Massenexekution von Islamisten
25. März 2014In einem in Ägyptens Geschichte einzigartigen Verfahren wurden 529 Anhänger der Muslimbruderschaft am Montag (24.03.2014) von Richter Said Jussef zum Tode verurteilt, weitere 16 wurden freigesprochen. Lediglich 147 der Verurteilten waren bei dem Verfahren anwesend. Der Rest ist auf der Flucht. Den Verurteilten wird vorgeworfen, am 14. August 2013 zwei Polizeistationen in Adwa und Matay im Gouvernement Minia im Norden Ägyptens gestürmt zu haben. Bei dem Vorfall war der stellvertretende Polizeichef Mostafa El-Attar ums Leben gekommen. Vier weitere Beamte wurden verletzt.
Außerdem sollen die Verurteilten für Angriffe auf Regierungsgebäude und die Brandschatzung von Kirchen der christlichen Kopten verantwortlich sein. Die Islamisten hatten im Sommer 2013 gegen die Entmachtung von Präsident Mohammed Mursis durch das Militär demonstriert. Nach der Zerschlagung ihrer Protestcamps in Kairo und Alexandria durch die Sicherheitskräfte mit mehr als 1000 Toten kam es im oberägyptischen Minia zu blutigen Unruhen.
Da die Anklageschrift mehr als 1200 Personen betraf, war das Verfahren auf zwei Gruppen aufgeteilt worden. Über das Schicksal weiterer 680 Angeklagter wird seit Dienstag (25.03.2014) verhandelt. Unter ihnen ist das Oberhaupt der Muslimbruderschaft, Mohammed Badie. Aber auch gegen den gestürzten Präsident Mohammed Mursi und seinen damaligen Regierungschef Hashim Kandil laufen derzeit in Kairo mehrere Strafverfahren. Ihnen werden die Tötung von Demonstranten, Landesverrat und Terrorismus vorgeworfen.
Zwei Tage Verhandlung für 529 Angeklagte
Das Verfahren in Minia verlief ungewöhnlich schnell. Die Verurteilungen erfolgten am zweiten Verhandlungstag. Die Verteidiger beschwerten sich daher, dass sie keine Gelegenheit gehabt hätten, ihre Argumente vorzutragen. "Das Urteil ist nicht unter rechtsstaatlichen Bedingungen zustande gekommen", sagt Ägypten-Experte Günter Meyer vom Zentrum für Arabische Studien in Mainz. Eine vergleichbare Massenverurteilung zum Tod hat es in Ägypten noch nie gegeben. Daher könne man dieses Urteil als eine Drohgebärde der vom Militär gestützten Regierung sehen, sagt Meyer.
Nach Angaben des Online-Portals deathpenaltyworldwide wurden in Ägypten zwischen 1981 und 2000 etwa 709 Menschen zum Tode verurteilt, 248 von ihnen wurden hingerichtet. Nach 2000 gibt es keine verlässlichen Zahlen mehr, schreibt das Portal. Allerdings würden Untersuchungen nahelegen, dass 2010 vier von 185 Verurteilten exekutiert wurden.
Nach den Massenverurteilungen in Ägypten regte sich international heftige Kritik. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, nannte die Todesstrafe für 529 Mitglieder der Muslimbruderschaft "alarmierend". Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verurteilte die Todesurteile. Er forderte die zuständigen ägyptischen Instanzen auf, die Urteile aufzuheben und den Angeklagten ein faires Verfahren zu ermöglichen.
Keinen Bestand vor Berufungsgericht
Das Urteil gegen die Muslimbrüder ist noch nicht rechtskräftig, sie können noch in Berufung gehen. Beobachter wie Tarek Fouda, Vorsitzender der Anwaltskammer in Minia, gehen davon aus, dass es unhaltbar ist. Das Urteil sei offensichtlich unrechtmäßig und widerspreche allen Regeln der unabhängigen Justiz, sagte Fouda nach der Verkündung. "Wir sind uns der Verbrechen, die von der Muslimbruderschaft begangen wurden, bewusst. Jedoch müssen wir die Rechtsstaatlichkeit in Ägypten verteidigen und Gerechtigkeit für alle sicherstellen."
Der Aufschrei in den sozialen Netzwerken ist seither groß. Beim Kurznachrichtendienst Twitter schrieb ein User, das Militär und die Übergangsregierung hätten die "Revolution entführt", eine Userin bezeichnete das Urteil als einen "legalen Genozid" und ein anderer warf die Frage auf, wie 529 Menschen gemeinsam einen Polizisten hätten töten können.
Muslimbruder gleich Terrorist
Die Muslimbruderschaft ist seit September 2013 verboten und wurde sogar als Terrororganisation eingestuft. Jeder, der mit ihr in Verbindung steht, kann inhaftiert und verurteilt werden.
Mit diesem Verbot war die Übergangsregierung mit Unterstützung des Militärs weiter gegangen, als Langzeitherrscher Husni Mubarak es je getan hat. Dieser Schritt, so Günter Meyer vom Zentrum für Arabische Studien in Mainz, reihe sich ein in die Maßnahmen, die darauf abzielten, die Muslimbruderschaft politisch auszuschalten.
Die Übergangsregierung macht die Muslimbruderschaft für den sich ausbreitenden Terror in Ägypten verantwortlich. Dabei hatte sich zu fast allen Anschlägen im Land, besonders auf dem Sinai, die Al-Kaida-nahe Gruppe Ansar Beit al-Makdis bekannt. "Es ist damit zu rechnen, dass die Gewalt im Land zunehmen wird, mehr als man das bisher von einzelnen Al-Kaida nahestehenden Terrorgruppen erlebt hat", sagt Günter Meyer.
Einen eindeutigen Beweis, dass zwischen der Terrorgruppe Ansar Bait al-Makdis und den Muslimbrüdern eine Verbindung besteht, lieferte die Regierung bisher nicht. Was als angebliche Maßnahme gegen die zunehmende Gewalt gilt, so Günter Meyer, sei im Endeffekt ein Vorwand, um weiter gegen Muslimbrüder und Salafisten vorzugehen. Die Gelder verschiedener Nichtregierungsorganisationen, die in Verdacht stehen, mit der Muslimbruderschaft zu arbeiten, wurden wenige Monate nach der Absetzung Mursis eingefroren. Die Regierung will damit eine der besonderen Stärken, nämlich das karitative Engagement der Muslimbrüder, unterbinden.
In den Untergrund getrieben
"Was diese Todesurteile den Muslimbrüdern sagen, ist, dass man sich nicht mehr als Muslimbruder zu erkennen geben kann", sagt Ägypten-Experte Günter Meyer. "Viele ihrer militanten Anhänger sind bereits in den Untergrund gegangen." Ihre Zahl werde nach dem Urteil weiter wachsen.
Günter Meyer zufolge sollen im Wüstengebiet Libyens, nahe der ägyptischen Grenze und auch im Sudan fünf Ausbildungslager existieren, in denen militante Muslimbrüder aus Ägypten und Salafisten auf Anschläge vorbereitet werden. Zudem gebe es in der ägyptischen Gesellschaft immer noch einen großen Rückhalt für die Muslimbrüder, so dass dort ein erhebliches Rekrutierungspotential bestünde, so Meyer.
Menschenrechtler sehen neben der Gefahr einer Zunahme der Gewalt noch eine weitere Folge des Massentodesurteils: "Selbst wenn es in der Berufung abgeändert werden wird", sagt Gamal Eid, Direktor des Arabischen Netzwerks für Menschenrechtsinformationen (ANHRI), "wirft dieses Katastrophenurteil einen Schatten auf die ägyptische Justiz".