Trump oder Harris: Was auf Lateinamerika zukommt
28. Oktober 2024Die Länder Lateinamerikas stehen vor komplexen Herausforderungen: Sie müssen die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit eindämmen und die Auswirkungen des Klimawandels begrenzen. Die neue US-Regierung kann dabei großen Einfluss ausüben, denn Lateinamerika unterhält traditionell enge Beziehungen zu den USA, vor allem bei Handel, Migration und Sicherheit. Wie sähe das Szenario aus, wenn der Republikaner Donald Trump die Wahl am 5. November gewinnt? Und wie stellt es sich dar, wenn die Demokratin Kamala Harris siegt?
Handel
Der Liberalismus der republikanischen Regierungen hatte üblicherweise keine negativen Auswirkungen auf den Handel mit lateinamerikanischen Staaten - im Gegensatz zum Protektionismus der Demokraten, erklärt Matías López, Politikwissenschaftler an der chilenischen Universität Diego Portales, gegenüber der DW. "Aber das hat sich geändert, denn Trump ist Protektionist und sagt, dass er unter dem Slogan 'America First' zum Beispiel Zölle auf Importe erheben wird." Darüber hinaus wäre eine Trump-Regierung potenziell instabil und unberechenbar, was "immer schlecht für die Wirtschaft" sei.
2025 wird das Freihandelsabkommen T-MEC zwischen den Vereinigten Staaten, Mexiko und Kanada neu verhandelt. Trump hatte bereits beim Vorgängermodell, dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA, Zugeständnisse erzwungen - sollte er gewinnen, würde er versuchen, sie "noch weiter zu verschärfen", prognostiziert Leandro Morgenfeld, Spezialist für Wirtschaftsgeschichte an der Universität von Buenos Aires, gegenüber DW. Er glaubt, dass Trump auf eine "stärkere Konzentration und Verlagerung der Produktion auf US-amerikanischen Boden drängen wird".
Sollte Kamala Harris US-Präsidentin werden, brächte das für die Freihandelsabkommen aber auch keinen Fortschritt, "da die von Barack Obama geförderten Abkommen am internen Widerstand in den Vereinigten Staaten gescheitert sind", betont Morgenfeld.
Migration
Trump steht in der Migrationspolitik für radikale Maßnahmen: Es gäbe vermutlich "Einreiseverbote für einige Einwanderer, wie in seiner ersten Amtszeit. Er hat sogar eine Reihe von Massenabschiebungen angekündigt", erklärt Renata Segura, Direktorin für Lateinamerika und die Karibik bei der Denkfabrik International Crisis Group, im Interview mit der DW.
Obwohl die Regierung von Joe Biden bereits härtere Maßnahmen ergriffen hat als beispielsweise die von Barack Obama, werde Trump Mexiko und andere Länder in der Region vermutlich "noch viel stärker unter Druck setzen" - ebenso wie Menschen in den USA, die "sich in einem Asylverfahren befinden oder keine Papiere besitzen".
Trump könnte auch die von Biden eingeleiteten Erleichterungen für illegal im Land lebende Menschen verlangsamen. Oder mit der neuen panamaischen Regierung zusammenarbeiten, um die Migration über den Darien einzudämmen, eine Dschungel-Landschaft zwischen Kolumbien und Panama.
Sollte Kamala Harris bei die Wahl siegen, "glaube ich nicht, dass sich die Einwanderungspolitik im Vergleich zur Biden-Regierung wesentlich ändern wird", sagt Renata Segura. Es würde keine drakonischen Maßnahmen gegen Migranten geben und "Harris würde versuchen, die Legalisierung der Dreamers fortzusetzen, etwas, an dem Trump nicht interessiert wäre".
