Tschüss Deutschland!
14. Dezember 2004"Es sind immer die Stärksten, die Mobilsten und die Risikobereitesten, die gehen", bilanziert Klaus Bade, Professor am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) in Osnabrück. 127.000 Fortzüge von Deutschen registrierte das Bundesverwaltungsamt für das Jahr 2003.
Tatsächlich verlassen noch mehr Deutsche ohne offizielle Abmeldung das Land, und "die Tendenz ist steigend", sagt Bade. Zwar kehren jedes Jahr auch Tausende ausgewanderte Deutsche in die Heimat zurück, doch sie können die Lücke der Abwanderer nicht schließen: Jedes Jahr ist es, als ob eine Kleinstadt mit über 20.000 Einwohnern verloren ginge.
Auswanderer mit Expertenstatus
Arbeitsmigranten oder Expatriates - "Ausgebürgerte" - nennt man die Deutschen, die zum Arbeiten ins Ausland abwandern. Das sind meistens hochqualifizierte Akademiker: Der promovierte Physiker forscht in den USA, der Chemiker vom Max-Planck-Institut experimentiert in Kanada. Gerade in Übersee hat eine regelrechte Jagd auf deutsche Spitzenarbeitskräfte eingesetzt.
Aber auch Ingenieure und Baustellenleiter, die in Deutschland als nicht vermittelbar gelten, sind im Ausland gefragte Arbeitskräfte. "Absurd," findet das Klaus Bade. "Wir haben einen Export von Spitzenkräften nach West und einen Import von Traktoristen und Melkern aus dem Osten."
Auswanderung hat Chancen ...
Der Schritt ins Ausland hat viele Vorteile: zum Beispiel mehr Gehalt. Ein Lehrer in Buenos Aires verdient doppelt soviel wie ein Lehrer in Berlin. Auch die Anerkennung für die tägliche Arbeit fällt in der Ferne oft großzügiger aus. Und die Karriereleiter lässt sich schneller erklimmen. Ganz nebenbei lernen die Expats dazu noch eine andere Kultur kennen. "Die Anziehungskraft ist stärker geworden," beobachtet Klaus Bade - und sie hält länger. Denn im Vergleich zu früher bleiben Arbeitsmigranten heute langfristig im Ausland.
... und Risiken
Das Leben und Arbeiten im Ausland hat aber auch seine Tücken. Wer es in Japan versäumt, mitten in der Sitzung einzunicken, erweckt den Eindruck, er arbeite zuwenig. Und die direkte (Verhandlungs-)Art der Deutschen ist nicht überall gefragt. Der Job im Ausland stellt auch die Familie des Versorgers auf die Probe: fremdes Essen, fremde Schule, fremde Wertvorstellungen. Je länger und je weiter weg die Auswanderer gegangen sind, desto härter ist der Kulturschock bei der Rückkehr.
Einwanderungsland ohne FührerscheinIn Deutschland sorgt die wachsende Zahl von Arbeitsmigranten für düstere Mienen und heftige Debatten. Das Schlagwort "brain drain" - wörtlich übersetzt: der Abfluss des Verstandes - beschreibt die Angst vor dem (weiteren) Abzug der Eliten. Klaus Bade vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien sieht aber ein noch viel dringenderes Problem: Nach wie vor gibt es keine genauen, repräsentativen Zahlen.
Die Fortzugsstatistik des Bundesverwaltungsamtes erfasst nicht den Berufstand der Expats. Deshalb weiß niemand in Deutschland genau, wie viele Physiker ins Land geholt werden müssen, um die ins Ausland abgewanderten Physiker zu ersetzen. "Wir sind in Deutschland als Einwanderungsland ohne Führerschein unterwegs", sagt Klaus Bade. Er setzt seine Hoffnung in das Bundesinstitut für Bevölkerungs- und Migrationsforschung. Dieser Zweig des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg soll ab 2005 handfeste Statistiken zur Arbeitsmigration ermitteln.