1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAfrika

Tansanias Opposition geht ins Exil

12. November 2020

Tansanias wichtigster Oppositioneller Tundu Lissu hat sich nach Morddrohungen nach Belgien abgesetzt. Er ist nicht der einzige, der sich der Wiederwahl von Präsident Magufuli im Land nicht mehr sicher fühlt.

https://p.dw.com/p/3lAFk
Tansania | Oppositionsführer Tundu Lissu
Zurück im Exil: Der tansanische Oppositionspolitiker Tundu Lissu Bild: Eric Boniphace/DW

Tansanias Präsident John Pombe Magufuli hat es geschafft. Mit offiziell rund 83 Prozent der abgegebenen Stimmen hat er sich bei den Wahlen im Oktober eine zweite Amtszeit gesichert - die letzte, die ihm die Verfassung zugesteht. Auch im Parlament hat seine Partei CCM eine bequeme Mehrheit erringen können.  

Für die Oppositionsparteien, die insgesamt lediglich zwei Parlamentssitze erringen konnten, wird die Luft hingegen dünn. Einige prominente Politiker haben das Land bereits fluchtartig verlassen - darunter Magufulis wichtigster Herausforderer Tundu Lissu.

Seine Partei Chadema hat das Wahlergebnis angefochten. Sie kritisiert, die Wahlen seien nicht frei und fair verlaufen. Nachdem er anonyme Hinweise auf ein Mordkomplott gegen ihn erhalten hatte, suchte Lissu zunächst Schutz in der deutschen Botschaft. Am Dienstagabend konnte er das Land verlassen. Seine Ausreise verdanke er den Verhandlungen, die internationale Botschaften in Daressalam mit der Regierung führten, sagte er der Deutschen Welle.

"Wenn Sie sich in Sicherheit bringen können, tun Sie es"

"Ich gehe als freier Bürger meines Landes, nicht als Flüchtling. Ich habe nirgendwo Asyl beantragt", sagte Lissu der DW am Telefon noch aus dem Flugzeug, das ihn zunächst nach Addis Abeba bringen sollte. Von dort aus wollte er nach Belgien weiterreisen: "Ich habe dort drei Jahre gelebt, bevor ich im Juli nach Tansania zurückgekehrt bin, und habe dort ein Aufenthaltsrecht. Ich gehe also nicht als Flüchtling, sondern als Einwohner Belgiens."

Lissu hatte schon am Montag nach der Wahl um Einlass in der deutschen Botschaft gebeten, war aber auf der Straße festgenommen und erst Stunden später wieder freigelassen worden.

Tansania Singida | Wahlen | Tundu Antiphas Lissu
Ex-Präsidentschaftskandidat Tundu Lissu bei der Stimmabgabe in seiner Heimatstadt Singida Ende November Bild: Said Khamis/DW

Am gleichen Abend fand er dann doch noch Zuflucht in der Botschaft. Der DW berichtete er von einem anonymen Anrufer: "Er hat mir gesagt, 'wir haben den Befehl erhalten, Sie endgültig aus dem Weg zu räumen.' Kurz darauf kam ein zweiter Anruf: 'Es wurde Befehl erteilt, Sie zu töten. Wenn Sie sich in Sicherheit bringen können, tun Sie es.'"

Schon 2017 war Lissu bei einem Anschlag mehrfach angeschossen und schwer verletzt worden. Er musste sich zahlreichen Operationen in Dodoma, Nairobi und Leuven unterziehen. In Belgien war er seitdem in medizinischer Behandlung und kehrte erst für den Wahlkampf nach Tansania zurück.

"Das Leben beginnt da, wo die Angst aufhört"

Auch andere prominente Politiker haben das Land verlassen, darunter Lissus Parteigenosse Godbless Lema, der in Arusha für einen Sitz im Parlament kandidiert hatte. "Das Leben beginnt da, wo die Angst aufhört", ist auf Lemas Twitter-Timeline zu lesen, drei Tage nach der Wahl am 28. Oktober.

Vergangene Woche setzte er sich ins benachbarte Kenia ab. "Wenn ein Mensch vor Folter und Morddrohungen flieht, sichert ihm die internationale Rechtsprechung zu, in dem Land Schutz zu finden, in das er flieht", sagte er der dortigen Presse. "Ich glaube, Kenia ist in Rechtsfragen und in Fragen der Demokratie weiter als Tansania."

