SPD will Bärbel Bas als Bundestagspräsidentin
20. Oktober 2021Eine Frau also. Überraschend kam das nicht. Überraschend lediglich die Person: Die weithin unbekannte sozialdemokratische Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas soll neue Präsidentin des Deutschen Bundestages werden. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende könnte schon am kommenden Dienstag bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages gewählt werden. Eine Mehrheit wäre ihr sicher.
Bas wäre dann Nachfolgerin von Altpräsident Wolfgang Schäuble, der große Fußstapfen hinterlassen hat. Traditionell kann die stärkste Bundestagsfraktion den oder die Kandidatin für das Amt vorschlagen. Das ist die SPD.
Einzige Frau in einer Männerriege
Die Partei wollte und konnte es offenbar nicht zulassen, dass die drei höchsten Staatsämter männlich besetzt werden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist die Nummer eins in der Republik. Der Bundestagspräsident - oder eben die Bundestagspräsidentin - ist in der Rangfolge die Nummer zwei. Für diesen Posten ist nun Bärbel Bas vorgesehen.
Dann erst folgt protokollarisch das Kanzleramt. Kommt es zu einer Koalitionsregierung von SPD, Grünen und FDP, was wahrscheinlich ist, wird Olaf Scholz das Amt übernehmen, der im Hintergrund wohl auch bei dieser Personalentscheidung die Strippen gezogen haben wird.
SPD-Linke mit Kopf und Herz
Bärbel Bas ist eine Frau mitten aus dem Ruhrgebiet, lebt in Duisburg. Die ehemalige Stahl- und Kohleregion im Westen ist für geradlinige Menschen bekannt. Und die 53-jährige Bärbel Bas ist so eine Geradlinige. Sie ist Fan des städtischen Fußballclubs MSV Duisburg und liebt ihre Heimat, wie sie immer wieder in Interviews betont.
Bas arbeitet sich nach einem Hauptschulabschluss hoch: von der Bürogehilfin zur Krankenkassenbetriebswirtin und Personalmanagement-Ökonomin. Ihre politische Heimat war immer die SPD, die im Ruhrgebiet tief verankert ist. Bas ist seit 2009 Bundestagsabgeordnete und seit 2019 stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Im Wahlkreis Duisburg I hat sie immer Rekordergebnisse für ihre Partei geholt. Mit 40,35 Prozent holte Bas auch bei der letzten Wahl fast doppelt so viele Stimmen wie ihr Konkurrent von der CDU.
Im Interview mit der Deutschen Welle ordnet Politikwissenschaftler Klaus Stüwe von der Katholischen Uni Eichstätt-Ingolstadt Bärbel Bas als eher "links" ein: "Frau Bas gehört der sogenannten Parlamentarischen Linken an, das ist eine Vereinigung des linken Flügels der SPD-Bundestagsfraktion. Diese Gruppierung vertritt eher traditionelle sozialdemokratische Positionen und stand der Agenda-2010-Reform des früheren SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder skeptisch gegenüber."
Gegen Männerklüngel bestehen
Bärbel Bas wäre in der Nachkriegsgeschichte von Deutschland erst die dritte Frau als Bundestagspräsidentin. Ihr Vorgängerinnen: Sozialdemokratin Annemarie Renger (1972-1976) und die die CDU-Politikern Rita Süssmuth (1988-1998). Leicht hatten es beide nicht, ins Amt zu kommen und dort zu bestehen. Männer hatten es ihnen schwer gemacht.
Annemarie Renger, die 1919 in Leipzig geboren wurde, war die weltweit erste Frau, die an die Spitze eines frei gewählten Parlaments gewählt wurde. Gegen den Männerklüngel setzte sie Chuzpe: "Ich habe mich in der Fraktion selbst für das Amt des Bundestagspräsidenten vorgeschlagen." Ihr Resümee nach vierjähriger, erfolgreicher Amtszeit: "Es ist bewiesen, dass eine Frau das kann!"
Gleichberechtigung nur im "Schneckentempo"
Die zweite Bundestagspräsidentin wurde am 25. November 1988 die CDU-Politikerin Rita Süssmuth. Bis heute kämpft die 84-Jährige dafür dass mehr Frauen ins Parlament kommen. Man traue den Frauen vielfach nichts zu, so Süssmuth kürzlich in der "Augsburger Allgemeinen". In dieser Hinsicht bewege man sich in der Politik "mit der Schnelligkeit einer Schnecke, denn nichts hält sich länger als alte Machtverhältnisse", sagte Süssmuth.
Beim Personalvorschlag für das Bundestagspräsidentenamt hat mutmaßlich ein Mann die Fäden gezogen: Kanzleraspirant Olaf Scholz. In der neu gewählten SPD-Fraktion im Bundestag ist der Frauenanteil mit 42 Prozent hoch. Der SPD-Kanzlerkandidat hatte immer wieder versprochen: "Frauen gehört die Hälfte der Macht."
Scholz will, sollte eine Regierung unter seiner Führung zustande kommen, die Hälfte der Ministerposten mit Frauen besetzen. Für Politikwissenschaftler Klaus Stüwe ist die Nominierung einer Frau deshalb "eine unvermeidliche Entscheidung".
Schäuble hinterlässt große Fußstapfen
Der Bundestagspräsident leitet die Sitzungen des Bundestages, ist Hausherr des Reichstagsgebäudes und vertritt das Parlament nach außen. Die Job-Beschreibung klingt nach wenig Einfluss. Doch die Nummer zwei im Staate schafft es immer wieder auf Stelle eins in der öffentlichen Wahrnehmung.
Der bisherige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist dafür ein gutes Beispiel. Am 26. Oktober wird der ausgebuffte Parlamentsprofi - keiner ist länger Mitglied des Deutschen Bundestages (ununterbrochen seit 1972) - seine letzte Rede als Bundestagspräsident halten. Aber bevor er dann Hinterbänkler wird - das erwarten alle Politikbeobachter - dürfte er sicherlich noch einmal eine fulminante Rede halten.
Kämpfer für den Parlamentarismus
Schäuble hat das Amt immer wieder politisch genutzt, um die Wichtigkeit des Parlaments herauszustreichen und Impulse zu geben. Zu großen Themen hielt er vor Eröffnung der Sitzungen starke Reden, zum Beispiel zur Corona-Pandemie oder auch zu anderen innen- und außenpolitischen Themen.
Mit Blick auf die Redezeiten schnitt er auch der Kanzlerin schon mal das Wort ab: "Kommen sie bitte zum Ende, Frau Bundeskanzlerin Merkel". Seine Autorität ließ er auch immer wieder die vor vier Jahren neu in den Bundestag eingezogene rechtspopulistische Alternative für Deutschland AfD spüren: Er ahndete Zwischenrufe, erinnerte an die Maskenpflicht in den Gebäuden des Deutschen Bundestages.
Wolfgang Schäuble sei ein "politisches Schwergewicht" im Amt des Bundestagspräsidenten gewesen, sagt Politikwissenschaftler Stüwe. Bärbel Bas hingegen "hatte bislang noch keine politischen Leitungsfunktionen und ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt", ergänzt Stüwe. Aber vielleicht ist genau das ihre Chance als dritte Frau im zweitwichtigsten Staatsamt.