Streit um Heimatreisen syrischer Flüchtlinge
23. August 2019"Seehofer will Syrern Flüchtlingsstatus entziehen", schrieb "Bild.de", beim bayerischen Online-Portal "BR24" war zu lesen, "Seehofer will syrische Heimaturlauber abschieben" und die "Welt" kommentierte: "So verhöhnen Flüchtlinge deutsche Gastfreundschaft". Auch in sozialen Medien gab es Aufregung: Missbrauchen viele Syrer das Asylrecht und machen regelmäßig Urlaub in ihrer Heimat?
So verstand man offenbar die Äußerung des deutschen Innenministers Horst Seehofer (CSU) in der "Bild am Sonntag": "Wer als syrischer Flüchtling regelmäßig in Syrien Urlaub macht, der kann sich ja nicht ernsthaft darauf berufen, in Syrien verfolgt zu werden. Dem müssen wir seinen Flüchtlingsstatus entziehen. Wenn dem BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Red.) Reisen in das Herkunftsland bekannt werden, wird unverzüglich ein Widerruf des Flüchtlingsstatus geprüft."
Das löste Kritik aus, bei der Opposition und Sozialverbänden. "Die Aussage von Bundesinnenminister Seehofer suggeriert, dass syrische Geflüchtete zur Erholung oder Freizeit in das Bürgerkriegsland zurückkehren würden", sagt Caritas-Präsident Peter Neher der DW. "Aus unserer Caritas-Flüchtlingsarbeit wissen wir, dass syrische Flüchtlinge kurzzeitig ihr Herkunftsland aufsuchen, um beispielsweise erkrankte oder minderjährige Familienangehörige in akuten Notlagen zu unterstützen. Auch wenn Verwandte oder Familienmitglieder im Sterben liegen, reisen syrische Flüchtlinge kurzzeitig ins Herkunftsland." Der blaue Pass für anerkannte Flüchtlinge berechtigt zu Reisen ins Ausland, aber nicht in das Land, aus dem sie geflohen sind.
Anwar Abdulkader, ein syrischer Flüchtling, der in Köln als Kultur- und Sprachmittler arbeitet, bestätigt: "In sozialen Netzwerken wird viel über das Thema gesprochen." Flüchtlinge versuchten - teilweise mit Hilfe von Schleppern - über Nachbarstaaten wie die Türkei, den Irak oder den Libanon nach Syrien zu reisen, wenn jemand aus der Familie ernste Probleme habe oder krank sei.
Flüchtling Ali N. (Name geändert), der in Bonn arbeitet, ergänzt: "Einerseits verstehe ich, dass viele Flüchtlinge ihre Familien vermissen, insbesondere die, die sie nicht nach Deutschland holen dürfen wegen der Beschränkung des Familiennachzugs. Andererseits finde ich, dass die Flüchtlinge auf die Gesetze in Deutschland achten müssen, weil sonst das Asylrecht ausgenutzt wird."
Zu Heimatreisen gibt es keine Zahlen
Sind Reisen in die Heimat ein drängendes Problem? Obwohl die Debatte darüber jährlich wiederkehrt - meist im Sommer -, gibt es "weder Zahlen noch Schätzungen", wie viele anerkannte Schutzsuchende aus Syrien in ihr Heimatland reisen, warum sie das tun und in wie vielen Fällen solche Reisen zu einem Widerruf des Flüchtlingsstatus führen, teilt das zuständige BAMF mit. Etwa 780.000 Syrer flüchteten in den vergangenen Jahren nach Deutschland. Gibt es unter ihnen wenige Fälle, dutzende oder weit mehr? "Es wird immer mal wieder berichtet", sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI) der Deutschen Welle. Die meisten Meldungen über solche Reisen ins Heimatland erhält das BAMF von der Bundespolizei, für die der Innenminister zuständig ist - auch dazu gibt es keine Zahlen.
