Südafrikas Kampf um Wachstum und Jobs
5. Juni 2018Südafrikas Hoffnung hat einen Namen: Cyril Ramaphosa. Von "Ramaphoria" war am Anfang die Rede - eine Wortschöpfung aus Ramaphosa und Euphorie. Anfang des Jahres hat er die Staatsgeschäfte übernommen. Vor ihm liegen riesige Aufgaben. Die Wirtschaft wächst nur langsam, in den beiden letzten Jahren unter einem Prozent. Zudem ist es ein Wachstum, bei dem nur wenige Arbeitsplätze geschaffen werden. Die sind aber dringend nötig. Derzeit ist jeder vierte Südafrikaner arbeitslos. Die Hälfte der 53 Millionen Südafrikaner lebt unter der Armutsgrenze. Auch Investoren halten sich in Südafrika zurück. Grund sind die instabile politische Lage, die mangelnde Sicherheit, die Unproduktivität und die hohe Korruption.
Das soll sich alles bald ändern. Ramaphosa plant einen "New Deal". Unter anderem soll das Wirtschaftswachstum bis 2023 auf fünf Prozent gesteigert werden. Dabei ist sein Handlungsspielraum eingeengt - schon allein durch das Loch in der Staatskasse, das ihm sein Vorgänger Jacob Zuma hinterlassen hat.
Das Problem der Ungleichheit
Wenn es um Politik geht, ist seit Ende der Apartheid, also seit fast 25 Jahren, ein Thema immer wieder im Fokus: die Ungleichheit. Das hat sich auch unter Ramaphosa nicht geändert. "Südafrika hat fast die größte Ungleichheit in der Welt zwischen einer ganz kleinen Schicht von sehr reichen Menschen, einer relativ kleinen Mittelschicht und einem großen Armuts-Sockel von Menschen", sagt Wirtschaftswissenschaftler und Südafrika-Experte Robert Kappel. "Auf der einen Seite gibt es sehr hochentwickelte Bereiche wie die Rüstungs-, Wein- oder Automobilindustrie. Auf der anderen Seite haben wir einen großen Sektor von sehr unproduktiven Klein- und Kleinstunternehmen, und informellen Unternehmen, mit denen die Menschen versuchen, ihr Überleben gerade so zu sichern", so Kappel.
"Es ist sehr schwierig, eine Wirtschaftspolitik zu machen, durch die Südafrika zum einen den Anschluss an die großen Industriestaaten halten kann, also durch Technologie, durch Forschung und durch steuerliche Anreizsysteme, damit Unternehmertum sich entwickeln kann." Auf der anderen Seite müsse die Politik aber auch sehr viele Menschen in Arbeit bringen, beschreibt Kappel die Situation.
Schlüsselfaktoren: Bildung und Arbeitsmarkt
Ungleichheit - die gibt es auch, weil die Arbeitslosigkeit so hoch ist. Sie liegt bei über 25 Prozent. Grund dafür ist unter anderem die schlechte Qualität der Bildung. "Und das, obwohl Südafrika relativ viel Geld für Bildungspolitik ausgibt", sagt Andreas Freytag. Er lehrt an der Universität Jena (Thüringen) und ist Gastprofessor an der Universität Stellenbosch in Südafrika.
Rund 20 Prozent des Staatshaushaltes fließen in den Bildungsbereich. Nur: "Es kommt nicht an!", wie Freytag beklagt. Die Schulorganisation sei schlecht und die Bezahlung der Lehrer sei so niedrig, dass die zum Teil gar nicht zum Unterricht kommen. Die Durchfallquote sei sehr hoch. Nicht einmal jeder zweite Schüler macht einen Schulabschluss. Entsprechend der mangelhaften Bildung ist die Produktivität relativ niedrig.
Gleichzeitig sind die Gewerkschaften sehr einflussreich. "Die unglaublich starken Gewerkschaften haben etliche Reformen in den letzten Jahren verhindert, weil sie mit der Regierungspartei ANC eng verbunden waren", meint Kappel. Trotz der sehr hohen Arbeitslosenquote forderten die Gewerkschaften drastisch hohe Löhne, sagt Klaus Bauknecht, Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG. Die hohen Löhne führten wiederum zu höheren Preisen, wodurch die Reallöhne sinken und die nächsten Lohnforderungen im Raum stehen würden. Außerdem haben die Gewerkschaften dafür gesorgt, dass es in Südafrika einen Mindestlohn gibt. Da die Produktivität aber so gering ist, können viele Unternehmen zu dem Mindestlohn gar keine Mitarbeiter einstellen.
Radikale Landreform geplant?!
Die hohe Arbeitslosigkeit und die Ungleichheit führen auch immer wieder zu Umverteilungsdiskussionen. Wie es im schlimmsten Fall laufen kann, hat Simbabwe vorgemacht. Die einstige Kornkammer Afrikas wurde nach der Enteignung der Weißen zum krisengeschüttelten Staat. Die Folgen: Hungersnot und ein Zusammenbruch der Wirtschaft.
An den Besitzverhältnissen von Land hat sich in Südafrika in den letzten 25 Jahren wenig geändert. Knapp drei Viertel des Agrarlands im Privatbesitz befindet sich in der Hand weißer Farmer. Und auch in Südafrika sorgen sich die weißen Farmer um ihren Besitz.
