Tansania: Wildpark versus Wasserkraft
19. Juni 2019Im Selous-Reservat im Süden Tansanias haben am vergangenen Samstag die Bauarbeiten für ein umstrittenes Wasserkraftwerk begonnen. Energieminister Medard Kalemani erklärte, die Vorarbeiten seien abgeschlossen - die beiden beauftragten ägyptischen Firmen könnten nun den Bau des Staudamms am Rufiji-Fluss in Angriff nehmen. Die Regierung des ostafrikanischen Landes will mit dem Projekt den Ausbau der Stromversorgung entscheidend voranbringen. Das Kraftwerk soll mit einer Leistung von 2,1 Gigawatt Tansanias Energieproduktion mehr als verdoppeln. Das Projekt ist vielfach kritisiert worden, weil es eine massive Zerstörung eines Naturreservats und Weltnaturerbes bedeuten würde. Doch nicht nur das - Experten bezweifeln auch die Sinnhaftigkeit des Staudamms.
In der Tat fehle den Menschen vor allem in entlegenen Gebieten der Anschluss an das Stromnetz, sagt Johannes Kirchgatter vom WWF im Gespräch mit der DW. Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP haben in ländlichen Gebieten nur 16 Prozent der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität. Dennoch glaubt Kirchgatter nicht, dass mit dem Bau des Megastaudamms oberhalb der der Stiegler-Schlucht Tansanias Energieprobleme gelöst werden können. Ursprünglich sei dies im nationalen Energieprogramm auch gar nicht vorgesehen, so Kirchgatter: Man habe im Gegenteil von der "Notwendigkeit zur Diversifizierung" gesprochen, um eine Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Nach Kirchgatters Einschätzung ist das auch dringend geboten: "Denn Tansania ist schon jetzt in einem sehr hohen Maße von der Wasserversorgung und der Wasserführung des Rufiji-Flusses abhängig." Flussaufwärts existierten bereits Kraftwerke. Durch den Klimawandel würden Dürren allerdings besonders in dieser Region häufiger, so Kirchgatter. Da sei die nahezu 100-prozentige Abhängigkeit von der Wasserführung eines einzigen Flusses nicht zu empfehlen.
Wirtschaftlicher Erfolg fraglich
Ein Megaprojekt wird Tansanias Stromversorgungsproblem also nicht lösen können. Das bestätigt Christoph Hoffmann, der entwicklungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Vor allem habe Tansania zunächst einmal ein Leitungs- und Netzwerkproblem. Wenn heute also mehr Strom produziert wird, kann dieser noch nicht in die Regionen transportiert werden, wo er benötigt wird. Über den wirtschaftlichen Erfolg des Staudamms könne man derzeit nur spekulieren, meint Hoffmann. Fakt aber sei, dass für den Staudamm bereits riesige Waldflächen gerodet worden seien. In der aktuellen Lage der Klimakrise sei es fatal, dass "riesige Flächen an Wald verschwinden, die eigentlich CO2 hätten speichern können".
Deswegen hatte die FDP bei einer Bundestagsdebatte im Januar dafür plädiert, weitere Entwicklungshilfen für Tansania an den Verzicht auf den Bau des Staudamms zu koppeln. Das Bauprojekt wurde im deutschen Bundestag fraktionsübergreifend kritisiert. Letztlich wurde einem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD stattgegeben. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, zusammen mit der tansanischen Regierung Alternativen zu dem Großprojekt zu suchen, die den Status des Wildreservates nicht in Frage stellen. Der Antrag der Liberalen hingegen wurde von den Grünen als Bevormundung bezeichnet. Auch ein Vorschlag, Gasturbinen als Übergangslösung einzusetzen, wurde abgelehnt: Damit würden für weitere 50 Jahre fossile Brennstoffe verheizt, so die Kritik anderer Abgeordneter.
