Tschechien wird Zentrum der EU-Raumfahrtindustrie
1. Juni 2021GSA, die EU-Agentur für das europäische globale Satellitennavigationsprogramm GNSS, die bisher die Projekte Galileo und EGNOS verwaltet, wird zur EUSPA (EU Agency for the Space Programme) - der neuen Agentur für die europäischen Raumfahrtprogramme. Und der Ort, an dem die EU-Weltraumprojekte in Zukunft verwaltet und betrieben werden, wird die tschechische Hauptstadt Prag sein.
Die Gründung von EUSPA wurde im Mai 2021 vom Europäischen Parlament genehmigt. Die Agentur soll in den kommenden Jahren bis zu 700 Mitarbeiter einstellen. Sie werden sich vor allem mit den Navigationssystemen Galileo und EGNOS beschäftigen, zudem mit dem Copernicus-System zur Erdoberflächenbeobachtung, dem kodierten Kommunikationssatellitensystem GOVSATCOM und den EU-Systemen zur Überwachung der Umlaufbahn und der unmittelbaren Umgebung der Erde.
"Es ist gerechtfertigt, das, was jetzt in Prag entsteht, als EU-Äquivalent zur NASA zu bezeichnen", sagt Karel Dobeš, seit 2006 Beauftragter der tschechischen Regierung für GSA, im Gespräch mit der DW. "EUSPA wird eng mit der Europäischen Weltraumagentur ESA in Paris zusammenarbeiten," so Dobeš weiter. "Dabei wird die ESA weiter technische Lösungen finden und auch bauen. Aber zudem braucht man ja auch noch jemanden, der in der Lage ist, diese Programme zu betreiben."
Nach drei Jahren Diskussionen und einem harten diplomatischen Kampf sei es gelungen, die Europäische Kommission davon zu überzeugen, keine neue EU-Agentur zu gründen, sondern alle EU-Raumfahrtprogramme unter einem Dach zusammenzufassen, erklärt Dobeš. "Die neu geschaffene EUSPA in Prag wird die Verantwortung für die Durchführung aller EU-Raumfahrtprogramme haben", so der Beauftragte der tschechischen Regierung.
Der dritte Mensch im All
Das sieht Rodrigo da Costa, der Direktor der neuen EU-Weltraumagentur, ähnlich: "Die EUSPA wird eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der EU-Raumfahrtprogramme und der Verwirklichung der Raumfahrtambitionen der EU spielen." Schon die geplante Anzahl der Mitarbeiter für die neue Agentur zeige, wie groß die anstehende Veränderung sei, so der Portugiese weiter. Daher werde mittlerweile in der gesamten EU nach Personal für Prag gesucht. "Wir setzen darauf, dass unsere Stadt Zentrum der EU-Raumfahrtindustrie wird", betont auch der tschechische Regierungsbeauftragte Dobeš.
Tschechien bringt gute Voraussetzungen mit für die Position als neue Zentrale der EU-Weltraumfahrt: Nach den USA und der Sowjetunion war die Tschechoslowakei, zu der die Tschechische Republik von 1918 bis 1992 gehörte, das dritte Land der Welt, das einen Menschen im Weltall hatte, nämlich den Militärpiloten Vladimír Remek im Jahr 1978. Remek, der von 2004 bis 2013 Mitglied des Europäischen Parlaments war, hat sich persönlich für der Ansiedlung der EU-Agentur GSA in Prag eingesetzt.
Satelliten aus Tradition
Ebenfalls 1978 produzierte die Tschechoslowakei ihren Satelliten Magion 1 und brachte ihn in die Umlaufbahn. 2019 wurde der bislang letzte tschechische Satellit, Lucky-7, in die Umlaufbahn gebracht. Angesichts dessen macht es Sinn, dass der tschechische Staat seit dem EU-Beitritt des Landes 2004 seine Beiträge zur ESA stetig erhöht hat; im Jahre 2021 werden sie 50 Millionen Euro pro Jahr erreichen.
Auch tschechische Unternehmen beteiligen sich zunehmend an der europäischen Raumfahrtindustrie, in der mittlerweile EU-weit eine Viertelmillion Menschen beschäftigt sind. In dem EU-Land gibt es mittlerweile mehr als 60 Unternehmen, die sich mit Produkten für die Raumfahrt beschäftigen. Im westböhmischen Klatovy etwa fertigt die Firma ATC Space wichtige Komponenten für die europäische Rakete "Ariane".
Europas Weltraum-Silicon-Valley
"Der EUSPA-Standort Prag wäre nicht möglich gewesen ohne die Erfolge tschechischer Firmen und tschechischer Universitäten in der Raumfahrtindustrie", sagt der DW Tschechiens stellvertretender Verkehrsminister Jan Sechter, zu dessen Aufgaben die Raumfahrt-Agenda des EU-Landes gehört. "Erst diese Erfolge haben das Interesse der Europäischen Union an der Tschechischen Republik in diesem Bereich geweckt."
Sechter meint, dass in seinem Land ein "europäisches Weltraum-Silicon-Valley" entstehen wird: "Immerhin geht es darum, die Ergebnisse der EU-Weltraumforschung in die Praxis umzusetzen, zum Beispiel bei der Navigation, der Erdbeobachtung, der Nutzung von Daten in der Landwirtschaft oder bei der Bekämpfung von Borkenkäfern in Wäldern." Dabei sollte der tschechische Staat nach Kräften mithelfen, so der Vize-Verkehrsminister. So sei es zum Beispiel an der Zeit, ein tschechisches Pendant zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zu schaffen.
Es fehlt an Unterstützung für Arbeitsmigranten
Bereits jetzt beginnt sich EUSPA für die Tschechische Republik zu lohnen. Ende Mai haben die EU-Verkehrsminister die Standorte der neuen Supercomputer festgelegt, die sich unter anderem an der Verarbeitung von Daten aus dem EU-Raumfahrtprogramm beteiligen sollen. Einer davon wird an der Technischen Universität in Ostrava angesiedelt sein.
Trotzdem zeigt zumindest die Stadt Prag bisher eine etwas stiefmütterliche Haltung gegenüber der EUSPA. Die neue Agentur wird ein neues Gebäude für ihre Mitarbeiter benötigen - und englischsprachige Schulen für deren Kinder sowie Hilfe bei der Wohnungssuche. "Wir als Prager haben damit nichts zu tun, das ist eine Angelegenheit des tschechischen Staates", sagt dazu Vít Hofman, ein Sprecher der Prager Stadtverwaltung, der DW.
Laut Karel Dobeš, dem tschechischen Beauftragten für Raumfahrt, ist Prag für Arbeitssuchende aus anderen EU-Ländern in vielerlei Hinsicht interessant, etwa aufgrund der in der Stadt herrschenden Sicherheit, der lebendigen Kulturszene und der hohen Lebensqualität. Gleichzeitig aber tue der tschechische Staat bisher zu wenig für hoch qualifizierte Arbeitsmigranten, die in der Hauptstadt leben und arbeiten wollen. "Es gibt immer noch keine tschechische Institution, die Ausländern den Start hier bei uns erleichtert", kritisiert Dobeš.