Spahn ist zufrieden mit der Impfaktionswoche
19. September 2021"Wir haben in der Aktionswoche insgesamt rund 500.000 der wichtigen Erstimpfungen geschafft, etwa die Hälfte dürfte auf Aktionen zurückgehen", sagte der CDU-Politiker. Vereine, Organisationen, Privat-Initiativen und Freiwillige hätten bundesweit rund 1500 Impfaktionen auf die Beine gestellt. Möglicherweise habe es noch deutlich mehr gegeben. Mit kreativen Aktionen vor Ort sollten Ungeimpfte von einer Corona-Impfung überzeugt werden.
Trotz der Fortschritte zeigte sich Spahn besorgt über die große Gruppe Ungeimpfter in der älteren Bevölkerung. "Von den 24 Millionen Menschen im Alter über 60 Jahren sind knapp vier Millionen noch ungeimpft, das ist fast jeder sechste in dieser Risikogruppe", sagte der Minister. "Würde sich ein Großteil dieser Gruppe mit der sehr ansteckenden Delta-Variante innerhalb weniger Wochen infizieren, dann würden unsere Intensivstationen sehr unter Stress kommen", warnte er.
Spahn sprach sich für steuerliche Anreize aus, um das Impftempo zu erhöhen. "Wir sollten Unternehmen unterstützen, die sich zum Beispiel mit Rabattaktionen fürs Impfen engagieren", sagte er. Solche Aktionen von Unternehmen für ihre Beschäftigten oder Kunden könne der Staat steuerlich fördern. Staatliche Impfprämien lehnte Spahn dagegen ab. Solche Anreize seien denen gegenüber unfair, die schon geimpft seien. Bisher wurden laut Bundesregierung gut zwei Drittel der Menschen in Deutschland mindestens einmal geimpft.
Rätselraten über Ursache
Die Zahl der registrierten Neu-Ansteckungen in Deutschland geht indes weiter zurück. Das Robert Koch-Institut (RKI) zählte am Sonntag 3736 neue Positiv-Tests. Das waren 1775 weniger als eine Woche zuvor. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt aktuell bei 71. Vor einer Woche hatte sie noch 81,9 betragen. Die Inzidenz gibt, an wie viele Menschen je 100.000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben.
Damit scheint die rasante Verschärfung der Infektionslage seit Mitte Juli erstmal gestoppt. Über die Gründe für die Entspannung können auch Fachleute nur spekulieren.
"Das ist die Gretchenfrage", sagte Dirk Brockmann, der am RKI Epidemiologische Modelle erstellt, dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Es könne unter anderem sein, "dass die Tests an den Schulen, die ja durchgeführt werden, jetzt Wirkung zeigen - dass die Kinder also in Quarantäne geschickt und Infektionsketten durchbrochen werden. Eine andere Möglichkeit ist, dass doch mehr Menschen immun sind, also eine Dunkelziffer eine Rolle spielt." Zudem sei das Impfen wichtig und auch das gute Wetter der letzten Wochen. "All das sind Faktoren, die zusammenspielen, aber unter dem Strich können wir nur Hypothesen aufstellen darüber, warum die Zahlen nicht weiter steigen."
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, forderte unterdessen für den 30. Oktober die Aufhebung aller Corona-Beschränkungen. "Nach den Erfahrungen aus Großbritannien sollten wir auch den Mut haben zu machen, was auf der Insel geklappt hat. Also braucht es jetzt eine klare Ansage der Politik: In sechs Wochen ist auch bei uns Freedom Day!", sagte der Kassenärztechef.
Debatte über Freedom Day
Über diese Forderung ist eine heftige Diskussion entbrannt. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält dies für "nicht ethisch vertretbar". Die Welle der Pandemie, die dann käme, wäre zu groß, warnte der SPD-Politiker auf Twitter. Besser wäre eine Öffnung, wenn 85 Prozent geimpft seien. Bis dahin sollte die 2G-Regel gelten.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen widersprach Gassen ebenfalls. Die Forderung widerspreche unter anderem der Haltung der Mehrheit der niedergelassenen Ärzte. Für eine Lockerung der Maßnahmen bräuchte es eine Impfquote bei den über 60-Jährigen von deutlich über 90 Prozent, in der Gesamtbevölkerung bei den impffähigen Personen von über 80 Prozent. Er nannte Gassens Vorschlag "zynisch".
Zuspruch erhält Gassen dagegen von der AfD. Die Spitzenkandidatin Alice Weidel teilte mit: "Die Kassenärzte wissen besser als alle selbst ernannten Gesundheitsexperten um die Corona-Lage und den Zustand unseres Gesundheitssystems. "Statt 2G-Regime und Lockdown für Ungeimpfte braucht Deutschland schnellstmöglich den Freiheitstag."
Abrupter Sinneswandel in Italien
In Italien führte die Ausweitung der Anwendung des sogenannten Grünen Passes für Corona-Impfungen und -Tests zu einer deutlichen Zunahme der Impfbereitschaft. "Landesweit gab es einen Anstieg der Terminvereinbarungen für Erstimpfungen um 20 bis 40 Prozent im Vergleich zur Vorwoche", erklärten die Behörden.
In Italien müssen ab dem 15. Oktober alle Arbeitnehmer mit dem "Grünen Pass" eine Corona-Impfung oder einen negativen Test vorweisen, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen. Andernfalls drohen Sanktionen. Wer der Arbeit fernbleibt, weil er das Dokument nicht vorweisen kann, muss mit einer Suspendierung rechnen. Tests sind nur für Menschen kostenlos, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können.
23 Millionen Beschäftigte betroffen
Die Entscheidung der Regierung betrifft rund 23 Millionen Arbeitnehmer. De facto sind unter den Erwachsenen nur noch Rentner, Arbeitslose sowie Hausfrauen und Hausmänner von der Passpflicht befreit. Bislang musste der Pass bereits in den Innenräumen von Restaurants, in Kinos oder Sportstadien, in Intercity-Zügen, Bussen und auf Inlandsflügen vorgelegt werden.
Bei medizinischen Berufen besteht in Italien die Impfpflicht schon länger. Nach Angaben des nationalen Ärzteverbandes wurden bisher 728 Mediziner vom Dienst suspendiert, weil sie sich nicht impfen ließen. Derzeit sind knapp 76 Prozent der Italiener über zwölf Jahren vollständig gegen das Coronavirus geimpft.
kle/rb (dpa, rtr, afp)