Seit vergangenem Jahr schwebt das Szenario "Enteignung ohne Entschädigung" als Damoklesschwert über ihnen. Im Februar verkündete Parteichef Malema im Parlament, die Zeit der Aussöhnung sei vorbei - jetzt sei es Zeit für Gerechtigkeit. "Es geht um unsere Würde. Wir wollen keine Rache. Alles, was unser Volk will, ist sein Land, in dem seine Würde verwurzelt und begründet ist." Südafrika-Experte Freytag ist überzeugt, dass die Schwarzen in diesem Zusammenhang von der Politik instrumentalisiert werden würden. "Die letzten 25 Jahre war der ANC an der Regierung und er hat an den Eigentumsrechten nichts ändern wollen oder können. Sondern zu einer weißen Elite, die reich ist, ist eine schwarze Elite gekommen, die reich ist und die sich bedient."
Landreform muss mit Bildung einhergehen
Und selbst wenn Land umverteilt wird - die schwarze Bevölkerung hat davon unter Umständen recht wenig, weil ihnen das Knowhow zur Bewirtschaftung von Farmen fehlt. "Die ländliche schwarze Bevölkerung ist die am schlechtesten ausgebildete Bevölkerungsgruppe in Südafrika", sagt Kappel. Sie betreibe Landwirtschaft nur im Rahmen von Subsistenzwirtschaft oder kleiner Landwirtschaft. Es gebe nur einige wenige schwarze Farmer, die erfolgreich seien. Hier hätte man langfristig Ausbildungsprogramme einführen müssen, damit eine Umverteilung von Land für die neuen Besitzer von Nutzen ist, so Kappel.
Der Fokus auf Umverteilung schafft eine Erwartungshaltung, die der Staat aufgrund des geringen Wachstums der Wirtschaft nicht erfüllen kann, glaubt Bauknecht.
Derweil versucht Ramaphosa Investoren und Landbesitzer zu beruhigen. Und auch der ANC betont, die geplante Landreform solle in einer Weise durchgeführt werden, die die landwirtschaftliche Produktion steigere, die Ernährungssicherheit verbessere und jene entschädige, die ihr Land unter dem Kolonialismus verloren hätten. Enteignungen ohne Entschädigungen sollen vor allem ungenutztes Land betreffen. Außerdem stehe eine Umverteilung von Staatsbesitz und von Ländereien, die von traditionellen Führern verwaltet werden, im Raum.
Kampf gegen Korruption
Ein weiteres großes Probleme Südafrikas ist, laut Freytag, die Korruption. Ihre Fäden zogen sich bisher bis ins Präsidentenamt des Ex-Staatschefs Jacob Zuma. Obwohl er damals Vizepräsident war, gilt Ramaphosa selber als nicht korrupt, so Freytag. "Ich hab von keinem Fall gelesen oder gehört, in den er verwickelt wäre." Aber die Vorgängerregierung habe den Staat als Beute betrachtet. "Und das ist ein wirkliches Problem, denn in einem solchen Umfeld funktionieren weder Wettbewerb noch staatliche Unternehmen ", urteilt Freytag.
Ineffiziente Staatsunternehmen und Deindustrialisierung
Überhaupt die Staatsunternehmen. "Es gibt zahlreiche Staatsunternehmen, die von staatlichen Subventionen leben wie der Stromversorger Eskom, die Fluggesellschaft South African Airways oder der Telekommunikationsdienstleister Telkom. Sie alle sind hochverschuldet. Hier wurden Reformen, die notwendig wären, nicht durchgeführt", erklärt Kappel. Aber diese Unternehmen existierten weiter - unterstützt aus den Steuermitteln des Staates - ohne dass sie effizient seien.
Immerhin haben einige Staatsbetriebe, die zuletzt durch Korruptionsfälle und Pleiten für Schlagzeilen sorgten, wie die nationale Fluglinie South African Airlines oder der Energieriese Eskom, seit Ramaphosas Amtsantritt neue Vorstände erhalten.
Eine Weile lang konnte Südafrika von der weltweiten Nachfrage nach Rohstoffen profitierten, die aber ist seit 2006 eingebrochen. Zudem wurde in den vergangenen Jahren immer mehr Industrie abgebaut, wodurch hunderttausende Jobs verloren gingen, beispielsweise in der Textilindustrie. Auch das beeinflusst das Wachstum. "Wir haben eine extrem niedrige Investitionsquote, die bei 15 Prozent liegt", sagt Kappel. Das entspricht nur dem Durchschnitt des afrikanischen Kontinents. Zum Vergleich: In Vietnam liegt die Investitionsquote bei 30 Prozent, in China 35 Prozent.
Kappel glaubt, um einen Wachstumspfad von fünf Prozent hinzubekommen, müsste die Investitionsquote stark ansteigen. Viele südafrikanische Unternehmen seien auf dem afrikanischen Kontinent sehr aktiv. Sie investierten anderswo statt in Südafrika, so Kappel. Um sie zurückzugewinnen, sei ein positives wirtschaftspolitisches Umfeld nötig.
Fünf Prozent mehr Wachstum sei natürlich ein hohes Ziel, meint Freytag, aber grundsätzlich sei dafür das Potenzial da. "Die Unternehmen in Südafrika sind ja zum Teil recht gut aufgestellt und der Standort ist eigentlich auch sehr attraktiv für ausländische Unternehmen."
So groß die Probleme auch sind - viel Zeit bleibt Ramaphosa nicht, um die Bevölkerung Südafrikas hinter sich zu scharen. Die nächste reguläre Neuwahl findet schon 2019 statt.