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"Nach Russlands Wünschen"

Nina Niebergall12. September 2016

In Syrien sollen ab diesem Montagabend die Waffen schweigen. Dass die Vereinbarung zwischen Washington und Moskau vor allem russische Interessen berücksichtigt, birgt laut Nahost-Expertin Bente Scheller einige Gefahren.

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Syrien Russische Luftangriff (Foto: picture alliance/AA)
Nach einem russischen Luftangriff steigt Rauch über Syriens Hauptstadt Damaskus aufBild: picture alliance/AA/D. Al-Din

DW: Frau Scheller, in Syrien soll eine Waffenruhe zwischen Regierungstruppen und Rebellen in Kraft treten. In den vergangenen Tagen verstärkten die Konfliktparteien ihre Angriffe jedoch, in Aleppo und Idlib starben erneut zahlreiche Menschen. Wie realistisch ist dieses Ziel also?

Bente Scheller: Es ist geradezu typisch, dass man vor dem Beginn einer Waffenruhe umso stärkere Bombardements sieht. Das Wochenende war verheerend für die Menschen in Aleppo, aber auch im Umland von Damaskus, wo Streubomben fielen. Ich denke, dass die Kriegsparteien, insbesondere das syrische Regime und die Russen, versuchen, noch so viel wie möglich in ihrem Sinne zu arrangieren, bevor die Waffenruhe beginnt.

Wird die Waffenruhe denn halten?

Wir hatten schon zu Beginn dieses Jahres eine Waffenruhe. Auch da fanden weitere Bombardements statt. Diese Waffenruhe, die bis heute offiziell nicht aufgehoben ist, brachte zwar Erleichterung für Zivilisten, aber bei Leibe noch keinen Frieden.

Bente Scheller, Direktorin des Nahost-Büros der Heinrich Böll Stiftung in Beirut (Foto: Stephan Röhl)
Bente SchellerBild: Stephan Röhl

Welche Akteure werden sich womöglich nicht an die Feuerpause halten?

Wir haben eine ganze Reihe von Rebellengruppen, die in die Verhandlungen nicht eingebunden worden sind. Viele von ihnen sehen vielleicht nicht die Notwendigkeit, sich an die Waffenrufe zu halten, insbesondere wenn die Angriffe des syrischen Regimes und Russland fortgesetzt würden.

Ziel der Waffenruhe ist zunächst, Hilfslieferungen an Zivilisten in belagerten Gebieten des Landes zu ermöglichen. Was bedeutet das konkret für die Menschen, die in Aleppo eingekesselt sind?

Ich denke, es soll in erster Linie um Hilfskonvois gehen. Inwieweit das realistisch ist, muss sich zeigen. Die Aufhebung der Belagerungen steht zurzeit gar nicht zur Debatte, sondern wieder nur punktuelle Lieferungen. Diese bedeuten vielleicht eine kleine Erleichterung, aber gewähren keinen ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe.

Falls die Feuerpause sieben Tage hält, wollen die USA und Russland gemeinsam gegen Anhänger terroristischer Gruppierungen vorgehen. Dabei waren beide sich lange nicht einig, wer in der Region als Terrorist gilt. Wird das gemeinsame Vorgehen der beiden Großmächte trotzdem gelingen?

Man wird es zumindest gemeinsam in Angriff nehmen - aber nach russischen Prioritäten. Russland hat immer unter dem Vorwand bombardiert, dass an irgendeiner Stelle Al-Nusra-Kämpfer (Anmerkung der Redaktion: nennt sich heute Dschabhat Fatah al-Scham) oder andere Extremisten gewesen sein sollen. Wenn sich die USA dort hineinziehen lassen, ist das heikel, weil sie auch viele Zivilisten und andere Rebellentruppen treffen würden. Das wäre für das eigentliche Ziel, nämlich einen landesweiten Frieden zu erreichen, kontraproduktiv.

Trümmer in Aleppo nach Luftangriffen (Foto: picture-alliance/AA)
Die Menschen von Aleppo trafen die jüngsten Gefechte besonders hart - die Feuerpause soll nun Entlastung bringenBild: picture-alliance/AA/A. Hasan Ubeyd

Wenn sich die USA und Russland auf den "Islamischen Staat" und andere Terrorgruppen konzentrieren - ist der syrische Machthaber Baschar al-Assad damit aus der Schusslinie?

Das ist er jetzt schon. Das syrische Regime ist am allerwenigsten in die Kämpfe im Norden involviert und hat einen unschätzbaren Vorteil davon. Im Prinzip ist das syrische Regime auch der Gewinner der Waffenruhe. Es ist nur ist die Frage, inwieweit es daraus etwas machen kann, denn es hat sehr stark an tatsächlicher Kontrolle verloren. Die eigenen Truppen sind geschwächt. Deshalb kämpfen diverse Milizen auf Seiten des Regimes, von denen einige durchaus auf der US-Terrorliste stehen. Das darf man nicht vergessen.

Trotz aller Bedenken - der US-amerikanische Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow sprachen zwischenzeitlich von einem "Wendepunkt" für Syrien. Kann die Waffenruhe ein erster Schritt in Richtung Frieden sein?

Ich bin das eher skeptisch. Ich denke, die Waffenruhe wird uns der Lösung des Konfliktes keinen Schritt näher bringen. Für Zivilisten ist es immer gut, wenn zeitweise zumindest die Bombardements abnehmen. Aber eine Lösung würde Verhandlungen voraussetzen, bei denen alle Parteien am Tisch gehört werden und bei denen ein Status erreicht wird, der allen Beteiligten ihr Recht garantiert. Im Moment sieht es aber stark so aus, dass es nach Russlands Wünschen auf eine Stärkung des Machthabers Assad hinausläuft. Der aber hat sich den kleinsten Ansinnen von Verhandlungen und Friedensbemühungen stets entgegen gesetzt.

Bente Scheller leitet seit 2012 das Regionalbüro Mittlerer Osten der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Im November 2013 erschien von ihr "The Wisdom of Syria's Waiting Game", das sich mit der syrischen Außenpolitik während der Assad-Dynastie auseinandersetzt.

Das Interview führte Nina Niebergall.