Spannungen beim NATO-Geburtstag
4. Dezember 2019Die Queen hatte offenbar keine Lust, die ganze NATO-Familie zum Dinner einzuladen. Donald Trump hatte sein Staatsbankett schließlich schon im Sommer gehabt, also war der Höhepunkt des royalen Prunk zum 70. Geburtstag des Bündnisses ein Stehempfang im Buckingham Palace. Auf den folgte dann ein zweiter in der Downing Street, so dass die britischen Gastgeber den Regierungschefs am Ende nur ein paar Drinks angeboten hatten.
Auch Boris Johnson hatte mit seinen Kollegen, insbesondere dem US-Präsidenten, wohl nicht den Abend verbringen wollen. Oder hatte er mitten im britischen Wahlkampf nur Angst vor den Fotos mit Trump? Selbst die Gegendemonstration, die im Sommer noch Hunderttausende auf die Straßen gebracht hatte, blieb diesmal eher matt. Es scheint eine gewisse Trump-Ermüdung zu geben.
Die Kunst der paradoxen Intervention
Am meisten Aufsehen hatten am Vortag die Bemerkungen von Donald Trump über den französischen Präsidenten erregt. Es sei "übel und respektlos", wie Emmanuel Macron die NATO als "hirntot" bezeichnet habe, Frankreich brauche die NATO mehr als andere, was der US-Präsident aber nicht näher erklärte. Aber Gelbwestenproteste und Wirtschaftsschwäche gaben ihm reichlich Anlass zur Häme.
Der Auftritt sorgte für reichlich Spott, denn schließlich hatte Trump die NATO als "obsolet" erklärt und noch vor dem Treffen in London sein früherer Sicherheitsberater John Bolton. Nach seiner Wiederwahl wolle der Präsident dann vermutlich aus dem Bündnis aussteigen. Psychologen nennen Macrons Taktik, mit der er Trump zu einem glühenden Unterstützer der NATO machen will, eine "paradoxe Intervention". In der Pädagogik macht man das bei kleinen Kindern, denen man das Gegenteil einredet, damit sie den elterlichen Willen annehmen.
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz dann traute sich Trump nicht, dem Franzosen seine abwertenden Bemerkungen über dessen Land noch einmal ins Gesicht zu sagen. Und Macron zahlte ihm in ähnlicher Münze wenn auch etwas eleganter alles heim. Als Trump scherzte, ob der französische Präsident ein paar Isis-Kämpfer haben wolle, er könne sich quasi jeden aussuchen, giftete der nur:"Lassen Sie uns ernsthaft sein".
Und was den türkischen Präsidenten und seine unilaterale Politik im syrischen Grenzgebiet angeht, so sei sein Militäreinsatz gegen die Kurden kurz auf den mit dem Bündnis ebenfalls nicht abgesprochenen Abzug der US-Truppen aus der Region erfolgt. Dabei sei doch das wichtigste Ziel, den Kampf gegen den IS zu Ende zu bringen, sagte Macron und machte deutlich, was er von der Politik der erklärten Freunde in Washington und Ankara hält.
Außerdem hätten die Türken lange mit IS-Unterstützern zusammen gearbeitet. Und überhaupt: Wie sei es möglich, dass die Türkei das russische S-400 Raketensystem gekauft habe, wo doch in der NATO der Grundsatz gelte, keine Waffen außerhalb des Bündnisses einzukaufen. Das müsse Präsident Erdogan erst noch erklären.
Macron, den eine Retourkutsche des türkischen Präsidenten auf seine "Hirntod"-Bemerkungen zutiefst verärgert hatte, teilte gegen beide derzeitigen Störenfriede in der NATO kräftig aus. Trump solle in Bezug auf das Bündnis nicht immer nur über Geld reden, belehrte er den US-Präsidenten noch. Der konnte es nämlich auch in London nicht lassen, von "delinquenten" Mitgliedsstaaten zu sprechen, die ihr Zwei-Prozent-Ausgabenziel nicht erfüllen würden.
Gibt es eine Abschlusserklärung?
Die Tagesordung war extra so geplant worden, dass strittige Themen außen vor bleiben würden. Außerdem soll das Treffen nur drei Stunden dauern, das reduziert die Möglichkeit zum Streit. Schließlich wollte man ein Bild der Geschlossenheit bieten. Aber daraus wird wohl wieder nichts. Eine Diskussion über Gefahren aus dem Weltraum und durch den Terrorismus könnte eigentlich ganz unstrittig verlaufen. Auch wird zum ersten Mal China in das offizielle NATO-Weltbild aufgenommen als Macht, die "Chancen und Bedrohungen" beinhalte, was vorher abgestimmt war.
Das heißt noch lange nicht, dass sich die NATO-Mitglieder über eine gemeinsame Chinapolitik einig wären. Hier verfolgen viele Mitgliedsländer, insbesondere auch Deutschland, in erster Linie ihre eigenen Interessen. Aber für ein paar schlichte Sätze über die aufsteigende Weltmacht reicht die Gemeinsamkeit noch. Und auch gegen den Vorschlag, Experten mit einer strategischen Diskussion über Ziele und Zukunft des Bündnisses zu beauftragen, gibt es keinen Widerstand. Reden kostet schließlich nichts.
Gesprengt werden könnte die angestrengte Einigkeit allerdings von der Türkei. Sie scheint ernsthaft damit zu drohen, die Schlusserklärung zu boykottieren, wenn die NATO nicht der türkischen Definition von Terrorismus folgen wolle, die sich gegen die kurdische YPG richtet. Allen voran Präsident Macron denkt gar nicht daran, schließlich hätten die Kurden die Hauptlast im Kampf gegen IS getragen.
NATO-Generalsekretär Stoltenberg oder etwa Angela Merkel müssen ihre diplomatischen Künste einsetzen, um hier eine gesichtswahrende Formel zu finden. Präsident Erdogan, der sowieso an der NATO vorbei mit Russland flirtet, scheint auf Streit aus zu sein. Je tiefer seine Beliebtheit im eigenen Land fällt, desto streitlustiger wird er nach außen. Und ein Treffen am Rande zum Thema Syrien, an dem der britische Gastgeber, Emmanuel Macron, Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan teilgenommen hatten, war völlig ergebnislos verlaufen. "Es war ein gutes Treffen", sagte Bundeskanzlerin, aber man müsse weiter reden. Bekanntermaßen ist sie dabei unendlich geduldig.
Als letztes Spannungselement bleibt noch das Treffen zwischen Merkel und Trump gleich nach der offiziellen NATO-Sitzung. Wird der Präsident sie wieder wegen der Militärausgaben unter Druck setzen, ihre Weigerung Huawei aus Deutschland auszusperren aufs Korn nehmen oder die deutsche Autoexporte beklagen? Zumindest vor persönlichen Beleidigungen scheint die Kanzlerin dabei sicher: Bei Donald Trump ist wie auf dem Schulhof – Gemeinheiten über andere lässt er vor allem in deren Abwesenheit ab.