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PolitikEuropa

Milliardenschwerer Streit um Ski-Lockdown

Mirjam Benecke
29. November 2020

Italien, Frankreich und Deutschland wollen die Skisaison verschieben und fordern ein europaweit koordiniertes Vorgehen. Andere Länder stellen sich quer. Denn es geht nicht nur um Winterspaß - sondern um viel Geld.

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Schweiz Zermatt Riffelberg Matterhorn Ski-Gebiet
Bild: Jean-Christophe Bott/Keystone/picture alliance

Wie eine etwas schief geratene Pyramide ragt der Gipfel des Matterhorns hoch über dem Schweizer Bergdorf Zermatt empor. Die Region im Kanton Wallis ist das höchstgelegene Skigebiet Europas. Hier treffen sich Skisportler und Snowboarder aus aller Welt und jagen die kilometerlangen Pisten hinunter. Normalerweise würden in diesen Tagen intensive Vorbereitungen für die umsatzstarken Weihnachtsferien laufen. Doch in diesem Jahr ist alles anders. 

"Im Dorf ist es schon ruhiger als in anderen Jahren", sagt Simona Altwegg vom Zermatter Tourismusverband im Gespräch mit der DW. Grund dafür ist - natürlich - die Corona-Pandemie. Zwar sind die Pisten geöffnet und die Bergbahnen fahren. Doch Ski-Touristen aus Italien, Deutschland oder Frankreich bleiben aus.  "Die Gäste, die jetzt hier sind, kommen fast ausschließlich aus der Schweiz", sagt die Touristikerin.

Alpenländer verhandeln über gemeinsame Linie

Die Schweiz ist derzeit das einzige Alpenland mit geöffneten Skigebieten. Daneben haben noch Schweden, Norwegen und Finnland einen Teil ihrer Pisten freigegeben. Der Rest Europas blickt der Wintersportsaison eher kritisch entgegen.

So fordern die Regierungen von Deutschland, Italien und Frankreich eine länderübergreifende Schließung der Skigebiete. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte dazu, sie werde prüfen, ob man alle Skiregionen in Europa schließen könne. Zuvor war Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte vorgeprescht, offenbar in Abstimmung mit der deutschen Kanzlerin. Er  hatte wegen der Pandemie vorgeschlagen, Wintersportgebiete mindestens bis zum 10. Januar - dem Ende der Winterferien - geschlossen zu halten.

Schweizer Alpen Ski Lift
Skier anschnallen, Maske auf und rein in den Lift: Ein Mund-Nasen-Schutz ist im Schweizer Skigebiet Verbier PflichtBild: Jean-Christophe Bott/Keystone/picture alliance

Die große Mehrheit der Deutschen hält das für eine gute Idee. Knapp 74 Prozent der Befragten gaben bei einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der "Augsburger Allgemeinen" an, es sei richtig zur Eindämmung der Corona-Pandemie europäische Skigebiete vorerst zu schließen.

Tourismusbranche fürchtet Ausfälle in Milliardenhöhe

Für Liftbetreiber, Hoteliers und Gastronomen würde das allerdings hohe Ausfälle bedeuten -  denn gerade die Tage zwischen Weihnachten und Silvester gelten als umsatzstarke Zeit. In Österreich wehren sich Tourismusbranche und Politik deshalb gemeinsam gegen mögliche Schließungen. "Die Entscheidung, ob oder wann Skigebiete aufsperren dürfen, soll jedes Land eigenständig treffen", sagte die österreichische Tourismusministerin Elisabeth Köstinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wir werden Frankreich auch nicht vorschreiben, wann der Louvre wieder öffnen darf."

Infografik Tourismusumsätze in Österreich DE

Der Wintertourismus ist gerade für den Westen Österreichs überlebenswichtig. In der Wintersaison 2018/2019 zählte das Land 73 Millionen Übernachtungen und verbuchte einen Umsatz von 14,9 Milliarden Euro.

Die österreichische Regierung fordert deshalb Ausgleichszahlungen in Höhe von zwei Milliarden Euro, falls die EU-Kommission europaweit zu einem Verzicht auf Skiurlaub aufrufen sollte. "Der aktuelle Vorschlag bedeutet für Österreich empfindliche wirtschaftliche Einbußen", so Finanzminister Gernot Blümel im Gespräch mit der Zeitung "Welt". Sein Gegenvorschlag: Die Kompensation für Österreich könne entweder darin bestehen, dass das Land "mehr Geld" aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU erhalte oder seine EU-Mitgliedsbeiträge entsprechend senken dürfe.

Auch Italiens Wintertourismus droht wegen der geplanten Schließung ein herber Umsatzrückgang von etwa 70 Prozent gegenüber der vergangenen Saison. In der Vorsaison hatte die Branche noch 10,4 Milliarden Euro erwirtschaftet. Ein Drittel davon während der Tage, die die Italiener normalerweise zu Weihnachten und Neujahr in den Alpen und Dolomiten verbringen. Sollte die Wintersaison erst Mitte Januar 2021 beginnen, würde der Umsatz lediglich 3,1 Milliarden Euro betragen. Das geht aus einer Prognose des Instituts JFC hervor.

