Berlinale 2024: Stars und Politik
15. Februar 2024"Small Things Like These" (Kleine Dinge wie diese) heißt die irisch-belgische Produktion unter der Regie von Tim Mielants, die am Donnerstag die 74. Berlinale eröffnet. In den Hauptrollen spielen Cillian Murphy, Eileen Walsh, Michelle Fairley und Emily Watson. Das Drama läuft im offiziellen Wettbewerb und handelt von Irlands "Magdalenen-Wäschereien". Dabei handelt es sich um Besserungsanstalten, die von der katholischen Kirche betrieben wurden. "Gefallene junge Frauen", also Prostituierte, mussten hier unter teils menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Diese Einrichtungen existierten von den 1820er-Jahren bis 1996.
Mehr Vielfalt im Wettbewerb
Zwanzig Filme konkurrieren in diesem Jahr um den Goldenen und die Silbernen Bären, die höchsten Auszeichnungen der Berlinale. Die internationale Jury, die die Gewinnerfilme auswählt, wird von der mexikanisch-kenianischen Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong'o geleitet. Sie wird von sechs Co-Juroren unterstützt: dem Schauspieler und Regisseur Brady Corbet (USA), der Regisseurin Ann Hui (Hongkong, China), dem Regisseur Christian Petzold (Deutschland), dem Regisseur Albert Serra (Spanien), der Schauspielerin und Regisseurin Jasmine Trinca (Italien) und der Schriftstellerin Oksana Zabuzhko (Ukraine). Da es sich bei vielen Werken um Koproduktionen handelt, treten insgesamt 30 Länder im Wettbewerb an.
Der afrikanische Kontinent, der im vergangenen Jahr gar nicht vertreten war, tritt gleich mit drei Filmen an. Der in Mauretanien geborene malische Regisseur Abderrahmane Sissako, dessen Film "Timbuktu" 2014 für einen Oscar nominiert wurde, präsentiert "Black Tea". Sein neuestes Werk erzählt die Geschichte einer jungen Frau von der Elfenbeinküste, die sich nach ihrer Einwanderung nach Asien in einen älteren Chinesen verliebt.
Die in Tunesien geborene Filmemacherin Meryam Joobeur geht mit ihrem Spielfilmdebüt "Who Do I Belong To" ins Rennen. Es ist das Porträt einer Mutter, die mit der Rückkehr ihres Sohnes, einem Kämpfer der militanten Organisation "Islamischer Staat", kurz IS, überfordert ist.
Die französisch-senegalesische Filmemacherin Mati Diop geht mit einem von zwei Dokumentarfilmen in den Wettbewerb: "Dahomey" handelt von der Rückgabe von 26 der königlichen Schätze des Königreichs Dahomey an Benin. Diop, die mit der gefeierten Premiere ihres 2019 erschienenen Spielfilms "Atlantics" bereits Cannes-Geschichte geschrieben hat, ist die erste schwarze Regisseurin im Wettbewerb des Festivals.
Von Nepal über Iran bis zu Pablo Escobars Flusspferd
Zu den weiteren internationalen Höhepunkten zählt der erste nepalesische Beitrag in der Geschichte des Berlinale-Wettbewerbs, "Shambhala" von Min Bahadur Bham.
Der dreimalige Gewinner des Silbernen Bären, der südkoreanische Filmemacher Hong Sang-soo, geht mit "A Traveler's Needs" mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle erneut ins Rennen. Die französische Schauspielikone, die 2022 den Preis für ihr Lebenswerk erhielt, aber nicht persönlich an der Preisverleihung teilnehmen kann, wird dieses Jahr auf dem Festival geehrt.
Auch das iranische Regie-Duo Maryam Moghadam und Behtash Sanaeeha ist mit seinem neuesten Werk "My Favorite Cake" im Wettbewerb vertreten. Allerdings hindert sie der Iran daran, persönlich der Weltpremiere ihres Films beizuwohnen. Die Filmemacher "wurden mit einem Reiseverbot belegt, ihre Pässe wurden beschlagnahmt und ihnen drohen Gerichtsverfahren, die ihre Arbeit als Künstler und Filmemacher betreffen", hieß es in einer Erklärung der Berliner Festivalorganisatoren, die auch an den Iran appellierten, die restriktiven Maßnahmen zu beenden.
