SPD: Sondieren und sich weiter zieren
15. Dezember 2017Aufbruch und Zuversicht sehen anders aus. Mit ernster Miene verkündete SPD-Parteichef Martin Schulz in Berlin, was am Vormittag zunächst im Präsidium beraten und anschließend im 45-köpfigen Parteivorstand beschlossen worden war. Ja, die SPD will mit CDU und CSU über eine Zusammenarbeit reden und nein, das bedeutet keinesfalls, dass es tatsächlich auf eine dritte Auflage der großen Koalition unter einer Kanzlerin Angela Merkel hinauslaufen wird. Die SPD wolle zu einer "möglichst stabilen Regierungsbildung in diesem Lande" beitragen, so Schulz. Die Gespräche würden "konstruktiv" aber auch "ergebnisoffen" geführt. "Ob die Gespräche in einer Regierungsbildung münden, ist offen. Das meinen wir sehr ernst."
Präsidium und Vorstand der SPD hätten länger als vorgesehen beraten, berichtete Schulz aus der Sitzung im Willy-Brandt-Haus. Es habe "viele Wortmeldungen" gegeben, am Ende habe sich der Vorstand aber einstimmig für die Sondierungen ausgesprochen. Damit folgt die SPD-Führung der Marschrichtung, die vor einer Woche auf dem Bundesparteitag in Berlin festgelegt wurde. "Die essentiellen Punkte dieses Parteitagsbeschlusses sind vom Vorstand noch einmal unterstrichen worden und sie sind die inhaltliche Grundlage der Gespräche, die wir mit den Unionsparteien führen werden", so Schulz.
Merkel begrüßt SPD-Entscheidung
Anfang Januar sollen die Sondierungen beginnen und, wenn es nach der SPD geht, etwa zwei Wochen dauern. "Es geht um viel, wir haben uns ehrgeizige Ziele gesetzt", betont Schulz. "Für mich, meine Frau und meine Angehörigen sind die Weihnachtsferien abgesagt." Das gelte auch für den Großteil seiner Mitarbeiter, sowie für SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles und deren Teams.
Merkel begrüßte die Entscheidung des SPD-Vorstands und pochte erneut auf die Bildung einer stabilen Regierung. In den nächsten Wochen werde es mit der SPD darum gehen, jene Fragen zu lösen, die die Menschen bewegten, sagte die CDU-Vorsitzende beim CSU-Parteitag in Nürnberg.
Zwölf Köpfe soll das SPD-Sondierungsteam umfassen. Dazu sollen neben Schulz, Nahles und Klingbeil die sechs stellvertretenden Parteichefs sowie der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, NRW-Landeschef Michael Groschek und die saarländische Vize-Regierungschefin Anke Rehlinger gehören. Weil und Rehlinger seien berufen worden, weil sie in diesem Jahr bereits über große Koalitionen verhandelt haben, sagte Schulz. Groschek hingegen leitet den größten SPD-Landesverband, der besonders kritisch gegenüber der großen Koalition eingestellt ist. Außenminister Sigmar Gabriel, der bisherige Vizekanzler und Architekt der letzten großen Koalition, soll nicht mit sondieren.
Vor Weihnachten soll es nochmals ein Vorbereitungsgespräch der Partei- und Fraktionschefs von CDU, CSU und SPD geben. Dafür ist der kommende Mittwoch im Gespräch. Dann würden auch die genauen Zeitpläne für die weiteren Verhandlungen festgelegt.
Die Jusos wollen die GroKo verhindern
Nach wie vor sind in der SPD die Vorbehalte gegen eine Neuauflage der großen Koalition enorm. Wobei sich weniger die Funktionäre als vielmehr die einfachen Partei-Mitglieder gegen ein erneutes Zusammengehen mit der Union sträuben. Als Bollwerk gegen die "GroKo" verstehen sich die Jusos, das ist die Jugendorganisation in der SPD. Sie wollen in den kommenden Wochen nichts unversucht lassen, um eine Neuauflage der ungeliebten Koalition zu verhindern. Stattdessen favorisieren die Jusos die Tolerierung einer Minderheitsregierung oder eine sogenannte Kooperationskoalition (Koko), bei der die SPD zwar auch Minister in der Regierung stellen, aber nur in zentralen Themenbereichen wie Europa, Migration oder innerer und äußerer Sicherheit kooperieren würde.
