Chinas Ein-Kind-Politik
25. Oktober 2011Ende der 70er Jahre, nach der 10-jährigen sogenannten Kulturrevolution, stand die Wirtschaft Chinas vor dem Zusammenbruch. Es herrschten Armut und Wohnungsnot, und es gab einen Überschuss an Arbeitskräften. Die Regierung fürchtete, dass das Land langfristig seine Bevölkerung nicht werde ernähren können, wenn das explosionsartige Bevölkerungswachstum ungebremst weiter ginge. Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, führte die Volksrepublik China im Jahr 1979 eine staatlich gelenkte Geburtenkontrolle ein.
Soziologieprofessor Zhou Xiaozheng von der Renmin-Universität in Peking erinnert sich: "Mao Zedong war der absurden Meinung, je mehr Menschen es gibt, desto stärker ist das Land. Nach der Kulturrevolution und Maos Tod startete die nachfolgende Regierung eine völlig entgegengesetzte Offensive." Von da an durfte jede in der Stadt lebende Familie nur noch ein Kind zur Welt bringen. Zwei Jahre später machte die Regierung die sogenannte "Ein-Kind-Politik" zur obersten innenpolitischen Priorität.
400 Millionen Geburten weniger
Die Ein-Kind-Familienplanungspolitik wird in Chinas Großstädten bis heute weitgehend praktiziert. Bei einer Behinderung oder dem Tod des ersten Kindes gesteht das Gesetz der Familie ein zweites Kind zu. Auch in ländlichen Regionen darf eine Familie zwei Kinder haben, wenn das erste ein Mädchen ist. Traditionell bevorzugen die Landbewohner den männlichen Nachwuchs als Stammhalter. Bevölkerungsarme ethnische Minderheiten unterliegen derweil keinerlei Geburtenkontrolle.
Die chinesische "Ein-Kind-Politik" sei ein bedeutender Beitrag zur Verlangsamung des Weltbevölkerungswachstums, so die staatliche Kommission für Bevölkerungs- und Familienplanung. Während Anfang der 1970er-Jahre eine chinesische Frau im Laufe ihres Lebens 5,8 Kinder bekam, sind es heute nur noch 1,8. Ohne die "Ein-Kind-Politik" wären in den vergangenen 30 Jahren in China nach offiziellen Angaben rund 400 Millionen mehr Menschen geboren worden.
13 Millionen Abtreibungen im Jahr
Um die "Ein-Kind-Politik" konsequent durchzusetzen, verlassen sich die zuständigen Behörden nicht nur auf die freiwillige Mitwirkung der Eheleute. Die Behörden setzen zur Geburtenkontrolle auch Zwangsabtreibungen ein. Wie viele es sind, sei kaum zu ermitteln, sagen Experten. Praktisch jede chinesische Kreisstadt besitzt eine Stelle für Bevölkerungs- und Familienplanung, und jede dieser Behörden handelt mehr oder weniger nach eigenen Maßstäben. Ein Bericht aus dem Jahr 2009 in der englischsprachigen Tageszeitung "China Daily" beziffert die Zahl aller Abtreibungen auf 13 Millionen pro Jahr.
Für Reggie Littlejohn, Anwältin und Gründerin der Menschenrechtsorganisation "Women's Rights Without Frontiers" mit Sitz in den USA, hat die "Ein-Kind-Politik" mit Familienplanung wenig zu tun: "Den Menschen beizubringen, das Bevölkerungswachstum zu verlangsamen, ist die eine Sache. Frauen zur Abtreibung zu zwingen, neu geborene Babys zu töten, ist aber etwas völlig anderes. Meiner Meinung nach ist die 'Ein-Kind-Politik' eine von der chinesischen Regierung angeordnete Gewalttat, eine massive Verletzung der Frauenrechte."
In einem Bericht, den Littlejohn vor zwei Jahren dem US-Kongress vorgelegt hatte, berichtete sie über das Schicksal von Wang Liping. Wang sei mit einem unehelichen Kind im siebten Monat schwanger gewesen, als sie auf der Straße von unbekannten Männern überfallen und ins Krankenhaus gezerrt wurde. Dort sei sie zur Abtreibung gezwungen worden. Wang ist eine von unzähligen Chinesinnen, die das gleiche Schicksal teilen, sagt Littlejohn: "China hat die höchste Selbstmordquote von Frauen. Statistiken zufolge gibt es jeden Tag 500 Fälle. Ich will aber nicht behaupten, dass dies in direkter Verbindung mit den Zwangsabtreibungen steht."
Zwangsabtreibungen seien ein massiver Eingriff in die Privatsphäre. Sie verletzen die Menschenrechte der betroffenen Frauen, kritisiert Littlejohn. Sie fordert die chinesische Regierung auf, diese Praxis der Geburtenkontrolle einzustellen. Sie appelliert an die internationale Gemeinschaft, in diesem Sinn Druck auf Peking auszuüben.
Konsequenzen für die Gesellschaft
Soziologieprofessor Zhou Xiaozheng plädiert für die Abschaffung der "Ein-Kind-Politik". Sie habe negative Konsequenzen für die gesamte chinesische Gesellschaft, fördere eine Überalterung und führe zu einem wachsenden Egoismus der Heranwachsenden: "Ohne das gemeinsame Aufwachsen mit Geschwistern und stattdessen überschüttet von der Liebe der Eltern und Großeltern, entwickeln viele Einzelkinder ein Defizit an Sozialkompetenz." Für Zhou bedeutetet diese Politik die Notmaßnahme einer vergangenen Epoche. Nun sei es an der Zeit, die Politik den veränderten Umständen anzupassen.
Autorin: Xiegong FischerRedaktion: Ana Lehmann