Finanzierung unklar - gebaut wird dennoch
Hoffmann bedauert dies - ihm zufolge hätte der Alternativ-Vorschlag dem tansanischen Präsidenten erlaubt, sein Gesicht zu wahren, indem er die Stromversorgung des Landes dennoch sichergestellt hätte. Gleichzeitig, so der Liberale, hätte man Zeit gewonnen, um eine dezentrale, nachhaltige Stromversorgung aufzubauen. Hoffmann sieht den Staudammbau als eine souveräne Entscheidung Tansanias. Andererseits habe der Bundestag entschieden, das Selous-Reservat - ein UNESCO-Weltnaturerbe - finanziell zu unterstützen. Wenn Tansania dieses nun zerstöre, müsse als Konsequenz die finanzielle Unterstützung eingestellt werden. "Sonst ist man ja im Prinzip auch gegenüber dem eigenen Steuerzahler unglaubwürdig", sagt Hoffmann: "Man kann nicht das unterstützen, was zerstört wird."
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Er hat keine großen Hoffnungen, dass der Bau jetzt noch gestoppt werden kann. Zwar ist die Finanzierung des gesamten Projekts noch längst nicht gesichert - bisher wurden gerade mal 500 Millionen US-Dollar aufgebracht. Schätzungen über die Gesamtkosten bewegen sich zwischen 3,9 und 10 Milliarden US-Dollar. Hoffmann sagt, es sei bisher nicht herauszufinden, wer die Geldgeber überhaupt seien. Denn sowohl die Weltbank als auch IWF hätten keine Kredite für das Projekt gewährt. Er vermutet aber, dass China in das Projekt mit einsteigen könnte.
Größtes Wildtierschutzgebiet Afrikas
Johannes Kirchgatter vom WWF meint, der Regierung Tansanias gehe es jetzt darum, Fakten zu schaffen: "Das Kalkül der Regierung ist, durch die Schaffung von Tatsachen einen gewissen Handlungsdruck aufzubauen." Würde das Gebiet gänzlich aus der Liste der Welterbe gestrichen, könnten weitere Investoren angelockt werden, weil damit das Argument der Zerstörung eines Welterbes quasi vom Tisch sei.
Dieses Welterbe, die "Selous Game Reserve", gilt als größtes Wildtierschutzgebiet Afrikas. Mit über 50.000 Quadratkilometern ist es größer als die Schweiz. Wegen seiner vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt gehört es seit 1982 zum UNESCO-Weltnaturerbe. Flusspferde, Elefanten, Giraffen, Löwen, die gefährdeten afrikanischen Wildhunde und mehr als 400 Vogelarten haben hier ihr Zuhause. Seit 2014 steht das Schutzgebiet allerdings aufgrund von organisierter Wilderei, die den Tierbestand gefährdet, auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes. Nun könnte ihm der Status aufgrund des Wasserkraftwerks abgesprochen werden.
Gravierende Folgen für Natur und Mensch
Für den Bau des Stausees müsse die zukünftige Überschwemmungsfläche von jeglicher Vegetation befreit werden, erklärt Kirchgatter: "Das ist eine Fläche von weit über 1000 Quadratkilometern - größer als die Fläche des Bundeslandes Berlin und etwa so groß wie alle Schutzgebiete Deutschlands zusammen." Die Auswirkungen wären fatal. Denn mit dem Stausee würden gleichzeitig Straßen und Siedlungen im Park entstehen, die ganze Region industrialisiert - mitten im Schutzgebiet. Aber auch außerhalb des Reservats, flussabwärts, sei mit gravierenden Folgen zu rechnen. Dort würden die bisherigen Überschwemmungen ausbleiben, die die Mangrovenwälder im Flussdelta mit Süßwasser versorgen und somit dem Küstenschutz dienen. Auch die Fischer im Flussdelta könnten das Nachsehen haben, wenn dieses austrockne.
Mitarbeit: Martina Schwikowski