Späte Hilfe für Hochwasseropfer
20. Mai 2014Viele Menschen warten gar nicht mehr auf den Staat. Immer häufiger wird die Hilfe über soziale Netzwerke koordiniert. Hilfsbereitschaft ist das Gebot der Stunde. Die Tweets kommen im Minutentakt: "Ein Zimmer frei für Mutter und Kind", "Roter- Stern-Stadion, bitte mitbringen: Lebensmittel, Pflegeprodukte, Kleidung und Milchpulver für Babys", "Wer braucht Tierfutter? Rufen Sie mich an 06003…" Die User organisieren sich selbst und ihre Hilfe erreicht irgendwie die Menschen in Not - zum Beispiel in den Belgrader Sporthallen, die als Notunterkünfte dienen.
Auch die 25-jährige Aleksandra Veljovic und ihre Mutter kamen in einer Basketball-Halle unter. Beide Frauen wurden nach über 20 Stunden des Wartens und der Angst endlich mit einem Boot aus ihrer Wohnung gerettet. "Das Schreckliche dabei ist, dass man in so einem Moment plötzlich nur an sich selbst denkt. Ich weiß es nicht, ob das unmenschlich oder ganz natürlich ist", sagt Aleksandra. In Belgrad kann sie endlich aufatmen: Ihre Schwester und die kleine Nichte sind mittlerweile auch in Sicherheit.
Unheil mit Ankündigung
Rückblick: In der vergangenen Woche verfolgt Aleksandra Veljovic die Nachrichten sehr genau. Bereits am vergangenen Dienstag (13.05.2014) war die Wettervorhersage apokalyptisch - innerhalb von drei Tagen werde es in weiten Gebieten des Balkans so viel Regen geben wie normalerweise in zwei Monaten. Aleksandra weiß, was das verheerende Unwetter für ihre Heimatstadt bedeuten kann. Obrenovac liegt 35 Kilometer südwestlich der serbischen Metropole Belgrad und ist umgeben von den Flüssen Save und Kolubara.
"Der lokale TV-Sender berichtete am Donnerstag, es bestehe keine Gefahr für das Stadtzentrum", sagt Aleksandra. Sie verlässt sich nicht nur auf das Fernsehen und sucht auch Informationen in den sozialen Netzwerken. Der Damm sei gebrochen, schreibt ein Offizieller des lokalen Kohlekraftwerks auf Facebook. Der Sirenenalarm bleibe bloß deswegen stumm, weil der Bürgermeister des kleinen Ortes Obrenovac keine Panik wolle. Bald darauf geht der Strom aus - Aleksandra ist auch von den Informationsquellen abgeschnitten.
"Am Freitag um fünf Uhr morgens wurde ich durch Autosirenen und Lärm wach. Überall war Wasser. Noch konnte man zu Fuß durch das Wasser gehen, nur wussten wir nicht, wo wir hin sollten", erzählt Aleksandra im Gespräch mit der DW. Sie wartet und bewahrt einen kühlen Kopf - ihre Mutter nimmt bereits Beruhigungsmittel. "Ich packte unsere Sachen ein. Die Nachbarn spotteten darüber. Ein Militär-LKW fuhr vorbei, Soldaten wollten zuerst die Kinder retten. Es sah so aus, als ob sie auch keine Ahnung hatten, was sie machen sollen", so Aleksandra. Bald wird die ganze Kleinstadt vom Wasser überflutet. Rettung über den Landweg? Zu spät.
Versagen der Behörden?
Dass es keinen rechtzeitigen Aufruf zur Evakuierung gab, bestätigt eine Beamtin der kommunalen Verwaltung von Obrenovac. "Selbst wir in der Verwaltung wussten nicht, wie ernst die Lage ist. Das wurde mir erst durch die Berichte aufgeregter Bürger klar, die von Überschwemmungen und auf Hausdächern sitzenden Leuten erzählten", so die Beamtin, die anonym bleiben möchte.
Die serbischen Offiziellen beschreiben hingegen eine völlig andere Version der Ereignisse. "Drei Tage vor der Katastrophe wurden die Bürger zur Evakuierung aufgefordert. Sie weigerten sich, weil es hier traditionell kein Vertrauen in die Regierenden gibt", erklärt Predrag Maric, Leiter der serbischen Behörde für Katastrophenschutz. "Die Bürger warteten, bis ihnen das Wasser sprichwörtlich bis zum Hals stand. Das ist der Grund für diese Tragödie", sagt Maric im Belgrader Sender B92.
Die Bürger sehen das offensichtlich anders, denn wütende Menschen wurden handgreiflich und versuchten, Justizminister Nikola Selakovic anzugreifen, als er das Dorf Krupanj besuchte. In diesem Ort hatten Erdrutsche Hunderte von Häusern zerstört, der Tod von zwei Menschen wurde offiziell bestätigt.
Derweil machen sich in Dutzenden weiteren Ortschaften die Retter - Freiwillige und Helfer aus den Nachbarländern, Russland und zahlreichen EU-Staaten - für die nächste angekündigte Flutwelle bereit.
Das lange Warten auf Hilfe
Das ist auch nötig: Denn viele ihrer Freunde aus Obrenovac würden immer noch auf ihre Rettung warten - oder zumindest auf Lebensmittel, sagt Aleksandra Veljovic. Währenddessen posierten Politiker für Pressefotos. Die Frage geht ihr nicht aus dem Kopf: Warum sind die Rettungsaktionen so spät angelaufen - viel zu spät für mindestens 14 Opfer in ihrer Heimatstadt? Es spricht sich herum, so Aleksandra, dass das Wasser hunderte, vielleicht sogar bis zu tausend Leichen verbirgt. Traurig fügt sie hinzu: "Es wäre schön, wenn sich das bloß als Gerücht herausstellen würde."