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Hochachtung vor Tugce

Sabrina Pabst1. Dezember 2014

Tugce starb, weil sie Zivilcourage zeigte. Jetzt fordern Tausende, sie solle für ihr mutiges Handeln das Bundesverdienstkreuz erhalten. Der Fall berührt weltweit. Inzwischen haben sich die beiden Zeuginnen gemeldet.

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Mahnwache für ins Koma geprügelte Tugce A.
Bild: picture-alliance/dpa

Tapfer schritt sie ein und musste ihre Zivilcourage mit dem Leben bezahlen: Für viele Menschen ist Tugce A. zu einer Symbolfigur für Zivilcourage und Mut geworden. Die 23-jährige Studentin eilte zwei Mädchen in einem Schnellrestaurant zur Hilfe, die von Männern belästigt wurden. Bei der Auseinandersetzung wurde sie niedergeschlagen und stürzte. Sie fiel ins Koma. Am vergangenen Mittwoch (26.11.2014) wurde Tugce für hirntot erklärt. Auf Wunsch der Familie wurden zwei Tage später, an ihrem 23. Geburtstag, alle lebenserhaltenden Maschinen abgeschaltet.

"Es ist traurig, wenn man liest, dass junge Menschen wie Tugce ihr Leben verlieren, weil sie Zivilcourage zeigen. Ruhe in Frieden", schreibt eine Twitter-Nutzerin. In den sozialen Netzwerken nehmen hunderte Menschen seit den ersten Medienberichten über Tugces Hirntod Anteil. Die Tragödie berührt. Noch Tage nach ihrem Tod bringen viele ihre Trauer und Fassungslosigkeit über die Tat und die Brutalität des Täters zum Ausdruck.

Während eines Fußball-Bundesligaspiels zeigte der Frankfurter Stürmer Haris Seferovic, dass Fußball mehr als ein Sport ist. Sein Tor beim Sieg gegen Borussia Dortmund feierte er mit einem besonderen Gruß: Unter seinem Trikot trug der Schweizer Spieler ein T-Shirt mit den Worten "Tugce = #Zivilcourage, #Engel, #Mut, #Respekt".

Die mediale Aufmerksamkeit um die Tragödie und die Reaktionen auf das Schicksal von Tugce zieht immer weitere Kreise. Viele türkische Medien zeigen sich von der Anteilnahme gegenüber der couragierten Frau beeindruckt und verfolgen die Trauer aufmerksam. "Die deutsche Öffentlichkeit ist schockiert", schreibt die türkische Nachrichtenagentur. Und die Tageszeitung "Sabah" titelt: "Ein mutiges türkisches Mädchen in Deutschland." Bei der Tageszeitung "Türkiye" heißt es: "Danke Tugce, wir lieben dich". Nun berichten auch Zeitungen in Australien, den USA und Lateinamerika von dem couragierten Eingreifen der Studentin.

Bundesverdienstkreuz für Tugce?

Auf change.org haben inzwischen mehr als 135.000 Menschen aus aller Welt eine Online-Petition unterschrieben und fordern für Tugce das Bundesverdienstkreuz - eine Auszeichnung für Menschen, die besonderen Mut und Tapferkeit im Alltag bewiesen haben. Bundespräsident Gauck, der Tugce Eltern sein Beileid aussprach, lässt dies nun von seinem Büro prüfen.

"Man kann Zivilcourage lernen, aber Zivilcourage ist auch ein lebenslanger Lernprozess", meint Kai Jonas, Sozialpsychologe an der Universität Amsterdam. Wer Zivilcourage beweise, trage immer ein gewisses Risiko. Das sei aber kein Grund, gänzlich wegzusehen. "Was sie getan hat, war außerordentlich mutig", betont er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Ich habe Hochachtung vor dem, was sie geleistet hat."

Ein Fußballer trägt unter seinem Trikot ein T-Shirt mit der Aufschrift: Tugce #Zivilcourage (Foto: picture-alliance/dpa/F. von Erichsen)
Eine besondere Botschaft: Tuğçe = #Zivilcourage, #Engel, #Mut, #RespektBild: picture-alliance/dpa/F. von Erichsen

Für derlei Situationen gebe es auch keine Faustformel für ein richtiges Verhalten, sagt der Sozialpsychologe, wobei "Faust" gleichzeitig ein Bild für ein körperliches gewalttätiges Eingreifen sei, das häufig nicht notwendig sei. "Niemand muss Sozialrambo werden und niemand muss eingreifen. Jeder sollte das nach seinen oder ihren Möglichkeiten tun", rät Jonas. "Manchmal traut man sich nicht. Aber dann gilt es, ein guter Zeuge zu sein und die Polizei zu alarmieren oder andere Leute anzusprechen. Das kann auch Zivilcourage sein."

Die Botschaft: "Wir gucken auf das, was hier passiert."

Idealerweise sollten Helfer nicht alleine handeln, sondern sich Verbündete suchen. Wenn man dennoch schnell in die Situation eingreifen möchte, richte man sich idealerweise auf das Opfer und ignoriere den Täter, meint Jonas. Ratsam sei es, so zu tun, als ob diese Gewaltsituation nicht bestehe. Etwa mit einem Satz wie: "Wir haben uns aber lange nicht mehr gesehen." Das Ziel ist es, auf diese Art das Opfer zu schützen, aus der Situation herauszuholen und in einen sicheren Raum zu bringen. "Ich kann mich auch in der Bahn oder dem Bus einfach neben das Opfer setzen, aus einer Art Schutzwall ein Gespräch beginnen und damit erst mal für die Täter eine weitere Barriere erzeugen", sagt Jonas.

Wichtig sei es vor allem, sich um die Opfer zu kümmern, denn die seien häufig gelähmt und wüssten nicht, was sie tun müssen. "Die meisten sind in dem Moment überrascht. Sie sind in dem Magnetfeld des Aggressors gefangen und haben nicht die Möglichkeiten, über Handlungsoptionen nachzudenken oder mögliche Fluchtwege zu erkennen", so der Sozialpsychologe. "Deswegen ist es wichtig, wenn ich eingreife, dem Opfer zu zeigen, was es zu tun hat: Nämlich mit mir mitgehen und die Situation verlassen." Falsch wäre es auf die Situation einzugehen. Das würde weitere Gewalt provozieren und eine Eskalation mit ungewissem Ausgang würde drohen.

Tugce starb, weil sie dazwischen gegangen ist, ohne Faust und ohne Gewalt. Die Situation ist trotzdem eskaliert - tödlich. Der mutmaßliche Täter sitzt in Untersuchungshaft. Mittlerweile hat die Offenbacher Polizei die beiden Mädchen und damit wichtige Zeuginnen gefunden, nach denen tagelang gesucht worden war. Sie seien bereits vernommen worden, so die Polizei. Noch hält sie die Identität geheim, um die Zeuginnen zu schützen. Die beiden jungen Frauen hätten sich erst nicht gemeldet, weil sie sich nicht als Betroffene angesehen hätten, so ein Polizeisprecher. "Sie haben sich nicht angesprochen gefühlt." Es sei aber klar, dass es sich um die beiden Gesuchten handele.