"Demoskopie erreicht bestimmte Wähler nicht"
9. November 2016Deutsche Welle: Hillary Clinton wird gewinnen, hieß es in den letzten Tagen und Wochen immer wieder. Jetzt ist alles anders gekommen, warum brauchen wir überhaupt noch die Demoskopie?
Thorsten Faas: Die Demoskopie hat uns schon in der jüngeren Vergangenheit Veränderungen gezeigt. Aber was offenkundig ein Problem über einen längeren Zeitraum gewesen ist: Die Unterstützung für Donald Trump wurde offenkundig durchweg unterschätzt. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Eines, was wir immer hören ist, dass Wählerinnen und Wähler, die sich am Ende für Trump entschieden haben, das vorher in den Umfragen nicht sagen wollten. Es fällt oft das Stichwort 'soziale Erwünschtheit'. Das glaube ich aber nicht ganz, weil wir ja jetzt gesehen habe, dass über 40 Prozent hinter Donald Trump stehen.
Warum sollte es da ein Tabu sein, sich zu ihm zu bekennen? Insofern glaube ich eher, dass die Demoskopie ein anderes Problem hat: Sie erreicht nämlich bestimme Schichten der Wählerschaft nicht, die einfach misstrauisch gegenüber der Politik sind, vielleicht auch gegenüber den Medien und vielleicht eben auch gegenüber der Demoskopie. Vielleicht nehmen sie deswegen nicht an den Umfragen teil. In der Konsequenz ist offenbar die Unterstützung für Donald Trump unterschätzt worden. Die Demoskopie hat ein Problem, keine Frage. Sie hat uns vor der Wahl in einem falschen Glauben gelassen, aber man kann, glaube ich, zukünftig schon daran arbeiten, dieses Problem noch klarer zu identifizieren und dann hoffentlich auch in den Griff zu kriegen.
Nach allem was wir jetzt wissen, sagen Wähler offenbar bei solchen Befragungen auch nicht immer ihre Meinung. Warum tun sie das?
Dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer lügen, gibt es sicherlich. Manchen mag es peinlich sein gegenüber Bekannten, aber auch gegenüber einem Umfrageinstitut zuzugeben, dass sie eigentlich Trump unterstützen. Die Beteiligungsbereitschaft an solchen Umfragen ist rückläufig. Was wir jetzt in den USA, beim Brexit gesehen und im deutschen Kontext bei der AfD schon einmal gesehen haben, ist, dass Anhänger von Trump oder der AfD seltener bereit sind, an solchen Umfragen teilzunehmen. Sie entziehen sich diesen Prozessen eher, und in der Folge werden die jeweiligen Anteile unterschätzt. Dann wachen wir auf und wundern uns, warum das Ergebnis doch ganz anders ausgefallen ist. Wir schaffen es nicht, diese Menschen für Umfragen zu rekrutieren.
Warum hatten die Demoskopen den 'Mobilisierungsfaktor Trump' nicht auf der Rechnung?
Das ist eine spannende Frage. Ich glaube, da steht die finale Antwort auch noch aus. Bei der Frage der Mobilisierung geht es am Ende vor allem darum: Gelingt es einer Kampagne auch Menschen, die sich nicht so stark für Politik interessieren, davon zu überzeugen, an der Wahl teilzunehmen. Aber genau diese Gruppe von Menschen, die sich nicht so stark für Politik interessieren, die nehmen auch nicht so gerne an politischen Umfragen teil. Sie haben einfach wenig Lust, einem Umfrage-Institut Rede und Antwort zu stehen, wenn es um Politik geht. Denn damit die Umfragen funktionieren, müssen alle Schichten in gleichem Maße an diesen Umfragen teilnehmen.
Trump wurde von vielen als eine Provokation empfunden. Kann man sagen, dass viele Wähler mit ihrer Stimme für Trump provozieren wollten?
Das ist es, was Trump offenkundig gelungen ist. Er hat es geschafft, die weit verbreitete Unzufriedenheit in seine Bahnen zu lenken. In vielen Bundesstaaten - wie Michigan oder Wisconsin - ist die Sorge groß, vielleicht auch ökonomisch abzurutschen. Diese Menschen hat er für sich gewonnen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, das ist eigentlich die Herausforderung eines Wahlkampfes, auch solche Gefühle und Stimmungslagen anzusprechen. Das ist ihm gelungen.
War es also ein Putsch an der Wahlurne?
Putsch ist ein starkes Wort, aber auf jeden Fall ist es eine Überraschung und auch eine Neusortierung von Wählerinnen und Wählern. Trump hat in Schichten gewonnen, wo wir eigentlich klassischerweise Demokraten erwartet hätten. Da ist es ihm sicherlich gelungen, in ganz neue Wählerschichten vorzudringen.
Frankreich wählt bald einen Präsidenten, die Bundestagswahl steht im kommenden Jahr auch an. Was bedeutet das für Sie und ihre Kollegen hier in Europa für die kommenden wichtigen Wahlen?
Man muss im Vorfeld von Umfragen noch offensiver kommunizieren, dass diese Umfragen mit Unsicherheiten verbunden sind und dass Sie keine Garantie dafür sind, was am Wahltag tatsächlich passiert. Wir haben auch in Deutschland schon in ähnlicher Weise gesehen, dass die AfD deutlich unterschätzt wurde. Da haben die Demoskopen und auch wir in der akademischen Wahlforschung sicher noch zu tun, aber ich bin sicher, wir werden uns dieser Herausforderung auch gerne annehmen.
Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mainz.
Das Gespräch führte Volker Wagener.