SPD: Vieles soll sich ändern, aber wie?
8. Dezember 2017"Gestern mit ca. 80 Prozent entschieden, dass wir regieren wollen", twitterte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs am Morgen und wird damit so manchem Sozialdemokraten mehr als nur das Frühstück verdorben haben. Schließlich hatte sich der Bundesparteitag am Donnerstag ausdrücklich für ergebnisoffene Gespräche entschieden und dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz das Versprechen abgerungen, alle politischen Optionen gleichberechtigt zu sondieren.
"Wir glauben Euch nicht, dass die Verhandlungen noch ergebnisoffen sind", zitiert Andrea Nahles, die SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, nicht wenige misstrauische Delegierte. SPD-Vize Ralf Stegner kann sie sogar verstehen. "Ich finde die große Koalition so attraktiv wie Fußpilz", bringt er es auf den Punkt. Trotzdem ist selbst der dem linken SPD-Flügel zuzuordnende Stegner dafür, mit der Union zu reden. Es müsse harte Verhandlungen mit der Union geben und klare Bedingungen von Seiten der SPD. Anschließend könne man ja weitersehen.
Regieren oder sanieren?
Doch wieviel Kraft und Energie werden die Verhandlungen mit der Union über die Bildung einer neuen Bundesregierung binden? Kraft und Energie, die eigentlich in die Erneuerung der Partei fließen sollten. Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl hat sich die SPD umfangreiche Renovierungsarbeiten verschrieben. "#SPDerneuern: Unser Weg nach vorn" ist der Leitantrag überschrieben, der die Debatte am zweiten Tag des Bundesparteitags nun auch inhaltlich dominierte. Standen am Donnerstag noch die Sondierungsgespräche mit der Union und die Wahl des Parteivorstands auf dem Programm, so beschäftigten sich die Delegierten am Freitag mit Renten- und Sozialpolitik, den Umbrüchen auf dem Arbeitsmarkt, der Außen- und Europapolitik, der Klimapolitik und vielen anderen Themen mehr.
Fraktionschefin Andrea Nahles ist der Meinung, dass die SPD insbesondere den Zusammenhalt der Gesellschaft in den Mittelpunkt ihrer politischen Arbeit stellen muss. Spaltungslinien gebe es an vielen Stellen. Es gebe Menschen, die vom wirtschaftlichen Aufschwung profitierten, und solche, "die seit Mitte der 90er Jahre real keine Lohnerhöhung mehr hatten". Auch in der Bildung drifteten Schüler mit guten und mit schlechten Leistungen weiter auseinander, steigende Mieten verdrängten Menschen aus ihren angestammten Wohnquartieren. "Wir werden alle parlamentarischen Mittel nutzen, um diese Themen der Zeit zu adressieren", kündigte Nahles an.
SPD will wieder erkennbar werden
Aber wird die Bundestagsfraktion das auch leisten können, wenn die SPD nun doch erneut zur Regierungspartei werden sollte? Das sei ja nicht gesagt, denn die Form der Kooperation sei noch nicht klar, bremst Andrea Nahles. Dennoch beschäftigt sie die Fehleranalyse der zurückliegenden vier Jahre. In der großen Koalition sei "viel in Hinterzimmern gelandet und im Kanzleramt ausgekungelt" worden. Die politische Diskussion innerhalb einer Regierungskoalition müsse transparent sein, auch im Parlament ausgetragen werden. "Dann wird das Profil klarer, weil die Bürger sehen, wo die Parteien stehen."
"Die SPD wird gebraucht, das ist kein schlechtes Gefühl", beschreibt Nahles ihren Gemütszustand. Die Sozialdemokraten könnten nach dem Parteitag selbstbewusst in die Verhandlungen gehen. "Ich habe einiges an Ideen erlebt hier heute", so ihr Fazit der Debatte über den Erneuerungsprozess. "Wir haben viele Punkte diskutiert, die uns wichtig sind." Jetzt gehe es darum auszuloten, was davon mit der Union durchsetzbar sei. "Es kann kein Weiter-so geben für beide Parteien. Wenn wir in Gespräche kommen, müssen wir klären, was wir gemeinsam ausgestrahlt haben und was zu tun ist an Veränderung."
Neuer Generalsekretär gewählt
Die innerparteiliche Veränderung der SPD soll Lars Klingbeil in die Hand nehmen. Der 39-jährige Bundestagsabgeordnete wurde auf dem Parteitag zum neuen Generalsekretär gewählt. Zwar nur mit gut 70 Prozent der Stimmen, aber das ist vor allem auf den Wunsch vieler Frauen in der Partei nach einer Generalsekretärin zurückzuführen. Klingbeil wirbt für einen Kulturwandel in der SPD, für weniger autoritäre Strukturen, weniger (männliche) Breitbeinigkeit, eine andere Sprache, eine andere Diskussionskultur und mehr Frauen- und Familienfreundlichkeit. "Ich trete als Generalsekretär nicht dafür an, dass es gemütlich wird in der Partei", so Klingbeil. "Ich trete an, dass die Menschen uns wieder die Zukunft des Landes anvertrauen."
Egal, was in den kommenden Wochen in den Gesprächen über eine mögliche Regierungsbildung mit der Union passiere: "Ein Ergebnis von 20,5 Prozent ist ein Auftrag an unsere Partei, dass wir die Erneuerung jetzt ernsthaft beginnen." Das bedeute aber nicht, alles über den Haufen zu werfen. "Was gut war, wird bleiben. Was nicht gut ist, werden wir gemeinsam verändern", so Klingbeil, dem das Zukunftsthema Digitalisierung politisch besonders am Herzen liegt. Daher will er für die SPD auch unbedingt ein digitales Netz aufbauen, das es jedem Mitglied ermöglichen soll, sich jederzeit über das Internet an der parteiinternen Debatte zu beteiligen. Als er nach der Bundestagswahl für den Posten des Generalsekretärs vorgeschlagen wurde, veröffentlichte er seine Handynummer - mit der Bitte, ihm per Kurzmitteilung über WhatsApp Vorschläge für die Neuausrichtung der Partei zu schicken.