SPD-Parteitag wirft Fragen auf
16. November 2013"Kommen sie unversehrt wieder zurück", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel jenen Sozialdemokraten gewünscht, die sich am Mittwoch (13.11.2013) nach den Koalitionsverhandlungen mit der Union in Berlin auf den Weg zum SPD-Bundesparteitag machten. Merkel ahnte vielleicht, dass es für die SPD-Führungsriege in Leipzig nicht einfach sein würde. Wie groß der Unmut der SPD-Parteibasis über eine Regierungsbildung mit CDU und CSU tatsächlich ist, hatte aber selbst der Parteivorstand unterschätzt.
In den ersten Redebeiträgen aus den Reihen der rund 600 Parteitags-Delegierten kündigte sich schon an, was sich später in den Wahlergebnissen des Parteivorsitzenden, seiner fünf Stellvertreter und weiterer Mitglieder des erweiterten SPD-Vorstands niederschlagen sollte. Die Parteibasis ist weit davon entfernt, ihrem Führungspersonal politisch zu folgen und zu vertrauen. "Wir werden die Große Koalition ablehnen", kündigte Lars Winter vor dem Plenum unumwunden an. Der Kreisvorsitzende der SPD Ostholstein fürchtet Massenaustritte aus der SPD - und sogar das Ende der Volkspartei. Es werde die Partei zerreißen, wenn sie in einer Koalition ihrer Programmatik widersprechende Themen vertreten müsse.
Banger Blick nach vorne
So wie Winter denken viele in der SPD. Spätestens im Dezember könnte das für die Parteiführung zu einem echten Problem werden. Dann sind die 473.000 SPD-Mitglieder aufgerufen, per Briefwahl über den Koalitionsvertrag mit der Union abzustimmen. Rund eine Million Euro lässt sich die Partei die basisdemokratische Entscheidung kosten. Das Ergebnis soll bis zum 15. Dezember verkündet werden.
Gabriel warb in seiner Rede mit Nachdruck für eine Beteiligung der SPD an der kommenden Bundesregierung. "Die SPD darf nicht zu einer Partei werden, die aus Angst vor den Mühen der Arbeit in einer ungeliebten Koalition die Chance verpasst, im realen Leben Dinge zum Besseren zu wenden."
Große Skepsis
Bei vielen SPD-Mitgliedern stößt diese Aufforderung nach den Erfahrungen mit der Großen Koalition zwischen 2005 und 2009 jedoch auf massive Bedenken. "Wir werden kein zweites Mal eine Politik betreiben, bei der die SPD wieder gegen ihr Selbstverständnis verstößt", versprach Gabriel den Delegierten. Eine Regierungsbeteiligung der SPD komme nur dann in Frage, wenn bestimmte Forderungen durchgesetzt würden. Dazu gehöre die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro, die Bekämpfung der Altersarmut, die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft und die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren.
Ohrfeige in der Vorstandswahl
Der Frust der SPD-Basis über die verlorene Bundestagswahl und die in Aussicht stehende Juniorpartnerschaft mit CDU und CSU sitzt tief. Luft machten sich die Emotionen bei den Wahlen zum Parteivorstand.
Sowohl der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel als auch seine fünf Stellvertreter und die Generalsekretärin Andrea Nahles wurden vom Parteitag zwar mehrheitlich gewählt und damit in ihren Ämtern bestätigt. Die Wahlergebnisse lagen zum Teil allerdings deutlich unter den Ergebnissen der Vorstandswahl 2011. Gabriel erzielte 83,6 Prozent, Nahles nur 67,2 Prozent. Für beide war es ihr bisher schlechtestes Ergebnis in vier Jahren Amtszeit.
Mehr als ein Warnschuss
Abgestraft wurden auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz und die Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, Hannelore Kraft. Für Kraft, die nach der Bundestagswahl zunächst gegen eine Koalition mit der Union war, ihre Meinung aber anschließend änderte, stimmten 85,6 Prozent, das ist ein Minus von rund zwölf Prozent.
Es sollte für die Parteiführung am Freitagnachmittag sogar noch schlimmer kommen. Bei der Wahl des 35-köpfigen erweiterten Parteivorstands fielen im ersten Wahlgang fast alle Kandidaten durch, auch Ministerpräsidenten und SPD-Chefs der Bundesländer. Parteichef Gabriel sah sich schließlich gezwungen, ans Rednerpult zu gehen und die Delegierten zu ermahnen. Die Partei brauche die SPD-Landesvorsitzenden im Vorstand. "Meine herzliche Bitte, tut mir den Gefallen und wählt sie", appellierte Gabriel.
Emotionaler Abschluss
Ein Vorgehen, das so ungewöhnlich war, wie der Parteitag selbst, das ist Sigmar Gabriel durchaus klar. "Dieser Parteitag ist ein Parteitag des Übergangs. Er findet zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt statt", sagte der SPD-Chef zum Abschied am Samstag. Die schlechten Ergebnisse bei der Wahl des Parteivorstands bezeichnete er als "absolut normal". Sie seien ein Zeichen des "Unwohlseins" angesichts der Wahlniederlage bei der Bundestagswahl und des noch offenen Ergebnisses der Koalitionsverhandlungen.
Wenn es die Verhandlungsführer in Berlin schaffen würden, wichtige sozialdemokratische Forderungen im Koalitionsvertrag festzuschreiben, dann dürfe die SPD aber keinen Zweifel daran lassen, dass die Partei den Vertrag auch unterschreibe. "Wenn wir das hinkriegen, dann brauche ich eure Hilfe", rief Gabriel den Delegierten zu. Jeder Delegierte müsse sich dann in seinem Orts-, Kreis- und Landesverband für den Vertrag einsetzen und die Mitglieder an der Basis überzeugen.