: Mit den chinesischen Marken ist China eben doch mit dabei. Und bisweilen öfter im Bild als die Torschützen.
Bei den Zuschauern außerhalb Chinas, die die meisten Produkte gar nicht kaufen können (und bei Mengniu-Yoghurt-Variationen mit "Käse-Mango"-Geschmack auch eher nicht zugreifen würden), sickern die Markennamen dennoch ins Bewusstsein - und schütteln auf Augenhöhe mit "Most Valuable Brands" wie Coca Cola, McDonalds oder Adidas das minderwertige "Made in China"-Image endgültig ab. Auch wenn es sich in diesem Fall nicht sofort auszahlt, ist die Wirkung der WM als Werbeplattform nicht zu unterschätzen: Den World Cup 2014 in Brasilien verfolgten insgesamt 3,2 Milliarden Menschen am heimischen Fernseher, via Handy oder Public Viewing. 43 Prozent der Weltbevölkerung!
Doch China will nicht nur Werbeweltmeister werden, sondern so bald wie möglich selbst zur Fußball-Weltmacht aufsteigen. Denn Fußball bedeutet Soft Power. Staatspräsident Xi Jinping, der ein großer Fußball-Fan sein soll, will die WM 2030 nach China holen und alles tun, damit die chinesische Nationalmannschaft bis spätestens 2050 auch einmal den Titel holt. Das scheint momentan jedoch noch ambitionierter zu sein als die für 2020 angepeilte erste chinesische Marsmission: Bislang schaffte Chinas Nationalmannschaft nur ein einziges Mal die WM-Qualifikation, und zwar 2002 für Japan und Südkorea. Damals schieden die Chinesen jedoch nach 0 Punkten, 3 Niederlagen und 0:9 Toren schon in der Vorrunde aus.
Die FIFA freut sich über neuen Wachstumsmarkt
Bis die sportliche Leistung stimmt, stürmen also die chinesischen Konzerne voraus, um den Weg zu ebnen. Die FIFA freut sich: China ist ein Wachstumsmarkt. Hier sitzt das Geld lockerer und der FIFA-Korruptionsskandal von 2015 hat kaum Spuren hinterlassen. Nachdem damals sieben hochrangige FIFA-Funktionäre verhaftet wurden, liefen dem Weltverband des Fußballs wichtige Werbe-Partner wie Sony und Continental davon. Während der Verband in den vier Jahren vor der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien noch 1,63 Milliarden Dollar einsammeln konnte, waren es vor der WM in Russland nur noch circa 1,45 Milliarden. Von den 34 Sponsorendeals, die für die WM 2018 angeboten wurden, verkaufte die FIFA nur noch 19 Pakete.
Chinesische Unternehmen sahen die Chance und boten sich - ähnlich wie Peking auf der politischen Weltbühne - als Partner an, wo andere ausstiegen. Die Wanda-Gruppe des chinesischen Multimilliardärs Wang Jianlin unterzeichnete im März 2016 einen Sponsorenvertrag als FIFA-Partner, und half dem Fußball-Weltverband die Einbußen durch den Image-Verlust wieder auszugleichen. In China moniert niemand die zunehmende Kommerzialisierung und den "Ausverkauf" des Fußballs. Im Gegenteil: Hier ist die Kommerzialisierung die Grundvoraussetzung, damit der Sport so richtig Fuß fassen kann.
Chinas Super League lockt internationale Fußballstars und Trainer mit Rekordgehältern ins Reich der Mitte. Ziel ist nicht zuletzt, mehr Menschen vor die Fernseher und in die Stadien zu bekommen. Um langfristig das sportliche Niveau zu heben, unterhalten chinesische Top-Clubs Partnerschaften mit europäischen Vereinen zum Erfahrungs- und Personal-Austausch. Besonders in der chinesischen Jugendarbeit mischt auch der DFB kräftig mit. Die Deutschen haben erkannt, dass man in China mit Fußball viel zusätzliches Geld verdienen kann. Schalke 04 hatte mit Hisense, dem immerhin viertgrößten TV-Hersteller der Welt, dem Mobiltelefon-Produzenten Huawei und dem Online-Gaming-Unternehmen K8 bereits drei chinesische Werbepartner, die Geld in die Kassen spülten. Und das ist nur eines von vielen Beispielen. Zwischen 2015 und 2017 pumpten chinesische Investoren rund 2,5 Milliarden Dollar in internationale Vereins-Anteile, von Inter Mailand bis Manchester City.
Wanda - eine chinesische Fußball-Größe
Am umtriebigsten zeigte sich aber auch hier Wang Jianlin. Mit seiner Wanda Group hält er seit 2011 ein Fünftel der Anteile an dem spanischen Spitzenverein Atletico Madrid. Das 2017 neu eröffnete Stadion des Clubs wurde sogar auf den Namen Wanda Metropolitano getauft. Jedes Jahr dürfen 30 chinesische Nachwuchsspieler unter 18 Jahren nach Spanien, um dort mit den Profis zu trainieren. Der Name des Programms: "China's Future Soccer Stars".
Doch das ist nicht alles: 2015 kaufte Wang das mächtige Schweizer Sportmarketing-Unternehmen Infront. Damit besitzt Wanda Übertragungsrechte für die Weltmeisterschaften 2018 und 2022. Wang geht es dabei auch um nationale Interessen. Der Wanda-Chef will Xi Jinping helfen, die WM 2030 nach China zu holen. Der Vertrag als FIFA-Großsponsor läuft noch bis 2030. Dadurch glaubt Wang eine gute Ausgangsposition im "Bieterprozess" zu haben. Die richtigen Freunde, die ihm dabei tatkräftig unter die Arme greifen können, hat er auch: Philippe Blatter, der Neffe des ehemaligen FIFA-Chefs Sepp Blatter managt nicht nur Infront, sondern ist seit Ende November auch Geschäftsführer der Wanda Sports Holding, der Sportsparte des chinesischen Konglomerats.
Jetzt fehlt eigentlich nur noch eins: Ein gutes Team, das auch Tore schießt. Das allerdings wird noch dauern.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.