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Iraks Angst vor ISIS

Birgit Svensson28. April 2014

Die sunnitische Terrororganisation ISIS rückt weiter auf Bagdad vor und trifft hier die Schiitenmiliz Asaib Ahel al-Hak. Erste Anschläge hat es bereits geben. Die Iraker sind vor der Wahl daher besonders in Sorge.

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Immer wieder werden in der letzten Zeit ISIS-Mitglieder festgenommen (Foto: Anadolou Agency)
Immer wieder werden in der letzten Zeit ISIS-Mitglieder festgenommenBild: picture alliance /AA

Das Fußballstadion im Bagdader Bezirk Zaiouna füllt sich mit Tausenden von Anhängern der Schiitenmiliz Asaib Ahel al-Hak, der Liga der Gerechten. Die letzte Wahlkundgebung vor den Parlamentswahlen am 30. April soll nochmals alles aufbieten, was die Organisation vorweisen kann. Mit Bussen werden die Anhänger ins Malab-Stadion im Osten der irakischen Hauptstadt gefahren. Die meisten tragen zivile Kleidung. Viele aber kommen in Uniform, die sich nicht wesentlich von der Uniform der regulären irakischen Armee unterscheidet.

ISIS auf dem Vormarsch

Lediglich das gelbe Logo am Arm verrät, dass es sich hier um eine spezielle Truppe handelt. "Wir hoffen, dass es nicht zu einer Konfrontation mit ISIS kommen wird", sagt ein Uniformierter, der sich als Kämpfer von Asaib vorstellt. "Wir sind aber bereit!" Eine Stunde später explodieren zwei Autobomben vor dem Stadion und ein Selbstmordattentäter sprengt sich mitten unter den Versammelten in die Luft. Fast 40 Menschen sterben, mehr als 100 werden verletzt am Freitagnachmittag (25.04.2014). Tags darauf übernimmt ISIS, "Terrororganisation Islamischer Staat im Irak und Syrien", in einem Bekennerschreiben die Verantwortung für den Anschlag.

Irak Wahlen Wahllokal in Arbil
Im Irak finden die ersten Wahlen nach dem Abzug der US-Truppen stattBild: SAFIN HAMED/AFP/Getty Images

In den Wochen vor den ersten Parlamentswahlen hat nach dem Abzug der US-Truppen Ende 2011 die bekämpft geglaubte und anfangs mit Al-Kaida verbundene sunnitische Terrororganisation zugeschlagen. Sie haben Wahllokale angegriffen, Mitarbeiter der Wahlkommission bedroht, Kandidaten getötet - überall im Irak. Doch als einige schwer bewaffnete ISIS-Terroristen am Sonntag (20.04.2014) eine schiitische Universität im Westen Bagdads stürmten und Studenten als Geiseln nahmen, da wusste man, dass die gefürchtete Terrortruppe in der Hauptstadt angekommen ist.

Al-Kaida distanziert sich

ISIS ist eine der radikalsten und rücksichtslosesten Gruppen im syrischen Bürgerkrieg. Ihre Kämpfer, in deren Reihen sich Tausende ausländische Dschihadisten befinden, haben in den von ihnen kontrollierten Gebieten Syriens ein islamistisches Terrorregime errichtet. Sie schneiden Assad-Kämpfern und rivalisierenden Rebellen die Kehlen durch und hacken Dieben die Hand ab. Ladenbesitzer, die während der Gebetszeiten ihre Läden nicht schließen, werden öffentlich ausgepeitscht.

Nun weiten sie ihren Aktionsradius also auch auf den Irak aus. Die Organisation entstand aus dem "Islamischen Staat im Irak", der sich 2006 als irakischer Zweig von Al-Kaida gründete. Im April 2013 gab ihr Anführer Baghdadi die Umbenennung der Gruppe in "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" bekannt. Inzwischen hat sich selbst Al-Kaida-Chef Aiman al-Zawahiri von ISIS distanziert. "Wir haben keine Verbindungen zu ISIS", teilte er im Februar in einer schriftlichen Botschaft mit. "ISIS ist keine Filiale von Al-Kaida."

Die Führung von ISIS wiederum sagte sich kurz darauf in einer Audio-Botschaft ihres Sprechers Abu Muhammed al-Ansari von Al-Kaida los. Darin heißt es, die Al-Kaida-Führung habe sich von den Grundsätzen des "Heiligen Krieges" entfernt und die Bewegung der "Gotteskrieger" gespalten.

