Stadt der Zukunft
19. September 2006Das 21. Jahrhundert wird als das erste "städtische" Jahrhundert in die Geschichte eingehen - die meisten Menschen werden in Megastädten mit mehr als 20 Millionen Einwohnern in Asien, Afrika und Südamerika leben. Welche Auswirkungen das auf die Organisation von Wohnungen, Verkehr und öffentlichen Raum hat, wie die Zukunft der Stadt aussieht, damit beschäftigt sich die 10. Architektur-Biennale in Venedig, die noch bis zum 19. November zu sehen ist. Zum ersten Mal steht nicht der architektonische Entwurf im Mittelpunkt - stattdessen geht es um gesellschaftspolitische Themen, um die Perspektive der Stadt als Lebensort und Handlungspielräume für ihre Bewohner.
Zukunftslaboratorium statt Leistungsshow
Wie organisieren wir künftig das Leben in den Städten? Auf der Pressekonferenz fasste der britische Planer und Architekt Richard Burdett, Direktor der 10. Architektur-Biennale in Venedig, seine Herangehensweise zusammen: "Wir betrachten das Thema unter zwei Aspekten: Die physische Gestalt der Städte und die Form der Gesellschaft, die sie prägen. Diese beiden Aspekte versuchen wir hier zusammenzubringen."
Die Architektur-Biennale ist also erstmals keine reine Leistungsshow der Weltarchitektur, sondern eine Bestandsaufnahme und zugleich ein Zukunftslaboratorium, wie sich Städte künftig besser organisieren können, um als Lebensraum für die Menschen zu bestehen. Am Beispiel von 16 Metropolen werden grundlegende Probleme dekliniert: Wachstum, Verkehr, Lebensqualität. Die Beispiele reichen von Caracas oder Bogota über New York, London, Barcelona und Berlin bis zu Shanghai. Die chinesische Boomtown hat in den vergangenen neun Jahren eine Entwicklung erlebt wie New York in den letzten 200 Jahren. In einem Raum veranschaulichen Modelle der Einwohnerdichte, dass Shanghai mit seinen Hochhäusern vergleichbar dicht besiedelt ist wie Barcelona mit seiner europäischen Stadtstruktur.
"Können Städte die Welt verändern?"
Der Rundgang, der oftmals die Probleme nur schlaglichtartig und pauschal abhandelt, endet mit einer Frage: Können Städte die Welt verändern? Wenn die Politiker mutiger wären und Ergebnisse der Forschung berücksichtigten, könnten sie das durchaus, meint Wilfried Wang, Architekturprofessor an der University of Texas in Austin. Sein Team präsentiert im Padiglione Italia konkrete Vorschläge, wie etwa die Region um New Orleans eine neue Perspektive erhält auch wenn die Gefahr der Verwüstungen durch Hurricanes bleibt. Nach dem Wirbelsturm "Katrina" ist die Stadt noch in weiten Teilen unbewohnbar, dennoch wird bereits für die Rückkehr der Evakuierten geworben.
"Wir haben in dieser Ausstellung versucht, die unterschiedlichsten Ansätze zusammenzutragen, von kleineren Bauwerken bis hin zu größeren Plänen" erklärt Wang. "Wie man mit dem Küstenstreifen, den Deichen, Pumpstationen und den Wetlands, den Überflutungsgebieten, umgehen müsste - all diese Probleme sind hier überregional und städtisch aufgezeigt." Dazu gehört auch die politisch unpopuläre Variante, die Einwohner von tiefer liegenden Gebieten zu enteignen, angemessen zu entschädigen und diese Regionen zu renaturieren.
Urbanisierung versus "Shrinking Cities"
Konkrete Handlungsvorschläge vor allem für die Politik bietet auch das deutsche Projekt "Shrinking Cities", das hier erstmals einen Weltatlas der Schrumpfregionen präsentiert. Schrumpfungsprozesse, so Philipp Oswalt, der Kopf des von der Bundeskulturstiftung geförderten Forschungslabors, ließen sich nicht nur in ostdeutschen Städten wie Halle oder Leipzig beobachten: "Es ist wichtig, sich der Frage der massiven Urbanisierung zu widmen. es ist aber auch so, dass sehr viele Standorte den umgekehrten Weg gehen", sagt Oswalt. Die Schrumpfung werde tendenziell als negativ betrachtet, sie berge aber auch Vorteile: "Es ist letztlich auch eine Abstimmung mit den Füßen und hat mit Abwesenheit von Arbeit zu tun", erklärt Oswald. "Was man tun kann und muss setzt auf unterschiedlichen Ebenen an."
Konkrete Architektur
Obwohl das Thema Anderes vermuten lässt, zeigt die Architekturbiennale in den Länderpavillons nicht nur Denkgebäude, sondern durchaus auch konkrete Architektur, oft allerdings in ungewohnter Form. Im russischen Pavillon regen Installationen zum Nachdenken über das Zwanghafte von Plattenbauten und die Auswirkungen auf ihre Bewohner an, aber auch über den rasanten Wandel der russischen Metropolen unter den neuen ökonomischen Bedingungen - ein Boom, von dem große Teile der Bevölkerung ausgeschlossen sind. Im rumänischen Pavillon können sich die Besucher ihre Idealstadt entwerfen.
Die Planer und Architekten der Gruppe "EXYST" bieten im französischen Pavillon die wohl ungewöhnlichste Auseinandersetzung: Sie verwandelten ihn für die Dauer der Biennale in eine Kommune. Auf den unterschiedlichen Etagen eines Baugerüsts wird gekocht, abgewaschen, diskutiert und geschlafen - die Demonstration dessen, was Stadt bedeutet: sozialer Treffpunkt, Kommunikation und die Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse auf engstem Raum.