Geäußert über den "Urlaub in Syrien" hat sich der deutsche Innenminister kurz vor den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern. "Herr Bundesminister Seehofer hat auf die geltende Rechtslage hingewiesen", schreibt das BMI der DW. Linken-Politikerin Ulla Jelpke wirft Seehofer vor, Stimmung gegen syrische Flüchtlinge zu machen, um CDU und CSU "für AfD-Wähler attraktiv zu machen". Selbst wenn Schutzsuchende in Verfolgerstaaten reisten, um Familienangehörige zu treffen, wäre das kein "Urlaub", argumentiert sie: "Solche gefährlichen Reisen sind vielmehr die brutale Konsequenz einer restriktiven Familiennachzugspolitik."
Kritik kam auch von der Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic. Aus kurzen Aufenthalten könne nicht geschlossen werden, dass ein dauerhafter Aufenthalt ungefährlich wäre, sagte sie der "Rheinischen Post".
Syrischer Flüchtling: "Das schadet unserem Ruf"
Rami A. (Name geändert) lebt in Brandenburg, wo bald gewählt wird. Vor fünf Jahren floh er aus Damaskus nach Deutschland. Die aktuelle Debatte stärke die AfD im Wahlkampf und rücke die Syrer in ein schlechtes Licht, beobachtet er: "Das schadet unserem Ruf." Viele forderten jetzt, die Syrer sollten doch alle zurückgehen in ihr Land, um es wieder aufzubauen. Er selbst aber befürchte wie viele andere, bei einer Rückkehr vom Assad-Regime verfolgt zu werden. Dieses Problem hätten Regime-Anhänger natürlich nicht.
Rami A. warnt vor Verallgemeinerungen, auch über die Lage in Syrien. In der Region Idlib wird noch gekämpft. Er kennt Flüchtlinge, die nach Syrien gereist sind, teilweise meldeten sie das vorher bei Ausländerbehörden an, sagt er. Ein Mann etwa "wollte unbedingt seine tote Mutter vor der Beerdigung noch einmal sehen".
Reisen aus "sittlicher Verpflichtung"
Eine freiwillige Rückreise ins Herkunftsland kann Grund für einen Widerruf des Flüchtlingsstatus sein, aber nur dann, wenn man davon ausgeht, dass der Flüchtling sich wieder unter den Schutz des Heimatlandes stellt. "Handelt es sich um Reisen zu Urlaubszwecken oder einen langfristigen Aufenthalt im Herkunftsland, kann dies ein Indiz dafür sein, dass bei dem Flüchtling keine Furcht vor Verfolgung vorliegt", teilt das BAMF mit. Einen automatischen Verlust des Flüchtlingsstatus aber gibt es nicht. Seit 2015 schreibt das europäische Recht vor, dass jeder Einzelfall in einem Widerrufsverfahren geprüft werden muss.
Das BAMF geht davon aus, "dass eine kurze Rückreise zur Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung, wie die Teilnahme an einer Beerdigung, der Besuch eines schwerkranken Familienangehörigen, kein Grund für einen Widerruf ist." Generelle Aussagen könne man nicht treffen, erst nach der Reise lasse sich von Fall zu Fall beurteilen, ob der Schutzstatus auf Widerruf geprüft werden müsse."
Keine Abschiebungen nach Syrien bis Jahresende
Seit diesem Jahr gibt es eine Studie zu "Reisen von Schutzberechtigten in ihre Herkunftsländer". Solche Reisen wurden immer wieder kontrovers diskutiert, heißt es darin. Anlass dafür seien auch Anfragen der AfD in Landesparlamenten, die mit Stichworten wie "Heimaturlaube" oder "Missbrauch des Asylstatus" den Eindruck erweckten, dass Schutzberechtigte, die temporär in ihre Herkunftsländer reisten, "ihren Schutzstatus generell zu Unrecht in Anspruch nehmen würden". Das ist nicht die Rechtslage.
Innenminister Horst Seehofer hatte in seiner Stellungnahme auch angekündigt: "Zudem beobachten wir intensiv die Entwicklung in Syrien. Wenn es die Lage erlaubt, werden wir Rückführungen durchführen." Vorläufig aber würde selbst nach einem Widerruf des Flüchtlingsstatus niemand aus Deutschland nach Syrien gebracht. Bis zum 31.12.2019 gilt ein Abschiebestopp.