Kurz nach seiner Ankunft in Kenia hatte ihn allerdings die dortigen Polizei festgesetzt. Inzwischen befindet sich Lema mit seiner fünfköpfigen Familie in Nairobi. Kenias Außenministerium hat nach internationalem Druck bestätigt, dass man seinem Asylantrag stattgeben werde. 

Tansania galt lange als stabiler Hafen in einer Region voller Konflikte. Nach der Unabhängigkeit 1962 formierte sich hier der Widerstand gegen die kolonialen Herrschaftssysteme in Namibia, Mosambik, Südafrika und Uganda. Julius Nyereres Versuch eines afrikanischen Sozialismus wurde 1992 zugunsten eines Mehrparteiensystems aufgegeben. Zwar regiert Nyereres Partei der Revolution (CCM) bis heute ununterbrochen weiter, aber Presse und Zivilgesellschaft genossen bis vor wenigen Jahren relative Freiheit. 

Tansania Amtseid des Präsidenten John Pombe Magufuli
Der neue Präsident ist der alte: John Pombe Magufuli bei der Vereidigung vergangene DonnerstagBild: Tanzania Presidential Press Service

Doch seit John Magufulis Amtsantritt 2015 werden Menschenrechte mehr und mehr beschnitten, Vereine und zivilgesellschaftliche Organisationen staatlich kontrolliert. Magufuli selbst lässt keine Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Wahlen zu.

"Wie Ihr wisst, führten Wahlen in anderen Ländern oft zu Feindseligkeit, Streit und Krieg", verkündete er bei seiner Vereidigung vergangene Woche. "Wir Tansanier haben diese Prüfung erneut friedlich gemeistert und damit der Welt gezeigt, dass wir den Frieden lieben und eine ausgereifte Demokratie haben."

Schwindendes Vertrauen in staatliche Institutionen

Doch auch von denen, die geblieben sind, sind nicht alle dieser Meinung. Nach den Wahlen müsse er sich - so wie andere Oppositionelle - alle zwei Tage bei der Polizei melden, berichtet Zitto Kabwe, der sich nach seinem Ausschluss aus der Regierungspartei der Vereinten Bürgerlichen Front (CUF) anschloss.

Er spricht im DW-Interview von Bedrohungen, auf die er nicht näher eingehen möchte. Auf die Frage, ob er sich damit an den Verfassungsschutz gewandt habe, wiegelt er ab: Diese Leute würden viele Vorwürfe nicht ernst nehmen. "Unser Vertrauen in diese Institution ist geschädigt. Deswegen denken wir über viele Schritte sehr genau nach."

 

Tansania Zitto Kabwe, Politiker
Oppositionspolitiker Kabwe: Kein Vertrauen mehr in die InstitutionenBild: DW/S. Khamis

Kabwe zeigt sich betroffen über Vorwürfe, Politiker wie Lissu oder Lema würden ihr Land im Stich lassen. "Wer so etwas sagt, versteht die Geschichte des politischen Aktivismus nicht im Geringsten", sagt er im DW-Gespräch. "Wer so etwas einem Menschen wie Lissu vorwirft, der kurz davor war, seinen Schussverletzungen zu erliegen und dennoch für den Wahlkampf nach Tansania zurückgekehrt ist, muss ein hartherziger Mensch sein." Für politischen Aktivismus brauche es auch Menschen, die sich im Ausland diesem Kampf widmen.

Lissu selbst will keine Gerüchte aufkommen lassen, er wolle sich zur Ruhe setzen. "Der Kampf geht weiter, nur die Bühne ändert sich ein wenig", sagte er der Deutschen Welle. Als Parteivorsitzender werde er per Internet an allen Sitzungen teilnehmen, die ihn betreffen. Gleichzeitig werde er seinen Aufenthalt nutzen, um mit europäischen Politikern über die Situation in Tansania und die Bewertung der jüngsten Wahlen sprechen. Dieses Kapitel ist für ihn noch nicht abgeschlossen.

Mitarbeit: George Njogopa, Mohammed Khelef, Lilian Mtono, Deo Kaji Makomba