1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Streit um Degussas Nazi-Vergangenheit

Peter Wozny28. Oktober 2003

Wird die Degussa AG weiter am Holocaust-Mahnmal mitarbeiten oder nicht? Die Stiftung "Mahnmal für die ermordeten Juden Europas" wirft Degussa die Lieferung des Gifts Zyklon B an die Nazis vor.

https://p.dw.com/p/4G1V
2751 Stelen bilden das Denkmal, das im Mai 2005 eingeweiht werden sollBild: AP

An der Baustelle südlich des Brandenburger Tors wird weiter gearbeitet. Obwohl ein Baustopp angekündigt war. Alles läuft wie gewohnt. Die Fundamente werden bearbeitet und auch an den 2751 Betonstelen wird am Montag (27.10.2003) weiter gebaut.

Nur werden diese zurzeit nicht mit der Anti-Grafitti-Beschichtung versehen, die Degussa herstellt. Das Kuratorium der Stiftung "Mahnmal für die ermordeten Juden Europas" möchte die Degussa AG aus dem Kreis der Bau- und Zulieferfirmen verbannen. Eine Tochterfirma des Konzerns hatte im so genannten "Dritten Reich" das Gift Zyklon B zur Ermordung von Juden an die Nazis geliefert.

Rosh und Thierse uneinig

Man könne den Opfern und ihren Nachkommen nicht zumuten, dass ein Unternehmen, das an den Nazi-Verbrechen verdient habe, nun auch am Holocaust-Mahnmal verdiene, wird ein Mitglieder des Gremiums im Berliner Rundfunk zitiert.

Lea Rosh, stellvertretende Vorsitzende der Denkmal-Stiftung, sagte gegenüber der Deutschen Welle (DW) dazu: "Wir hatten eine Mitgliederversammlung des Förderkreises. Da stand eine Frau auf und sagte: Meine Eltern sind in Auschwitz mit Zyklon B vergast worden. Ich würde es nicht fertig bringen auf dieses Denkmalsgelände zu gehen, wenn ich wüsste, dass Degussa den Grafitti-Schutz angebracht hat."

"Bei Giftgas liegt die Grenze"

Das Kuratorium habe lange überlegt, wo bei 200 deutschen Firmen, die an der Ausbeutung von Häftlingen in Konzentrationslagern verdient hätten, die Grenze zu ziehen sei, so Rosh. "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Grenze in der Tat bei der Produktion von Giftgas liegt", sagt Rosh weiter.

Einig schien sich das Kuratorium nicht zu sein. Denn Bundestagspräsident und Kuratoriumschef Wolfgang Thierse entgegnete gegenüber DW-TV den Aussagen Roshs: "Man sollte auch daran erinnern, dass dies nicht mehr dieselbe Firma ist wie vor 60 Jahren - ein anderes Management, eine andere Firma, die sich ihrer Vergangenheit mehr als andere deutsche Firmen gestellt hat, die sich sehr aktiv beteiligt hat am Zwangsarbeiterfonds."

Kein Vertrag mit der Degussa

Spekuliert wird derzeit, ob der Auftrag an Degussa überhaupt vom Kuratorium storniert werden kann. Denn Vertragspartner für die Lieferung des Degussa-Schutzmittels ist die Firma EAG Efinger und Albani GmbH aus Hannover. Die Stiftung selbst hat mit der Degussa keinen Vertrag geschlossen.

"Es kann niemand behaupten, er hätte zu spät davon erfahren, dass Degussa die Werkstoffe über uns liefert", sagte EAG-Geschäftsführers Bernd Efinger. "Der Name ist bei allen Verhandlungen gefallen. Sowohl die Stiftung als auch die Berliner Bauverwaltung sind von uns frühzeitig schriftlich darüber informiert worden."

Laut Efinger sei es bautechnisch unverantwortlich, einen alternativen Hersteller zu suchen: "Erstens gibt es derzeit kein besseres Produkt auf dem Markt als das von Degussa. Zweitens handelt es sich um ein Auftragsvolumen von 40 Tonnen, um 56.000 Quadratmeter zu schützen. Die produziert man nicht eben im Vorbeigehen."

Stiftung sucht neue Lösung

Die Stiftung werde bis Ende Oktober 2003 mit dem Bauträger über die Konsequenzen der Verwendung eines anderen Produktes oder der Neubeauftragung einer anderen Firma beraten, sagte die Geschäftsführerin der Stiftung, Sybille Quack, am Montag (27.10.2003) in Berlin. Ob die bereits montierten Stelen wieder abgebaut werden, oder die schon fertigen Betonquader doch noch verwendet würden, sei noch nicht entschieden.

Degussa respektiert Entscheidung

Die Degussa AG hat am Dienstag (28.10.2003) mitgeteilt, dass sie die Entscheidung der Stiftung bedauere, aber respektiere. Der Vorstand möchte den Vorgang aber noch einmal mit Thierse diskutieren. "Die aktive Aufarbeitung unserer Unternehmensgeschichte ist uns ein zentrales Anliegen", so Vorstandschef Utz-Hellmuth Felcht.