Safer Internet Day: Gegen Cyber-Mobbing
7. Februar 2017Das Internet kann ein rauer Ort sein, ein sehr rauer. Nicht umsonst ist "postfaktisch" das Wort des Jahres, wird über Fake News und über Hass-Postings in Sozialen Netzwerken diskutiert. Ein besonders rauer Ort kann das Internet für Kinder und Jugendliche sein - besonders für jene, die Opfer von Cyber-Mobbing sind. Wie groß das Problem ist, verdeutlicht eine aktuelle TNS-Emnid-Umfrage unter 1000 Müttern und Vätern und Deutschland im Auftrag der Telekom: Demnach kennt ein Viertel der befragten Eltern im persönlichen Umfeld Opfer von Cyber-Mobbing. In sieben Prozent der Familien war sogar das eigene Kind betroffen. Eine andere Untersuchung kommt auf rund 500.000 direkt betroffene Schüler. Das Ausmaß von Cyber-Mobbing ist wohl auch der Grund, warum es nach 2009 in diesem Jahr zum zweiten Mal Schwerpunktthema des "Safer Internet Day" in Deutschland ist.
Aktionen in über 100 Ländern
Der "Safer Internet Day" geht auf ein Programm der EU zurück. Die startete schon 1999 das "Safer Internet Programme". Ziel: die Bekämpfung von illegalen, unerwünschten, schädlichen Inhalten und die Förderung eines sicheren Umfelds. Mittlerweile ist die Initiative weit über Europa hinaus gewachsen. In mehr als 100 Ländern machen sich Initiativen, Medien, Schulen und Unternehmen am Safer Internet Day wieder stark für ein "besseres Internet". Das internationale Motto: "Be the change: United for a better Internet".
In Deutschland wird die Initiative im Wesentlichen von Klicksafe.de koordiniert. Diese EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz stellt umfangreiches Material für den Umgang mit dem Netz bereit und hat auch das Schwerpunktthema Cyber-Mobbing gesetzt. Dafür hat klicksafe.de auch eine Fülle an Material auf seiner Webseite bereit gestellt
Relevant ist das Thema allemal. Nina Pirk von der "Nummer gegen Kummer" sieht in Cyber-Mobbing ein gleichbleibend wichtiges Thema. In der Statistik dieser größten telefonischen Beratungsstelle in Deutschland ist Cyber-Mobbing konstant unter den fünf wichtigsten Themen, erklärt Pirk gegenüber der DW. "Unter den Problemen in Zusammenhang mit Internetthemen, mit denen sich Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern bei uns melden, ist es einfach ein gleichbleibend wichtiges Thema", betont Pirk.
Digitalisierung zerstört Schutzräume
Mobbing hat es zwar schon immer gegeben. Aber Internet und Soziale Netzwerke haben die Problematik dramatisch verschärft. Das hat Franz Hilt von der Freiburger Präventionsstelle "Konflikt-Kultur" beobachtet: "Binnen Sekunden erreiche ich ein riesiges Publikum. Die Schikane ist Tag und Nacht präsent. Die habe ich in meinem Handy ständig dabei. Es fehlen mir Schutzräume, in denen ich abschalten kann, in denen ich nach der Schule nachmittags die Sache hinter mir lasse." Franz Hilt arbeitet mit zweitägigen Sozialtrainings in Schulen gegen Mobbing - und Cyber-Mobbing an. Seine Beobachtung: "In fast jeder Klasse gibt es Opfer". Mit seiner Arbeit will er Kindern und Jugendlichen eine Konflikt-Kultur vermitteln. Sie soll helfen, sich in andere hineinzuversetzen und Mitgefühl zu entwickeln. Dabei wird bis ins Kleinste nachgefragt: Was passiert denn eigentlich genau auf WhatsApp, auf Facebook, auf dem Pausenhof? "Da entsteht eine derart bedrückende Situation, in der die Fülle der Details, die Wiederholung der Beleidigungen, die nicht enden wollende Ausgrenzung und Schikane so dramatisch deutlich wird, dass Sie Stecknadeln fallen hören könnten, dass ein, zwei, drei Kinder zu weinen anfangen und sagen: Ich wusste gar nicht, dass das so schlimm ist", schildert Hilt eindrücklich im DW-Interview.
Eine besonders perfide Form kann Cyber-Mobbing annehmen, wenn die digitale Identität gestohlen und dann missbraucht wird. Davor warnt zum "Safer Internet Day" das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik. BSI-Sprecher Matthias Gärtner erläutert gegenüber der DW, dass ein Fremder mit einer gestohlenen Identität in sozialen Netzwerken Meinungen kundtun kann und gegen echte Freunde Dinge posten kann, die überhaupt nicht im Sinne des eigentlichen Kontoinhabers sind und mit der die echte Person in Misskredit gebracht wird. Zum Schutz rät Gärtner an erster Stelle zu Datensparsamkeit: Man solle sich genau überlegen, was man in Sozialen Netzwerken preisgibt und öffentlich macht.
Selbststeuerung üben
Datensparsamkeit in ganz anderem Sinne ist das Thema von Joachim Bauer. Der Freiburger Neurobiologe macht seit sieben Jahren Gesundheitsprojekte in Schulen. Seine Beobachtung - über Cyber-Mobbing hinaus: "Die Fähigkeit der Kinder, sich auf eine Sache zu konzentrieren hat nachgelassen. Die Kinder merken das auch selbst und empfinden es als Mangel." Bauer macht für diese Entwicklung den permanenten Reiz durch soziale Netzwerke zumindest mit verantwortlich. Im DW-Gespräch erläutert Bauer, dass soziale Netzwerke an einem neurobiologisch im Menschen verankerten Bedürfnis ansetzen. "Wir wollen miteinander verbunden sein. Aber wenn wir permanent angefunkt werden, dann wird dieses Bedürfnis nach Kontakt ständig getriggert und es entsteht ein suchtartiger Mechanismus. Der führt dazu, dass Smartphones uns beherrschen anstatt wir sie."
Der Freiburger Wissenschaftler möchte Kinder und Jugendliche zur Selbststeuerung anleiten, "dass sie selbst entscheiden, wann sie auf Empfang sind und wann nicht". Bauer empfiehlt, in der Familie geschützte Zeiten zu schaffen, in denen technische Gadgets keine Rolle spielen und ausgeschaltet sind: Zum Beispiel beim Frühstück und beim Abendessen: "Dann können Kinder auch erleben, welche Freude es machen kann, mal nicht an der unsichtbaren langen Leine dieser Geräte leben zu müssen, sondern auch mal Freiheit von ihnen zu haben."