Stuttgart 21 - von Anfang an umstritten
15. Februar 20122.500 Polizeibeamte zogen am frühen Mittwochmorgen los, um den Stuttgarter Schlosspark zu räumen. Mehr als 100 Bäume des Parks sollen gefällt werden, um Platz für den Umbau des benachbarten Hauptbahnhofs zu schaffen. Rund 1.000 Demonstranten hatten sich im Park versammelt und zum Teil an die Bäume gekettet. Vor eineinhalb Jahren war es bei einer ähnlichen Aktion zu einer Gewalteskalation gekommen.
Lange Vorgeschichte
Seit über zwanzig Jahren existierten in Stuttgart Pläne zur Umgestaltung des Hauptbahnhofes, der mit seinen 17 Gleisen quer durch die Innenstadt schneidet. Unter dem Namen "Stuttgart 21" stellte die Bahn in den 1990er Jahren schließlich ein Konzept vor, den alten Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit acht Gleisen zu ersetzen. 2006 stimmte der baden-württembergische Landtag mit den Stimmen der CDU, der SPD und der FDP dem Projekt zu.
Von Demonstranten und Wutbürgern
Schon ein Jahr später gab es Versuche, Stuttgart 21 per Bürgerbescheid zu stoppen - damals lehnte die Politik eine Volksabstimmung ab. Mit dem Baubeginn im Februar 2010 wurden die Proteste vor Ort so groß, das auch der Rest der Republik aufmerksam wurde. Immer mehr Stuttgarter gingen auf die Strasse, auch viele Ältere beteiligten sich an den regelmäßigen Demonstrationen in der Stuttgarter Innenstadt. Für diese Demonstranten, die dem bürgerlich-konservativen Milieu entstammten, erfand ein Journalist den Begriff "Wutbürger", der noch vor "Stuttgart 21" zum Wort des Jahres 2010 gewählt wurde.
Ende September 2010 eskalierte die Situation, als Polizisten im Stuttgarter Schlossgarten gewaltsam gegen Zehntausende von demonstrierenden Anwohnern vorgingen. Hunderte von Menschen wurden durch die eingesetzten Wasserwerfer, durch Tränengas oder Pfefferspray verletzt.
Runder Tisch scheitert
Von Oktober bis November 2010 versuchte der ehemalige CDU-Spitzenpolitiker Heiner Geißler zwischen den zerstrittenen Partnern zu vermitteln. Er brachte die Bahn-Geschäftsführung, die Landesregierung und die demonstrierenden Projektgegnern an einen runden Tisch. Doch auch der 81-Jährige Schlichter konnte keine einvernehmliche Lösung finden.
Baden-Württemberg wählt grün
Im März 2011 wurde in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Und Stuttgart 21 war das bestimmende Wahlkampfthema. Die Grünen, die Stuttgart 21 schon immer abgelehnt hatten, konnten in dem sonst konservativ geprägten "Ländle" unerwartet zulegen und stellten mit Winfried Kretschmann den ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland. Kretschmann einigte sich mit seinem Koalitionspartner, der SPD, darauf, nun doch eine Volksabstimmung über das umstrittene Bahnprojekt durchführen zu lassen.
Stresstest bestanden
Im Schlichterspruch von Heiner Geißler war die Bahn zu einem sogenannten "Stresstest" verpflichtet worden. Eine Schweizer Ingenieurfirma wurde beauftragt, zu prüfen, ob der neue unterirdische Durchgangsbahnhof erheblich leistungsfähiger wäre als der bisherige Kopfbahnhof. "Stresstest bestanden" war das Ergebnis ihrer Analyse, die im Juli 2011 veröffentlicht wurde.
Volksabstimmung
Im November 2011 kam es schließlich zur Volksabstimmung über den Weiterbau des Bahnprojekts. Überraschenderweise setzten sich nicht nur im Bundesland, sondern auch in Stuttgart selbst die Befürworter durch. Nur etwa 41 Prozent stimmten für einen Ausstieg.
Die Gegner des Projekts kündigten im Anschluss an, ihren Protest fortzuführen. Der grüne Landeschef Winfried Kretschmann muss nun die Weiterführung des Baus sichern.
Zielvorgabe 2020
Bis Ende 2020 will die deutsche Bahn die Umbauten am Stuttgarter Hauptbahnhof beendet haben, der neue achtgleisige Tiefbahnhof mit kilometerlangen Tunnelanfahrten wird dabei quer zur Lage des alten Kopfbahnhofs liegen. Die Kosten hat die Bahn mit 4,1 Milliarden Euro veranschlagt.
Autorin: Rachel Gessat
Redaktion: Nicole Scherschun