Stimmenfang auf Bagdads Straßen
30. April 2014Noch nie waren die Straßen von Bagdad so bunt wie in diesen Tagen. Knalliges Rot, leuchtendes Gelb, zartes Lindgrün, tiefes Blau: An Variationen fehlt es nicht. Besonders die Plätze der irakischen Hauptstadt sind ein einziges Farbenmeer. Doch es sind nicht etwa Künstler, die die Stadt verschönert haben. Wahlplakate unterschiedlicher Parteien, Allianzen und Blöcke, die auf sich aufmerksam machen wollen, sorgen für das bunte Bild.
Wie ein Vorhang säumen sie die Straßen, an den Plätzen hängen oft mehrere übereinander, eines größer als das andere. Überdimensional werden die Kandidaten präsentiert, so als ob Größe bei der Stimmabgabe entscheidet. Über 9000 Bewerber kämpfen um die 328 Sitze im irakischen Parlament, das am Mittwoch (30.04.2014) gewählt wird. Und jeder will den 21,5 Millionen Wahlberechtigten vermitteln, dass nur er die Geschicke des Landes zum Positiven wenden kann. Es ist die erste entscheidende Wahl nach dem Abzug der US-Truppen Ende 2011.
Nicht zu übersehen ist der amtierende Premierminister Nuri al-Maliki, der um eine dritte Amtszeit kämpft. Seine Rechtsstaatskoalition hat lindgrün als Farbe gewählt und präsentiert sich mit unterschiedlichen Kandidaten und Kandidatinnen. Um sicher zu gehen, dass er auch weiterhin das Sagen im Lande haben wird, hat Maliki trickreich Anhänger auch in anderen Parteien und Koalitionen platziert. Sie sollen dem 63-jährigen Schiiten den Machterhalt sichern, auch wenn seine Partei nicht die nötige Stimmenmehrheit erhalten sollte.
Insgesamt sind 39 größere Allianzen und Blöcke zur Parlamentswahl im Irak registriert, die die Wählerstimmen auf sich ziehen wollen. Neben schiitischen, sunnitischen und kurdischen Parteien, gibt es jetzt aber auch zunehmend gemischte Gruppierungen, die die Spaltung überwinden und auf eine nationale Identität setzen. Bisher wurde im Irak nach Saddam Hussein überwiegend entlang ethnischer und religiöser Grenzen gewählt. Die jetzt einsetzende Diversifizierung der politischen Landschaft könnte ein Hoffnungsschimmer sein für das noch immer tief gespaltene Land.
Extrem personalisierter Wahlkampf
Es könnte aber auch zur völligen Verunsicherung solcher Wähler führen, aus deren Sicht die politische Klasse korrupt und unfähig ist. Nach den ersten euphorischen Wahlen nach dem Sturz Saddam Husseins, als lange Schlangen vor den Wahllokalen die Regel waren und die Menschen auch die schlechte Sicherheitslage nicht von ihrer Stimmabgabe abhielt, herrscht heute überwiegend Frust. Das Chaos im Land sei nicht weniger, sondern mehr geworden, die Korruption allgegenwärtig, die Arbeitslosigkeit unverändert hoch, der öffentliche Sektor schwach und die Politiker wirtschafteten alle nur in ihre eigenen Taschen, hört man allenthalben auf den Straßen von Bagdad, wenn man die Passanten auf die Wahl anspricht.
Auch das Foto der Kandidatin Basima al-Sady hängt neben Premier Maliki am Firdous-Platz, wo einst die Saddam-Bronzestatue vom Sockel gestürzt wurde. Sady gehört zu Malikis Lager. Eine in der Region einzigartige Quote verschafft Frauen einen Sitzanteil von 25 Prozent in den Volksvertretungen Iraks. Islamisch korrekt gekleidet kommt die 56-jährige Schiitin Im blauen Mantel und blau-braunem Kopftuch zum Wahlkampftermin in einem nahegelegenen Hotel, verteilt Poster und kleine Kärtchen mit der Listennummer und ihrer Platzierung. Denn zum ersten Mal können die Wähler ihre Stimme nicht einer Partei, Liste oder Gruppierung geben, sondern ihr Kreuz auch bei einem Kandidaten machen. Die Folge ist ein extrem personalisierter Wahlkampf, in dem Programme oder Ziele zweitrangig sind.
Basima al-Sady setzt deshalb ganz auf ihre Popularität in Sadr City, ihrem Wohnbezirk im Osten von Bagdad. Mit über zwei Millionen Einwohnern ist er eines der größten Stadtviertel der Hauptstadt, mit fast ausschließlich schiitischer Bevölkerung. Hier dürften Sady und Maliki die meisten Stimmen erhalten. "Wir setzen fort, womit wir begonnen haben", steht als Slogan auf der Wahlwerbung der Kandidatin, die als Mitglied des Sicherheits- und Verteidigungskomitees bereits im ersten Übergangsparlament vertreten war und seit 2005 politisch aktiv ist. Mit denselben Worten wie der Regierungschef macht auch sie ausschließlich die Nachbarländer für die verheerende Terrorwelle verantwortlich, die seit einem Jahr erneut den Irak überzieht.
Terrororganisationen als Wahlkämpfer
Mit dem Werben für Kontinuität stehen Sady, Maliki und die Lindgrünen allerdings weitgehend alleine da in diesem Wahlkampf. Alle anderen plädieren für Veränderung und damit ein Ende der Ära des Premierministers, den viele als neuen Saddam Iraks bezeichnen. Ob blau, rot, braun oder gelb - egal zu welcher Partei sie gehören, die Kandidaten mahnen auf ihren Plakaten offen an, was der Regierungschef vor acht Jahren zwar als wichtigste Ziele ausgegeben, aber mitnichten erreicht hat: die Verbesserung der Sicherheitslage und die Bekämpfung der Korruption. Selbst seine engsten Koalitionspartner, die schiitischen Parteien von Ammar al Hakim (gelb) und Moktada al-Sadr (orange), rücken immer weiter von ihm ab. Es wird einsam um Nuri al-Maliki. Sollte seine Rechtsstaatspartei dennoch als stärkster Block aus den Wahlen hervorgehen, so wird es schwierig für ihn, Koalitionspartner zu finden.
Wahlkampf auf Bagdads Straßen heißt auch: Poster und Banner werden heruntergerissen, neue aufgehängt. Manche liegen zertrümmert und zerfetzt am Straßenrand. Mit einem Hebekran wurde eine Stehle auf den seit dem 9. April 2003 leeren Sockel der Saddam-Statue am Firdous-Platz gehievt. Mit schwarz-grünen Lettern wird dort jetzt für eine Partei geworben, die damals undenkbar war: die Asa'ib Ahl al-Haq, die "Liga der Gerechten".
Eigentlich eine Schiitenmiliz, deren Kämper im Iran ausgebildet wurden. Sie haben Tausende von Menschenleben durch ihre Terroranschläge auf dem Gewissen und suchen jetzt politische Legitimität. Ebenso wie ihre "Gegenspieler" der sunnitischen Terrororganisationen Al-Kaida oder ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien), können sie Bagdads ansonsten lebendige und momentan sogar einladende Straßen innerhalb von Sekunden in Szenen blutiger Gewalt verwandeln. Explosionen in Busstationen, Cafés, Restaurants und sogar Moscheen sind für die sechs Millionen Einwohner erneut zum traurigen Alltag geworden.