Tedescos größtes Abenteuer beginnt
21. Juni 2017Die Absicht war eindeutig zu erkennen bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Trainer des FC Schalke 04: Domenico Tedesco begrüßte die Besucher mit einem ortsüblichen "Glückauf" und wollte damit seine Verbundenheit zu seiner neuen Arbeitsstelle beweisen. Das hatte Tedesco auch schon in seinem knappen halbjährigen Engagement Jahr bei Erzgebirge Aue - ebenfalls eine traditionelle Bergarbeitergegend - bei seinem Amtsantritt so gemacht.
Am Mittwochnachmittag hat mit diesem Gruß das wohl größte Abenteuer des 31-Jährigen begonnen. Tedesco soll den zuletzt arg strauchelnden Ruhrgebietsverein wieder zurück in die oberen Bereiche der Bundesliga führen. "Ich gehe kein Projekt ein, von dem ich nicht überzeugt bin", sagte Tedesco leise und fast schüchtern, als er sich über seine neue Aufgabe äußern sollte.
Die Erwartungen sind groß in Gelsenkirchen. "Die Orientierung muss wieder in Richtung internationale Plätze gehen", sagte Manager Christian Heidel und formulierte eine klare Zielsetzung. Tedesco, der als großes Trainertalent gilt, übernimmt den Schalker Schleudersessel von Markus Weinzierl nach dessen nur einjähriger Amtszeit.
Jugendtrainer beim VfB Stuttgart
Aber wer ist dieser Domenico Tedesco eigentlich? Bislang war der Deutsch-Italiener, der im italienischen Rossano geboren wurde und mit seiner Familie im Alter von drei Jahren in den Landkreis Esslingen in Baden-Württemberg gezogen war, wohl lediglich Insidern der bundesdeutschen Fußball-Welt bekannt. Fußballprofi war er selbst nie.
"Er hat seine Chance damals bei uns genutzt", sagt Ralf Becker, heutiger Sportchef bei Zweitligist Holstein Kiel und ehemaliger Nachwuchs-Koordinator beim VfB Stuttgart. Becker war es, der Tedesco einst zunächst zum Co-Trainer machte. "Er sollte dann zwei Wochen das Training übernehmen, danach wollten wir einen neuen Cheftrainer einstellen. Er hat das aber so gut gemacht, dass wir allen anderen abgesagt haben", erinnert sich Becker.
Heidel: "Tedesco ist kommunikationswillig"
Tedesco habe ihn damals nicht nur fachlich überzeugt, sondern hatte noch eine ganz andere Stärke. "Domenico ist wie jeder andere auch nicht fehlerfrei. Aber er lernt sehr schnell aus seinen Fehlern und begeht diese nie wieder. Das macht er richtig gut", sagt Becker. Vor allem gelinge es ihm, alle Spieler einer Mannschaft mitzunehmen.
"Wenn er erst mal zwei Wochen in Schalke trainiert hat, werden sowohl die älteren als auch die jungen Profis eine gute Meinung von ihm haben", sagt Becker. Auch darauf setzen die Schalker. Heidel nannte am Mittwoch als einen der Gründe, weshalb er Tedesco verpflichtete, dass dieser "kommunikationswillig" sei.
Im Anschluss, als Jugendcoach bei 1899 Hoffenheim und zuletzt bei Zweitligist Erzgebirge Aue, das er nach seiner Amtsübernahme mit einem fulminanten Schlussspurt von elf Spielen in der Rückrunde doch noch vor dem fast sicheren Abstieg retten konnte, hat der junge und im Profifußball weitgehend unerfahrene Coach einige Erfahrungen sammeln können, die nun den Schalkern zugutekommen sollen.
Mangelnde individuelle Qualität
Das große Problem der Ruhrgebietsklubs in den vergangenen Jahren war die durchgängige Konzeptlosigkeit auf dem Rasen - egal, welcher Trainer auch die Verantwortung übernommen hatte. Keinem Fußballlehrer gelang es nachhaltig, eine erkennbare Handschrift zu hinterlassen. "Wir wollen flexibel auftreten", sagte Tedesco und bewegte sich damit ebenfalls im Ungefähren.
Vor einigen Jahren konnte das Team dieses großen Defizite noch durch die individuellen Fähigkeiten einzelner Spieler wie Julian Draxler, Joel Matip, Klaas-Jan Huntelaar, Rául, Jefferson Farfan oder auch Leroy Sané gerade noch kompensieren und sich dreimal in Folge für die Champions League und immerhin noch zweimal für die Europa League qualifizieren.
Heidels Investitionen fruchten nicht
Mit dem zunehmenden Verlust dieser individuellen Qualitäten wurde der Missstand aber dennoch zunehmend deutlicher und gipfelte in einer jüngst abgelaufenen Saison, die die Schalker auf dem enttäuschenden zehnten Platz beendet haben. Die rund 70 Millionen Euro, die Manager Heidel vor der abgelaufenen Spielzeit in neue Spieler investiert hat, konnten nicht zur Verbesserung des Teams beitragen - im Gegenteil.
Die größte Investition, die die Schalker in ihrer Geschichte jemals getätigt hatten, sorgte für einen sportlichen Rückschritt, der vor allem Heidel zunehmend in Bedrängnis bringt. Die Beurlaubung von Trainer Markus Weinzierl wirkte zudem eher wie ein Ablenkungsmanöver des Schalker Managers.
Nicht Tedesco muss überbordenden Respekt vor seiner neuen Aufgabe haben, sondern vielmehr steht Heidel selbst in erster Linie auf dem Prüfstand. Eine weitere grobe Fehleinschätzung wie bei seiner ersten Trainerwahl wird sich der 54-Jährige nicht noch einmal leisten können, ohne dass dies nachhaltige Konsequenzen nach sich ziehen würde.
Julian-Nagelsmann-Effekt auf Schalke?
Die Verpflichtung Tedescos ist indes mutig und folgt der Tradition Heidels aus seiner Mainzer Vergangenheit, als er als dortiger Manager die damals ebenfalls jungen Novizen Jürgen Klopp und Thomas Tuchel den Weg in den Profifußball als Cheftrainer eröffnete. Im Unterschied zur seiner Zeit in Rheinhessen waren die beiden späteren Erfolgscoaches aber bereits im Klub tätig.
Heidel fordert vom Coach eine unverkennbare Art, wie die Schalker Profis künftig agieren sollen. "Das ist uns im vergangenen Jahr nicht gelungen, das muss man ganz ehrlich einräumen", sagte Heidel. Tedesco muss nun gelingen, woran seine Vorgänger allesamt verzweifelten.
Der Schalker Manager hofft wohl auf den Julian-Nagelsmann-Effekt am Berger Feld. Der Trainer von 1899 Hoffenheim, mit dem Tedesco seine Fußballlehrerausbildung gemeinsam absolvierte, hat es sogar als nur 29-Jähriger geschafft, einen ganzen Verein für sich zu begeistern. Dagegen wirkt Domenico Tedesco mit seinen 31 Jahren ja fast schon erfahren.