WTO feiert Geburtstag
15. April 2014Der Architekt des Welthandels, der Wegbegleiter der Globalisierung - das ist die Welthandelsorganisation WTO. Als sie 1994 gegründet wurde und zum 1. Januar 1995 ihre Arbeit aufnahm, waren die Erwartungen hoch. Handelshemmnisse sollten wegfallen, der Protektionismus sollte eingegrenzt werden und für Entwicklungsländer sollte der Zugang zu den Märkten erleichtert werden.
Doch es kam anders. Politische Querelen, verkrustete Strukturen und der rasante Fortschritt, auf den die Organisation keine schnellen Antworten parat hatte, haben die WTO zu einem Relikt alter Zeiten gemacht. "Die WTO ist eine mittelalterliche Organisation", sagte 2003 Pascal Lamy, ehemaliger WTO-Generaldirektor. Mehr als zehn Jahre danach tritt die WTO immer noch auf der Stelle, trabt der Globalisierung hinterher und kämpft um ihre Glaubwürdigkeit. Was ist bloß schief gelaufen?
Die Versäumnisse
In ihrem 20-jährigen Bestehen hat die WTO vieles erreicht, doch die Liste der Versäumnisse scheint länger. Die Probleme - zum größten Teil hausgemacht: "Es gelingt der WTO nicht, ihr Regelwerk an neue Herausforderungen anzupassen. Und das liegt daran, dass die Mitglieder nicht bereit sind, die Organisationsstruktur zu ändern", sagt Christian Tietje, Professor für internationales Wirtschaftsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Gemeint ist vor allem das Prinzip der Einstimmigkeit, das der Organisation jeglichen Handelsspielraum raubt. Laut WTO-Statuten dürfen Entscheidungen nur im Konsens beschlossen werden. Bei fast 160 Mitgliedsstaaten ist das eine reine Herkulesaufgabe.
Vielleicht hat sich deswegen das Welthandelsrecht in den vergangenen 20 Jahren auch nicht nennenswert weiter entwickelt, "was man vom Welthandel dagegen aber nicht behaupten kann", sagt Achim Rogmann, Professor für Außenwirtschaftsrecht an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel. Die Zeit sei damit "überreif" für eine erste umfassende Überarbeitung des WTO-Pakets.
Eine große Ungerechtigkeit sieht Rogmann in der mangelnden Einbeziehung der Entwicklungsländer in die Entscheidungsprozesse. "Inzwischen wird die breite Mehrheit der WTO-Mitglieder aus dem Kreis der Entwicklungsländer gestellt. Diese verfügen aber nach wie vor häufig nicht über das Know-How und die Ressourcen, um ihre Interessen nachhaltig bei den Verhandlungen einbringen zu können", so Rogmann.
Und die Großen, so scheint es, messen mit zweierlei Maß: "Die führenden Wirtschaftsmächte, EU und USA, befürworten Freihandel nur, wenn er ihren Interessen dient. Während sie ihre Agrarmärkte mittels protektionistischer Maßnahmen gegen günstigere Agrarprodukte aus den Entwicklungsländern und Schwellenländern schützten, forderten sie von den Entwicklungs- und Schwellenländern eine Liberalisierung nationaler Märkte in den Bereichen, wo sie selbst viel wettbewerbsfähiger sind", sagt Sven Hilbig von der Organisation "Brot für die Welt".
Die Erfolgserlebnisse
Aber man sollte auch nicht alles schlecht reden: Schließlich ist die WTO immer noch das einzige Forum, wo auf internationaler Ebene Regeln für den Welthandel beschlossen werden. Eine wichtige Errungenschaft sieht Simon Evenett, Professor für Außenwirtschaft und Entwicklung an der Universität St. Gallen, in der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten. "Die WTO hat es geschafft, wichtige Länder wie China, Russland oder etwa Saudi Arabien, mit ins Boot zu holen."
Mehr noch: "Das Streitschlichtungsverfahren ist das zentrale herausragende Erfolgselement der WTO. Die Erfolgsgeschichte ist, dass wir Handelsstreitigkeiten heutzutage in hohem Maße im Rahmen einem rechtlich geordneten Streitverfahren beilegen können", sagt Christian Tietje. Sogar Entwicklungsländer können so die großen und einflussreichen Industrienationen zur Räson zwingen. Die Europäische Union etwa musste bereits mehrfach Handelsregelungen dem WTO-Regelwerk anpassen.
Gerade nach der Finanz- und Wirtschaftskrise hat die WTO bewiesen, dass sie in der Lage ist, den Protektionismus in Schach zu halten. Und das ist schließlich mit die wichtigste Aufgabe der Organisation. "Anders als in früheren Zeiten hat die Krise nicht dazu geführt, dass die Staaten ihre Märkte abgeschottet haben", sagt Achim Rogmann.
Wohin steuert die WTO?
Seit der Konferenz auf der indonesischen Insel Bali schimmert Optimismus durch. Ende vergangenen Jahres haben sich die Mitgliedsstaaten auf ein Paket geeignet - es ist das erste umfassende Abkommen seit der Gründung der WTO. Als Durchbruch, als Fortschritt, ja fast als ein Wunder wurde es gefeiert. Mit Tränen in den Augen verkündete der WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo das Ergebnis. "Die WTO hat geliefert", sagte der Brasilianer damals. Es war die Rettung der Organisation, ein kleiner Hoffnungsschimmer - immerhin etwas. "Die Mitglieder haben gezeigt, dass sie auch in sehr schwierigen Situationen bereit sind, die WTO doch noch am Leben zu halten", sagt Tietje.
Für Simon Evenett sieht die nahe Zukunft aber eher düster aus. "Der Erfolg von Bali war zwar ein Schritt vorwärts, aber es ist schnell klar geworden, dass die WTO nicht auf diesen Impuls aufbauen will. Die Staaten sind nicht zu Kompromissen bereit, die die WTO funktionsfähig machen", sagt Evenett.
Um ihre Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen und weiter eine wichtige Rolle im internationalen Handel zu spielen, ist sicherlich eine innere Katharsis notwendig. Neue Ansätze müssen her, vielleicht sogar neue Strukturen. Auch das Entscheidungsprozedere hindert die WTO daran, sich schnell an neue Entwicklungen anzupassen. Dumm nur, dass eine Mehrheitsabstimmung nur durch einen einstimmigen Beschluss eingeführt werden kann - und das scheint utopisch. "Es gibt keine Alternative zur Einstimmigkeit. Keine der großen Mächte wird jemals akzeptieren, überstimmt zu werden", sagt Evenett.