Ausländer im Irak in Sorge

Die Menschen im Irak sind in Sorge. Arndt Fritsche geht kaum noch ohne kugelsichere Weste aus dem Haus. Seitdem in seiner Nachbarschaft nun schon die dritte Bomben-Werkstatt für IED (improvisierte Spregfallen) ausgehoben wurde, fühlt er sich nicht mehr sicher. Als er 2009 mit seiner NGO, die sich um irakische Binnenflüchtlinge kümmert, in das Haus im Bagdader Stadtteil Mansour einzog, hatte die RIRP (Rebuild and Relief International) ein einziges gepanzertes Fahrzeug.

Arndt Fritsche im Irak (Foto: IDP)
Arndt Fritsche ist in Sorge um sein TeamBild: RIRP

Die Kurve der Terroranschläge zeigte ab Mitte 2008 zunächst stark nach unten, Al-Kaida schien besiegt oder vertrieben. So jedenfalls verkündeten es die US-Militärs. Jetzt sind alle acht Autos von Fritsches NGO gepanzert. Von Sicherheitsdiensten habe er erfahren, dass ISIS Schläferzellen in Mansour unterhalte, die jederzeit bereit seien zuzuschlagen.

Besonders in seiner Gegend stünden viele Häuser leer, da die Besitzer vor dem Terror der schlimmsten Jahre 2006/07 ins Ausland geflüchtet waren, erzählt der 44-jährige Mann aus Gießen. Die eingesetzten Wachen seien bestechlich und würden "andere Leute" dort wohnen lassen. Mansour ist ein Bezirk der gehobenen Mittelklasse im Westen von Bagdad. Viele Botschaften und ausländische Unternehmen haben dort ihren Sitz. Die deutsche Botschaft ist nicht weit von Fritsches Haus entfernt.

Maliki will Normalität

Bisher hatte die NGO eine Genehmigung, die Straße zu ihrem Haus abzusperren und zu sichern. Auch Fritsches Nachbarn profitierten von den Sicherheitsmaßnahmen der Deutschen. Vor vier Wochen nun hieß es, die Zementpoller müssten abgebaut und das Wachhäuschen entfernt werden. Premier Maliki will unbedingt Normalität aufzeigen. Viele Kontrollpunkte und Sperren werden derzeit in Bagdad abgebaut, obwohl die Zahl der Anschläge seit einem Jahr wieder drastisch nach oben geht.

Einem Bericht der UN-Mission zufolge kamen im vergangenen Jahr im Irak 8868 Menschen ums Leben, über 3000 sind es bereits in diesem Jahr. Fritsche bekam 48 Stunden Zeit, um die Sicherheitsmaßnahmen rückgängig zu machen. Jetzt hat er lediglich sein eigenes Haus mit Betonstehlen gesichert und Video-Kameras zur Überwachung installiert. Auf längere Sicht aber sucht er nach einer Alternative für sich und seine Mitarbeiter. "Ich fühle mich hier nicht mehr sicher", sagt er.

Asa'ib Ahl Haq oder ISIS oder beide?

Dass ISIS mittlerweile aus der Sunnitenprovinz Anbar, wohin die islamistischen Radikalen von Syrien kommend wieder in den Irak eingesickert waren, auf dem Vormarsch nach Bagdad sind, ist in der irakischen Hauptstadt ein offenes Geheimnis. Den Vorort Abu Ghraib, wo die Insassen des berüchtigten Gefängnisses bereits evakuiert wurden, sollen die Dschihadisten schon im Griff haben.

Im Fußballstadion am vergangegen Freitag könnte sich deshalb das Horrorszenario der Zukunft bereits angedeutet haben: Asaib Ahel al-Hak, die Schiitenmiliz, die nach eigenen Angaben mehr als 6000 Bombenanschläge gegen US-Truppen und deren Helfer verantworten, Todesschwadronen gegen Sunniten ins Leben riefen und die "Säuberung der sunnitischen Elite" nach dem Sturz Saddam Husseins vornahmen, auf der einen Seite. ISIS, die aus dem Irak einen islamischen Staat machen will, auf der anderen. Vorstellbar ist aber auch, dass beide zusammen gegen die Regierung agieren, je nachdem wie das Wahlergebnis ausfällt.