Frankreich: Proteste für Öffnung der Skilifte

Frankreichs Regierungschef Jean Castex kündigte an, dass die französischen Skigebiete in den Weihnachtsferien zwar öffnen dürfen - die Skilifte müssen allerdings geschlossen bleiben. Damit fällt der Saisonstart für Wintersportler dort praktisch ebenfalls flach. Die französischen Liftbetreiber sprachen von einer "wahnwitzigen" Entscheidung. In Südosten des Landes demonstrierten am Wochenende mehrere hundert Menschen für eine Öffnung der Skilifte und der Restaurants und Bars in den Wintersportorten. 

Die Schweiz - selbst kein EU-Land - will die Wintersaison auf keinen Fall sausen lassen. "Die Skigebiete können offen bleiben, mit guten Schutzkonzepten und strikter Umsetzung", sagte Gesundheitsminister Alain Berset. 

Dabei stecken sich in der Schweiz im Schnitt mehr Menschen mit dem Coronavirus an als in Deutschland. Zuletzt verzeichnete das Land in einer Woche 348 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Im selben Zeitraum waren es in Deutschland 136 neue Fälle pro 100.000 Einwohner. 

Tourismusexpertin: "Wir müssen flexibel bleiben"

Derzeit gelten in der Schweiz je nach Region unterschiedlich strenge Corona-Maßnahmen. Das Wallis - zu dem auch die Skiregion Zermatt gehört - zählt zu den am stärksten von der Pandemie betroffenen Kantone. Restaurants, Theater und Museen sind dort seit Wochen geschlossen.

Beim Anstehen für Seilbahnen und in den Gondeln gelten Maskenpflicht und - wo es möglich ist - Abstandsregeln. Das stellt Liftbetreiber und Tourismusverbände vor eine schwierige Aufgabe. "Bisher war unser Ziel immer, um 8.30 Uhr so viele Leute wie möglich bei der Bergbahn zu haben", sagt Simona Altwegg vom Zermatter Tourismusverband der DW. Doch nun müsse ihr Team umdenken und größere Menschenansammlungen verhindern. "Unsere Aufgabe ist es einfach, agil und flexibel zu bleiben und uns dem anzupassen, was angeordnet wird", so Altwegg. 

Markanter Gipfel: das Matterhorn

Trotz etlicher Einschränkungen sei die Stimmung unter den Wintersportlern derzeit sehr gut. "Die Regeln werden eingehalten - gerade die Maskenpflicht", sagt die Expertin. Zugleich befürchtet sie aber hohe finanzielle Einbußen - selbst, wenn die Pisten und Bergbahnen durchgehend geöffnet bleiben dürftdann füge en.

"Normalerweise kommt im Winter die Hälfte unserer Gäste aus dem Ausland", so Altwegg. Wegen der Reisewarnungen und Quarantäne-Regelungen vieler Länder rechne man in dieser Saison aber überwiegend mit Gästen aus dem Inland. "Selbst wenn diesen Winter vielleicht mehr Schweizer Gäste kommen als sonst, wird es nicht möglich sein, die fehlenden ausländischen Gäste zu kompensieren."

Ischgl: Superspreader-Ort will mit Hygienekonzept überzeugen

Im vergangenen Winter hatte sich der für seine Partyszene bekannte Skiort Ischgl in Österreich zu einem Corona-Hotspot entwickelt. Tausende Urlauber steckten sich dort zu Beginn der Pandemie an und verbreiteten das Virus auf dem gesamten Kontinent. Vor allem überfüllte Bars galten als idealer Nährboden für die Verbreitung des Virus.

Österreich Ischgl Aprés Ski Party
Aprés-Ski adé: Partynächte wie hier im österreichischen Ischgl soll es in diesem Winter nicht geben (Archivbild, 2016)Bild: Roland Mühlanger/picturedesk/picture alliance

Seit dem Frühjahr hat Ischgl rund 700.000 Euro in ein Hygienekonzept investiert. Kameras sollen sofort über Gruppenbildungen beim Anstehen aufklären. Zudem sollen Wartezeiten vorhergesagt und Seilbahn-Kabinen mit Kaltvernebelungsgeräten desinfiziert werden. Ein System zum Testen von Gästen, Mitarbeitern und Einheimischen werde derzeit ausgebaut. 

Gemütlichkeit statt Hüttengaudi

Après-Ski und Hüttengaudi fallen in diesem Winter flach. Das haben sich nicht nur Ischgl, sondern beinahe alle Skiregionen Europas vorgenommen. In Zermatt in der Schweiz nimmt man diese Umstellung eher gelassen. "Wir sind nicht berühmt für unsere Partys", so Simona Altwegg. "Aber wir hoffen schon, dass es eine Art von Aprés-Ski geben wird, in dem Sinne, dass man nach dem Skifahren gemütlich einen trinken kann - vielleicht auch mit Musik." Auf Tischen getanzt werde aber sicher nicht.