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Politik

Spielraum für EU-Reformen wird kleiner

6. März 2018

Für die Europapolitik hat die künftige große Koalition in Berlin einen neuen Aufbruch versprochen. Doch vor allem nach der Italien-Wahl sind die Gestaltungsmöglichkeiten deutlich geschrumpft.

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Symbolbild Flagge EU Erosion
Bild: Imago/R. Peters

Angela Merkel will jetzt "schnell mit dem Arbeiten beginnen", auch in der Europapolitik. In der Tat, fast ein halbes Jahr seit der Bundestagswahl hat Europa auf eine neue handlungsfähige Regierung gewartet. Vor allem Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wollte Klarheit. "Frankreich und Deutschland werden in den kommenden Wochen gemeinsam an neuen Initiativen arbeiten, um das europäische Projekt voranzubringen", kündigte Macron nach Telefonaten mit Merkel und dem künftigen Finanzminister Olaf Scholz an.

Von dem Sozialdemokraten Scholz dürfte sich Macron mehr Entgegenkommen erhoffen als von dessen Vorgänger, dem als eisernen Sparer geltenden CDU-Mann Wolfgang Schäuble. Denn Macron geht es vor allem um finanzpolitische Vorhaben. So fordert er zum Beispiel einen gemeinsamen Finanzminister und einen vergrößerten Haushalt für die gesamte Eurozone.

Bei der Union befürchten nun viele, die Pläne seien ein verkappter Versuch, deutsche Steuerzahler für das wirtschaftliche Versagen anderer EU-Länder zahlen zu lassen. Der stellvertretende Fraktionschef von CDU und CSU, Ralph Brinkhaus, warnte die SPD in der Zeitung "Die Welt": "Ich betrachte den Europateil des Koalitionsvertrages nicht als Blankoscheck. Wenn also jemand anfängt, Deutschland zu verschenken, ist das mit uns nicht zu machen."

EU Gipfel Macron Merkel
Kritiker befürchten, Merkel lasse sich von Macron finanziell über den Tisch ziehenBild: Getty Images/AFP/L. Marin

Das war womöglich auch ein Seitenhieb auf die eigene Parteifreundin Angela Merkel. Diese hatte bereits vor dem SPD-Mitgliederentscheid zugesagt, Deutschland werde einen Teil der durch den Brexit ausfallenden britischen EU-Beiträge ausgleichen. Was sie zweifellos als Bekenntnis zu Europa gemeint hat, stößt vielfach auf Unverständnis, nicht nur in Teilen der Unionsparteien und bei der FDP- und AfD-Opposition im Bundestag, sondern auch im Ausland. Die EU-Nettozahler Niederlande und Österreich beispielsweise sind dagegen, mehr Geld nach Brüssel zu überweisen.

Italien ändert fast alles

Doch spätestens seit der Wahl in Italien am vergangenen Sonntag scheinen alle Reformpläne ohnehin fraglich. Mehr als jeder zweite Italiener hat eine europaskeptische Partei gewählt. Zudem ist die Regierungsbildung völlig unklar. Matteo Salvini, Chef der rechtsgerichteten Lega und einer der großen Wahlgewinner, hat noch einmal gesagt: "Der Euro war, ist und bleibt ein Fehler." Zwar sprechen weder er noch Luigi Di Maio von der jetzt stärksten Partei, der Fünf-Sterne-Bewegung, jetzt noch von einem Austritt Italiens aus der Währungsunion oder gar der EU insgesamt. Eine Stärkung der Eurozone aber ist mit solchen Leuten kaum zu machen.

Eher wird der Euro weiter geschwächt. Experten weisen darauf hin, dass die Populisten im Wahlkampf Dinge versprochen haben, die viel Geld kosten. Dabei ist Italien schon jetzt das nach Griechenland höchstverschuldete Land der Eurozone. "Diejenigen Parteien haben die Wahl gewonnen, die den Menschen mehr Staatsausgaben ohne Gegenfinanzierung und damit den Bruch europäischer Regeln versprochen haben", warnt Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Das bedrohe die Finanzstabilität Italiens. Die EU müsse einer neuen Regierung nun "unmissverständlich signalisieren, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt mit seinen Schuldengrenzen auch für Italien gilt". Doch Männer wie Salvini und Di Maio pfeifen auf europäische Vorgaben.

Italien Wahl 2018 | Kombibild Luigi Di Maio und Matteo Salvini
Italiens Wahlsieger Luigi Di Maio (l.) und Matteo Salvini: mit der EU nicht viel am Hut

Die Aussichten auf europäische Reformen schwinden damit: "Es wird Leute geben, die jetzt gegen ein Reformabkommen sind und sagen werden, bei diesem Chaos in Italien sei es nicht der Augenblick, um Risiken einzugehen", sagt Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre: "Andere werden sagen, die Stimmen für Anti-Establishment-Parteien zeigten, dass die Wähler von der wirtschaftlichen Situation und der Migration die Nase voll hätten und dass man nicht einfach so weitermachen könne wie bisher."

Verhärtete Fronten bei Migration

Italien ist aber nicht das einzige Problem. Überall in Europa sind rechtspopulistische, nationalistische und europaskeptische Parteien auf dem Vormarsch. Mit Polen und Ungarn schwelt ein Streit um den Rechtsstaat. Dazu kommt der Dauerkonflikt um die Migration. Merkel ist vor allem in Osteuropa unbeliebt. Aus osteuropäischer Sicht ließ sie 2015 hunderttausende Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland und erwartete dann von den anderen Europäern, die Menschen sollten fair verteilt werden.

Im Februar goss sie erneut Öl ins Feuer, als sie forderte, bei den künftigen EU-Finanzhilfen solle das Engagement einzelner Länder in der Flüchtlingspolitik berücksichtigt werden. "Wer immer ein solches politisches Manöver plant, dem kann ich nur sagen: Das wäre ein Fehler", sagte dazu Polens Europaminister Konrad Szymanski in der "Welt". Die Fronten in dieser Frage sind völlig verhärtet, eine Lösung derzeit nicht in Sicht.

Infografik Karte Wahlergebnisse von Rechtspopulisten in Europa DEU
Die Gegner einer weiteren europäischen Integration werden stärker

Migrationskrise, der bevorstehende Brexit, Streit um die EU-Finanzen, um nur einige der großen Herausforderungen zu nennen - in Berlin ist man sich bewusst, wie klein der Spielraum in der Europapolitik geworden ist. Spätestens seit der Wahl in Italien "muss man sich große Sorgen um den Zustand der EU machen", glaubt Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestages. Es drohe eine "Zeitenwende", die die europäische Aufbruchstimmung, wie sie von Macron und vom deutschen Koalitionsvertrag mit seinem europapolitischen Bekenntnis verbreitet werde, zunichte machen könne.

Auch Jana Puglierin, Europaexpertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sieht die EU in schwierigem Fahrwasser: "Wenn der drittgrößte Staat der Eurozone auf absehbare Zeit nicht sprechfähig ist, wird dies die EU-Reformdebatte massiv beeinflussen", sagt Puglierin und fügt mit Blick auf die lange Regierungsbildung in Deutschland hinzu: "Die Hängepartie mit der SPD ist durch eine neue Hängepartie mit Italien abgelöst worden." EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici ist einer der ganz wenigen, die trotz der verfahrenen Lage nicht den Humor verliert: "Wir haben vermutlich einige originelle Zeiten vor uns", sagte er am Dienstag in Brüssel.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik