Ilwad Elman erhält Deutschen Afrika-Preis
28. Oktober 2020Auch für den Deutschen Afrika-Preis bedeutet Corona eine echte Herausforderung. Bis zuletzt bangten die Organisatoren, ob die Präsenzveranstaltung mit der reduzierten Anzahl von 90 Ehrengästen unweit des Brandenburger Tores im Risikogebiet Berlin überhaupt stattfinden kann. Vor allem aber beunruhigte alle, ob die Hauptperson, die somalisch-kanadische Friedensaktivistin Ilwad Elman aus Mogadischu über Toronto überhaupt in Berlin ankommen würde.
Elman, die vor Krieg und Terror mit ihrer Mutter und zwei Schwestern als Kleinkind aus Somalia floh und mit 19 in ihr vom Bürgerkrieg zerstörtes Geburtsland zurückkehrte, ist Hindernisse gewöhnt – eine zwischenzeitliche Quarantäne in ihrer zweiten Heimat Kanada ist da eine der kleineren Hürden.
"Mit Ihnen hat der Deutsche Afrika-Preis eine würdige, inspirierende und zutiefst menschliche Preisträgerin gefunden", pries der deutsche Außenminister Heiko Maas die 29-Jährige in seiner Festrede. "Schon seit über einem Jahrzehnt setzen Sie sich für die Schwächsten der Gesellschaft ein – für Kindersoldaten, für Überlebende sexueller Gewalt, für die Opfer des in Ihrer Heimat leider weiterhin verbreiteten islamistischen Terrorismus. Davor habe ich größten Respekt."
Mehr diplomatische Präsenz in Krisengebieten
Gemeinsam mit ihrer Mutter Fartuun Adan setzte sie das Vermächtnis ihres Vaters Elman Ali Ahmed fort, der bereits in den 1990er Jahren Berufszentren für Kindersoldaten aufgebaut hatte, 1996 aber von Extremisten erschossen wurde. Ilwad Elman folgte ihrer Mutter 2010 nach Somalia und blieb auch nach einem zweiten schweren Schicksalsschlag bei ihrer Familie. Im November 2019 wurde ihre Schwester Almaas Elman in Mogadischu von einer Streukugel getroffen und starb - wer den Schuss abgab, ist bis heute nicht geklärt.
Außenminister Maas, der in den zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit bereits eine Reihe afrikanischer Staaten besucht hat, darunter Äthiopien, die Demokratische Republik Kongo, Sierra Leone und Sudan, warnte, dass auch der neuerdings beschworene 'Zukunftskontinent Afrika' zum Klischee werden könne. "Die Realität Afrikas, eines Kontinents, der doppelt so viele Staaten wie die EU umfasst und beinahe siebenmal so groß ist, ist komplex - ethnisch, sozio-kulturell, ökonomisch, historisch und religiös. Hinzu kommen die geopolitischen Umbrüche, die auch vor Afrika nicht Halt machen."
Deutschland müsse und wolle sein Instrumentarium anpassen. Seit dem deutschen G20-Vorsitz 2017 hat Berlin dem Nachbarkontinent deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet, darunter das Wirtschaftsprogramm "Compact with Africa", das einer wirtschaftlichen Kooperation klare politische Leitplanken setzt. Die Bundesregierung lud zudem zu mehreren Gipfeltreffen, verstärkte seine wirtschaftliche und politische Präsenz. Kritiker bemängeln freilich, dass andere Mächte – wie Frankreich oder Großbritannien – vor allem aber China deutlich mehr Einfluss auf dem Nachbarkontinent haben als Deutschland.
Maas versprach mehr Engagement, insbesondere eine größere diplomatische Präsenz in Krisenregionen, eine verstärkte strategische Kommunikation und eine nachhaltige Unterstützung bestehender Initiativen wie "Compact with Africa" oder die regionale Stabilisierungsallianz G5 im Sahel. "Uns ist aber klar", räumte Maas ein, "dass wir – in Afrika, Europa und anderswo – noch mehr Menschen von Ihrem Kaliber benötigen, liebe Frau Elman! Frauen und Männer, die bereit sind, unter oft widrigsten Umständen für die Menschlichkeit einzutreten. Die ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit erheben".