Der Film "Pepe" von Nelson Carlo de los Santos Arias, den Chatrian als den "unklassifizierbarsten" Film der Auswahl bezeichnete, handelt vom Geist eines Nilpferdes, das von Afrika nach Kolumbien gebracht wurde, um im Zoo des Drogenbarons Pablo Escobar gehalten zu werden.
Auch Europäer prominent im Bärenrennen
Auch Deutschland, Frankreich und Italien sind im Wettbewerb stark vertreten. Dazu gehört der neueste Film des mehrfach ausgezeichneten deutschen Regisseurs Andreas Dresen, "Von Hilde, mit Liebe", der auf der wahren Geschichte der Anti-Nazi-Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" basiert.
Die französischen Filmveteranen Bruno Dumont und Olivier Assayas sind ebenso im Rennen um einen Goldenen oder Silbernen Bären wie die Gewinnerin der Camera d'Or von Cannes, Claire Burger.
Dialogförderung inmitten des Israel-Hamas-Krieges
Berlin gilt auch als das politischste der drei großen europäischen Filmfestivals. Die Exekutivdirektorin Mariette Rissenbeek und der künstlerische Leiter Carlo Chatrian haben angekündigt, nach der diesjährigen Ausgabe ihre Ämter niederzulegen. Man sei "besorgt, dass sich Antisemitismus, antimuslimische Ressentiments und Hassreden in Deutschland und weltweit ausbreiten". Man wolle einen "offenen Dialog" über den Israel-Hamas-Krieg ermöglichen.
Eine der Plattformen für diesen Austausch ist das so genannte Tiny House Project, ein Begegnungsraum, der vom 17. bis 19. Februar am Potsdamer Platz, dem Hauptveranstaltungsort der Berlinale, aufgebaut wird. Das Projekt wurde von der palästinensischen Deutschen Jouanna Hassoun und dem israelischen Deutschen Shai Hoffmann konzipiert, die seit mehreren Jahren zusammenarbeiten, um über den Nahostkonflikt aufzuklären. Während des Festivals findet außerdem eine Podiumsdiskussion zum Thema "Filmemachen in Zeiten des Konflikts" statt.
In der Sektion Berlinale Special wird "Shikun" des israelischen Regisseurs Amos Gitai als "Versuch, eine Plattform für den Dialog im Nahen Osten zu schaffen" beschrieben. Auch in der Sektion Panorama beschäftigen sich zwei aktivistische Arbeiten mit dem Nahen Osten: die Dokumentarfilme "No Other Land" eines palästinensisch-israelischen Kollektivs und "Diaries from Lebanon" von Myriam El Hajj.
Unterdessen hat ein Filmemacher aus Protest gegen die deutsche Unterstützung Israels während des Israel-Hamas-Krieges seine Arbeit offiziell aus der Sektion Forum Expanded des Festivals zurückgezogen. Der ghanaische Regisseur Ayo Tsalithaba erklärte in einem Statement in den sozialen Medien, er schließe sich dem Aufruf "Strike Germany" zum Boykott deutscher Kulturinstitutionen an.
Stars auf dem roten Teppich
Ein Filmfestival ist natürlich auch ein Fest des Glamours und der Stars, und da hat Berlin in diesem Jahr einiges zu bieten. Filmlegende Martin Scorsese wird am 20. Februar mit dem Goldenen Ehrenbären geehrt. Die Netflix-Produktion "Spaceman" feiert auf der Berlinale ihre Weltpremiere und die Stars Adam Sandler und Carey Mulligan sind vor Ort. Fans des Marvel Cinematic Universe finden Sebastian Stan im Wettbewerbsbeitrag "A Different Man". Im Berlinale Special sind unter anderem Riley Keough und Jesse Eisenberg in "Sasquatch Sunset" zu sehen, einem Bigfoot-Drama ohne Dialoge. Weitere prominente US-Schauspieler, die in Berlin auf dem roten Teppich erwartet werden, sind Kristen Stewart in "Love Lies Bleeding", Lena Dunham in "Treasure" und Amanda Seyfried in "Seven Veils". Die Abschlussgala mit der Verleihung des Goldenen und der Silbernen Bären findet am 24. Februar statt.
Aus dem Englischen adaptiert von Sabine Oelze.