Berlinale zeigt 18 Filme im Wettbewerb
29. Januar 2020"Brauchen Sie ein Motto?", fragte Carlo Chatrian die versammelten Journalisten bei der Vorstellung des Wettbewerbs und reagierte damit auf Nachfragen nach einem griffigen Schlagwort für den Jahrgang 2020. In den vergangenen Jahren hatte der langjährige Festival-Leiter Dieter Kosslick den Berliner Filmfestspielen im Vorfeld jeweils ein eingängiges Motto verpasst. Doch auch Kosslick wusste wohl, dass man rund 400 neue Filme nicht unter einem Schlagwort vereinen kann.
Carlo Chatrian verzichtet auf ein griffiges Motto
Der Italiener Carlo Chatrian verzichtet bei seiner ersten Berlinale konsequenterweise auf solch ein Motto. Bei der Vorstellung der Bären-Konkurrenz, die er gemeinsam mit der neuen Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek präsentierte, war man somit gespannt auf die Auswahl der Filme für den Wettbewerb, der traditionell im Mittelpunkt der Festspiele steht. Das ist auch bei der 70. Ausgabe der Berlinale, die am 20. Februar eröffnet wird, nicht anders.
18 Filme haben Chancen auf den Goldenen und die Silbernen Bären. Es ist eine Auswahl, die auf den ersten Blick der Filmkunst huldigt, weniger den großen Namen. Amerikanische Filme sind auch darunter, doch die zwei vertretenen Regisseurinnen Kelly Reichardt ("First Cow") und Eliza Hittman ("Never Rarely Sometimes Always") werden eher dem Independent-Kino zugerechnet. Die Besetzungslisten sind demnach auch nicht mit Hollywood-Stars gespickt.
Filme aus Asien, Lateinamerika und Deutschland
Auch der Blick auf die anderen ausgewählten Produktionen zeigt eher den Filmkenner Carlo Chatrian, der bis 2018 das renommierte Festival im schweizerischen Locarno leitete, als einen Festivaldompteur, dem Stars wichtiger sind als die Filme. In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Kritik am mediokren Wettbewerb der Berlinale gegeben - auch weil unter der Ära Kosslick versucht wurde, Stars mit oft mittelmäßigen Filmen nach Berlin zu locken.
Es sind nun einige bekannte und anerkannte Regisseure beim Wettbewerb dabei: Tsai Ming-Liang aus Taiwan, Hong Sangsoo aus Südkorea, Rithy Panh aus Kambodscha, aus Europa die Britin Sally Potter, die Franzosen Philippe Garrel sowie das Regieduo Benoît Delépine und Gustave Kervern. Das amerikanische Regie-Enfant-terrible Abel Ferrara kommt mit einer internationalen Co-Produktion. Überhaupt zeigt sich der Trend zum globalisierten Weltkino. Auch die diesjährige Berlinale hat viele internationale Gemeinschaftsproduktionen im Programm.
Neuverfilmung von "Berlin Alexanderplatz"
Sehr prominent vertreten ist das deutsche Kino: Christian Petzold stellt seinen neuen Film "Undine" mit Paula Beer und Franz Rogowski vor. Mit Spannung erwartet, wird auch die Neuverfilmung des Alfred-Döblin-Romans "Berlin Alexanderplatz" des deutsch-afghanischen Filmemachers Burhan Qurbani. Der Stoff wurde ins Hier und Jetzt transportiert. Insgesamt laufen fünf Filme mit deutschen Produktionsgeldern im Bären-Rennen.
Spektakulär dürfte auch die Premiere des Films "DAU. Natasha" von Ilya Khrzhanovskiy und Jekatarina Oertel werden: Ein Projekt, an dem seit vielen Jahren gearbeitet wird. Der Film ist dabei nur ein Teil eines weitverzweigten Kunstwerks.
Chatrian: "Dunkle Farben überwiegen"
"Die Wettbewerbsfilme erzählen kleine oder weltbewegende, individuelle oder kollektive Geschichten, die Bestand haben und ihre Wirkung im Zusammenspiel mit dem Publikum entfalten", sagte Carlo Chatrian über die Filme seines ersten Berlinale-Wettbewerbs und dämpft schon im Vorfeld die Erwartung mancher, es könne eine unterhaltsame oder gar fröhliche Berlinale werden. "Wenn die eher dunklen Farben überwiegen, mag das daran liegen, dass die von uns ausgewählten Filme eher illusionslos auf die Gegenwart blicken - nicht, weil sie Schrecken verbreiten, sondern weil sie uns die Augen öffnen wollen."
Natürlich wird erst bei der endgültigen Sichtung der Filme klar, ob Chatrian seine aus Locarno bekannte filmkünstlerische Handschrift auch in der deutschen Hauptstadt zeigen kann. Die Mischung aus amerikanischen Independent-Filmen, deutschem Autorenfilm, Produktionen aus Asien und Lateinamerika ("The Intruder" aus Argentinien/Mexiko und "All the Dead Ones" aus Brasilien/Frankreich) klingt aber vielversprechend. Und auch ein traditionell in Berlin stark vertretenes Land wird dabei sein: der Iran. Das birgt womöglich politischen Sprengstoff. Regisseur Mohammad Rasoulof soll sein neues Werk "There is No Evil" in Berlin präsentieren. Er erzählt darin eine Geschichte aus seinem Heimatland.
Regisseure aus aller Welt zu Gast
Auf die Frage, welche bekannten Filmschaffenden und Stars denn im Februar zur Berlinale erwartet würden, sagte Chatrian, alle Regisseure würden ihre Werke in Berlin persönlich vorstellen - und er hoffe auch, dass das Rasoulof tun könne. In der Vergangenheit hatte Teheran heimischen Filmregisseuren aus politischen Gründen immer wieder die Ausreise zu den großen Festivals verweigert.
Und dann war da noch die Gender-Frage. Wieviele Regisseurinnen sind dabei im Jahrgang 2020? Von den 18 Filmen wurde ein Drittel von Frauen inszeniert, Chatrian bezeichnete das als gut und als "Prozess". Mariette Rissenbeek verwies in diesem Zusammenhang auch auf die übrigen Berlinale-Sektionen, die in der Mehrzahl von Frauen geleitet würden. Der weibliche Anteil im gesamten Berlinale-Programm, auch hinter den Kulissen, sei sehr hoch, so Rissenbeek.
Hollywood kommt mit Disney-Pixar-Produktion "Onward"
Bleibt noch die Ankündigung weiterer Programmhöhepunkte abseits des Wettbewerbs. Dort liefen in den letzten Jahren immer Filme unter der Rubrik "außer Konkurrenz", was niemand recht verstanden hat - und was der Italiener nun auch abgeschafft hat. Doch ein paar Gala-Premieren mit spektakulären Filmen wird es auch in der Ära Chatrian/Rissenbeek geben. Die laufen unter der Rubrik "Berlinale Special Gala" und sollen für Glanz sorgen. Dort wird zum Beispiel der Disney-Pixar-Animationsfilm "Onward" seine internationale Premiere haben. Und dort wird auch die israelische Produktion "Speer Goes to Hollywood" Weltpremiere feiern, die in der deutschen Hauptstadt sicher noch einmal einen neuen Blick auf den Architekten Adolf Hitlers werfen wird.