Doch davon wollen CDU und CSU nichts wissen. Alles jenseits einer stabilen Koalition ist der Union zu unsicher und sie lässt keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen. Zuletzt in der Erklärung, die nach einem ersten Gespräch der Partei- und Fraktionschefs von Union und SPD am Mittwochabend herausgegeben worden war. CDU und CSU wollten mit der SPD "Sondierungen zur Bildung einer stabilen Regierung" aufnehmen, stand da. Eine Absicht, die von führenden Unionspolitikern auch immer wieder unterstrichen wird.
CSU zieht "rote Linien"
Darüber hinaus werden aus den Unionsparteien heraus politische Projekte der SPD bereits abgelehnt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und der designierte bayerische Ministerpräsident Markus Söder erteilten der Bürgerversicherung, in die auch Beamte und Selbständige einzahlen sollen, am Freitag noch einmal eine klare Absage. "Das ist ein alter Ladenhüter, der zu mehr Kosten und weniger Leistung führt", so Söder vor Beginn des CSU-Parteitags in Nürnberg gegenüber der ARD.
Auch beim Thema Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem, also eingeschränktem Schutzstatus sei die Union nicht zu Zugeständnissen gegenüber den Sozialdemokraten bereit. "Das Aussetzen des Familiennachzugs war und ist richtig", sagte Dobrindt über die derzeit bis März geltende Regelung. "Wenn man den Familiennachzug jetzt wieder ermöglichen würde, bedeutet dies eine völlige Überforderung der Integrationsfähigkeit Deutschlands und würde die AfD weiter stärken - das kann auch die SPD nicht wollen."
SPD will keinen Ausverkauf ihrer Werte
Doch sowohl die Bürgerversicherung als auch der Familiennachzug sind auf dem SPD-Parteitag vor einer Woche noch einmal als unabdingbare Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit mit der Union festgelegt worden. "Die SPD wird sich nicht unter Wert verkaufen", wiederholt SPD-Vize Ralf Stegner wieder und wieder und warnt: "Die GroKo ist in der SPD so beliebt wie Fußpilz." Der dem linken Parteiflügel zuzuordnende Stegner ist zwar dafür, mit der Union zu reden, hält es aber durchaus für möglich, dass am Ende nichts dabei herauskommen wird. "Das Wort ergebnisoffen meinen wir wirklich ernst", unterstreicht Stegner. Die SPD werde sich von niemandem unter Druck setzen lassen.
Deswegen beharrt die Basis auch auf einem uneingeschränkten Mitspracherecht. Zunächst wohl am 14. Januar, an dem wahrscheinlich der Sonderparteitag stattfinden soll, den sich die Delegierten auf dem Bundesparteitag erstritten haben. Sie sind misstrauisch, unterstellen ihren führenden Genossen, klammheimlich schon an die Ministersessel zu denken. Tatsächlich hatte die Parteiführung geplant, die Ergebnisse der Sondierungsgespräche lediglich von einem Parteikonvent, also von einer Hand voll SPD-Funktionären hinter verschlossenen Türen abstimmen zu lassen.
Daraus wird nun nichts. In ganz großem Kreis will die Basis mitreden, falls Koalitionsverhandlungen stattfinden würden und zu einem Ergebnis kommen sollten. Über einen entsprechenden Vertrag mit der Union würden alle SPD-Mitglieder abstimmen. Es ist also bis zuletzt nicht unmöglich, dass es am Ende trotzdem "Nein" heißen wird.