Syrien, Irak und der Kampf gegen den IS
9. August 2016Ende Juni war es soweit: Gut zwei Jahre lang hatte die Dschihad-Organisation "Islamischer Staat" (IS) über die Stadt Falludscha westlich von Bagdad geherrscht. Im Frühjahr dieses Jahres hatte die irakische Armee die Rückeroberung der Stadt vorbereitet. Enger und enger zog sie den Ring um die Metropole, im Juni dann eroberte sie sie zurück. Derzeit ist sie dabei, einen Kreis um Mossul zu ziehen, jene Stadt, deren Eroberung im Juni 2014 als größter militärischer und zugleich symbolischer Erfolg des IS galt.
Während des Marsches auf Mossul hat die Armee bereits eine ganze Reihe kleinerer Ortschaften unter ihre Gewalt gebracht. Für die Rückeroberung der Millionenmetropole werden allerdings heftigste Kämpfe erwartet. Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für den Nahen Osten, Joachim Rücker, erklärte Mitte Juli, bis zu einer Millionen Menschen könnten durch die Gewalt zur Flucht gezwungen sein.
Auch in Syrien sind die Dschihadisten in Bedrängnis. Seit Anfang Juni attackiert die syrische Armee die vom IS gehaltenen Viertel der Millionenstadt Aleppo im Norden des Landes. Dabei geht sie ohne Rücksicht auf Zivilisten vor. Selbst vor dem Beschuss von Wohnvierteln und Krankenhäusern schreckt sie nicht zurück. Allein im Juli hatte die Armee 15 medizinische Versorgungzentren attackiert. Auch Wohnviertel stehen unter Beschuss.
Brutalität als Strategie
Auf Zivilisten nimmt das Regime also wie bereits in den vergangenen fünf Jahren keine Rücksicht. Beobachter gehen zwar davon aus, dass es für den weitaus größten Teil der Kriegsopfer verantwortlich ist. Dafür aber inszenieren die IS-Terroristen den Tod ihrer Opfer auf besonders grausame Weise und stellen entsprechende Videos ins Internet
Diese Brutalität wirkt auf den IS zurück. Seitdem er sich 2011 in Syrien ausbreitete, sind die Dschihadisten mit aller Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen. Menschen waren mit einem Mal verschwunden; Tage später fand man sie tot wieder, teils mit Zeichen schwerer Misshandlungen.
Durch ein solches Vorgehen verbreitete der IS Frucht und Schrecken, verhinderte zugleich aber, dass die Menschen in den von ihm beherrschten Gebieten Loyalität zu ihren neuen Herrschern entwickelten. Sahen die sunnitischen Iraker die IS-Kämpfer vor Jahren noch als eine Art Schutzmacht gegen die Vorherrschaft der schiitisch dominierten Regierung, erwies sich diese Erwartung längst als Enttäuschung.
Kaum Rückhalt in der Zivilbevölkerung
Das trägt nun dazu bei, dass die Herrschaft des IS überall da, wo er angegriffen wird, rasch von innen kollabiert. Allerdings heißt das nicht, dass sich an dessen Stelle unmittelbar säkulare Kräfte setzen würden. Zwar würden in Syrien sehr große Teile ein säkulares Syrien bevorzugen, sagt Bente Scheller, Leiterin des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. "Aber je stärker der Konflikt konfessionalisiert, je brutaler er auch ausgetragen wird, desto weniger werden wir von den säkularen Kräften sehen."
Aus dem gleichen Grund ist auch nicht damit zu rechnen, dass die säkularen Sunniten im Irak sich in absehbarer Zeit durchsetzen werden. Dazu sind die Gräben zwischen den religiösen Gruppen zu tief, hat sich die oft gewalttätig ausgetragene Konkurrenz auch zwischen Sunniten und Schiiten zu sehr im Bewusstsein festgesetzt. Solche Erfahrungen wird der Säkularismus nicht so leicht vergessen machen können.
Immer wieder hatten Menschenrechtsgruppen schiitische Milizen sowohl im Irak wie auch in Syrien wegen ihres brutalen Vorgehens gegen sunnitische Zivilisten kritisiert. Eben das, schreibt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in seiner jüngsten Ausgabe, könnte dem IS weiterhin eine gewisse Legitimation verschaffen. "Solange die mörderische Luftwaffe syrischer und russischer Jets weitergehen, solange Sunniten in Todesangst vor Schiiten leben, könnte der IS selbst nach einem Totalverlust seines 'Kalifats' wiederkehren", heißt es im Spiegel.
In Syrien, so Bente Scheller, sei das Assad-Regime ohnehin noch weit davon entfernt, die Kontrolle über das Staatgebiet auch nur im Ansatz zurückzugewinnen. Nicht einmal die Vororte von Damaskus habe es von den Rebellen zurückerobert. "Es gelingt ihm nicht, und das, obwohl es so massive Unterstützung hat – von Iran, von der Hisbollah, von Russland. Wie also soll danach die Kontrolle über das gesamte Land funktionieren?"
Abschied vom Konfessionalismus
Langfristig ist die Herausforderung aber vor allem eine politische. Sowohl im Irak wie in Syrien dürfte kein Weg daran vorbeiführen, die konfessionelle Rivalität der Bevölkerungsgruppen abzubauen. Das kann nur schrittweise geschehen, in einem Prozess, der Jahre in Anspruch nehmen dürfte. Dieser müsste einen politisch-religiösen Mechanismus außer Kraft setzen, den in den letzten Jahren sowohl das Regime von Vater und Sohn Assad wie auch das des irakischen Diktators Saddam Hussein und nach ihm zu Teilen auch des Premiers Nuri al-Maliki für ihre Zwecke missbraucht haben.
Für Syrien kommt zusätzlich hinzu, dass das Land eine langfristige Perspektive nur ohne Baschar al-Assad hat. Nach Jahren rücksichtslosen Vorgehens gegen die Zivilbevölkerung wird diese sich kaum damit abfinden, ihn weiter an der Macht zu sehen. Solange diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, werden beide Länder gegen das Auflodern politischer und konfessioneller Gewalt nicht gefeit sein.