Sicherheit und der Kampf gegen den Drogenhandel
Egal wer gewinnt: "Die mexikanische Regierung von Claudia Sheinbaum wird unter großem Druck stehen, die Korruption hochrangiger Beamter einzudämmen und den Drogenfluss von Mexiko in die Vereinigten Staaten zu kontrollieren", sagt Renata Segura. Es sei jedoch höchst unwahrscheinlich, dass Kamala Harris eine bewaffnete Intervention anordnen wird.
Anders bei Trump. Er werde "sehr wahrscheinlich" versuchen, "Sicherheitskräfte nach Mexiko zu bringen". Das Hauptanliegen der USA sei, die illegale Einfuhr der Droge Fentanyl einzudämmen. Eine Harris-Regierung könnte "eine weichere Politik, eine Legalisierung oder Regulierung des Drogenmarktes verfolgen", glaubt Segura.
Eng verknüpft damit ist das Thema Sicherheit. Da werde vermutlich "die Politik von Harris der von Obama sehr ähnlich sein", und Obama war gegenüber lateinamerikanischen Regierungen "nicht gerade freundlich gesinnt", betont Matías López. Er erinnert beispielsweise an die Abhöraktion des US-Geheimdienstes NSA gegen die ehemalige brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff.
Politische Stabilität und Demokratie
"Es ist ganz klar, dass die Wahl Trumps ein großes Risiko für die demokratische Stabilität darstellt, nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in der Region, weil er sich als autoritäre Führungspersönlichkeit präsentiert und mit autoritären Führern außerhalb der USA verbündet ist", betont Matías López. Man dürfe nicht vergessen, dass "Trump am 6. Januar 2021 einen Putschversuch unternommen hat und dass er mit dem ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro befreundet ist, der nach seiner Abwahl 2023 ebenfalls einen Putschversuch in Brasilien unternahm".
Demokratische Strukturen fördern oder bei diplomatischen Krisen intervenieren? Daran habe Trump "so gut wie kein Interesse", urteilt Renata Segura. Sie prognostiziert, dass es unter Trump zu einem "noch stärkeren Rückzug der USA aus demokratischen Räumen in Lateinamerika" kommen werde. Obwohl Biden versucht habe, diese Räume wieder zu füllen, hätten China und Russland begonnen, diese freien Felder zu besetzen.
Und ein Kamala-Harris-Sieg? Leandro Morgenfeld verweist auf das Beispiel Kuba. "Viele glaubten, Biden würde zu Obamas Politik der Offenheit gegenüber Kuba zurückkehren, aber das tat er nicht. Er hat nur einige der neuen Sanktionen aufgehoben, die Donald Trump gegen Kuba verhängt hatte, aber er hat Obamas Weg nicht fortgesetzt." Das könnte mit Kamala Harris so weitergehen. Biden habe allerdings einige Sanktionen gegen Venezuela aufgehoben, weil die USA angesichts der Konflikte in Europa und im Nahen Osten Öl gebraucht hätten.
Klimapolitik
Was die Eindämmung des Klimawandels oder die Abschwächung seiner Folgen angeht, so sei "Trump ein Leugner des Klimawandels, mit allem, was dies mit sich bringt", so Matías López. "Allerdings ist Kamala Harris auch nicht gegen das umstrittene Hydraulische Fracking oder Fracking zur Gasförderung, zum Beispiel in Pennsylvania", fügt er hinzu. Pennsylvania ist einer der wahlentscheidenden Swing States.
Die Demokraten plädierten außerdem für die Teilnahme an multilateralen Abkommen gegen den Klimawandel - im Gegensatz zu Trump, ergänzt Leandro Morgenfeld. "Harris hat sich dafür ausgesprochen, dass die gesamte Region den Klimawandel bekämpfen und der Amazonas-Regenwald geschützt werden muss", schließt Renata Segura. "Es gibt einen radikalen Unterschied zwischen Harris, die den Klimawandel zu einem zentralen Bestandteil ihrer Kampagne macht, und Trump, der den Klimawandel gänzlich leugnet."