Eine Stimme für den Frieden
Ilwad Elman zählt trotz ihres jungen Alters zu Somalias führenden Friedensaktivistinnen und einflussreichsten jungen Stimmen Afrikas. Ihr Elman Peace Center hat Tausenden Kindersoldaten und missbrauchten Mädchen und jungen Frauen bereits Therapien, Beratung und Ausbildung verschafft. Das Center hat inzwischen acht Filialen in Somalia und über 170 Mitarbeiter – das Kindersoldatenprogramm "Drop the Gun, pick up the pen" ("Leg die Waffe nieder und greif zum Stift") wird inzwischen auch in Boko-Haram- und Al-Kaida-Hochburgen in Nigeria, Kamerun, Tschad und Mali angewandt.
"Ihr Credo ist, Türen zu öffnen, durch die man hindurchgehen kann", sagte der Jury-Vorsitzende des Afrika-Preises Claus Stäcker in seiner Laudatio. "Sie sind zur Inspiration geworden für junge Frauen und Männer in Somalia, auf dem afrikanischen Kontinent und weit darüber hinaus. In Tagen blutiger Gewalt gegen Zivilisten in Nigeria, in Guinea oder zuletzt sogar gegen Schüler in Kamerun sind Sie eine besondere Mutmacherin für die junge Generation Afrikas."
Seit dem Sturz von Diktator Siad Barre 1991 versank Somalia in einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg, der bis heute nachwirkt. Islamistische Milizen kontrollierten weite Teile des Landes, immer wieder stellen verheerende Terroranschläge der Al Shabaab mühselig erreichte Fortschritte in Frage. Immer mehr Rückkehrer wie Ilwad Elman glauben aber felsenfest an eine bessere Zukunft.
"78 Prozent der somalischen Bevölkerung sind jünger als 30", sagte Elman bei der Verleihung, die in wenigen Wochen selbst erst 30 wird. "Ich gehöre schon fast zu den Alten, aber es sind diese jungen Leute, die anders leben wollen und denen ich vielleicht ein Vorbild sein kann. Die Generation vorher kannte nur Krieg, jetzt gibt es mehr und mehr Leute, die Frieden und sozialen Fortschritt als reelle Möglichkeit erkennen".
Sie sei sehr froh über den Deutschen Afrika-Preis, weil es wichtig sei für sie und ihr Team, Anerkennung von Gleichgesinnten in aller Welt zu bekommen. Gleichzeitig habe sie aber auch schockiert, wie negativ das Bild von Somalia in Deutschland sei. Der Preis verschaffe ihr die Möglichkeit, das wahre Bild ihres Landes und die Fortschritte, die es gebe, zu zeigen.
Auf Deutschland hält Elman besonders große Stücke: Die Somalier würden Deutschland vertrauen und als soliden Partner ohne versteckte Agenda wahrnehmen. Viel wichtiger als wohltätige Spenden seien echte Partnerschaften und Investitionen. "Dinge verändern sich Tag für Tag. Somalia besteht nicht nur aus Ruinen und Einschusslöchern. Es gibt Leben, es gibt Gemeinschaft. Es wird gelacht, geliebt und es gibt enorme Widerstandskraft. Noch nie war der Frieden in Somalia so greifbar nahe wie heute."
Der Deutsche Afrika-Preis gilt als renommierteste Auszeichnung Deutschlands für afrikanische Akteure für Frieden, Versöhnung und sozialen Fortschritt. Der undotierte Preis wird seit 1991 jährlich von der Deutschen Afrika-Stiftung vergeben, die sich als unparteiische Organisation versteht und sich für ein besseres Verständnis des Nachbarkontinents in Deutschland einsetzt. Frühere Preisträger waren unter anderen die kenianische IT-Pionierin Juliana Rotich, der ugandische Menschenrechtsanwalt Nicholas Opiyo und Südafrikas frühere Ombudsfrau Thulisile Madonsela.