Tsingtao und das deutsche Bier
19. August 2013Mit gierigen Blicken beugten sich deutsche Generäle und Admiräle, Geografen und Wirtschaftsvertreter Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder über Landkarten Chinas. Die Deutschen gelüstete es nach einem eigenen Hafen im Reich der Mitte, das sie wirtschaftlich "durchdringen" wollten - ein etwas vornehmerer Ausdruck für "ausplündern". Dabei blieb ihr Blick immer wieder an einer Stelle der Karte hängen: der Küstenregion Kiautschou in der chinesischen Shandong-Provinz am Gelben Meer. Auch Kaiser Wilhelm II. teilte diese kolonialen Begehrlichkeiten - zumal 1897 ein folgenschwerer Vorfall die deutsch-chinesischen Beziehungen belastete. In China wurden zwei deutsche Missionare ermordet. Die Deutschen schickten als Antwort Kriegsschiffe.
"Die eiserne Faust des Deutschen Reichs"
Dabei kümmerte den Kaiser weniger das Schicksal der beiden toten Missionare, sondern eher die günstige Gelegenheit, die Chinesen zu erpressen. "Also endlich haben uns die Chinesen den schon … so lang ersehnten Grund und 'Zwischenfall' geboten", schrieb Wilhelm II. an Außenminister Bernhard von Bülow. Und der deutsche Kaiser wurde wieder einmal seinem Ruf als Aufschneider gerecht: "Hunderttausende von Chinesen werden erzittern, wenn sie die eiserne Faust des Deutschen Reichs schwer in ihrem Nacken fühlen werden."
Am 14. November 1897 setzten zwei deutsche Kriegsschiffe etwa 700 Matrosen bei der kleinen Ortschaft Tsingtao in Kiautschou ab. Die wenigen chinesischen Soldaten ergriffen angesichts der deutschen Übermacht die Flucht. Wenige Monate später nötigten deutsche Diplomaten dem chinesischen Kaiser einen Vertrag auf. Für 99 Jahre verpachtete das chinesische Kaiserreich den Deutschen ein über 500 Quadratkilometer großes Gebiet. Und noch mehr: Bergbau- und Eisenbahnkonzessionen erhielten die Deutschen als Dreingabe ebenso wie Zollnachlässe in der ganzen Provinz Shandong. Über 30 Millionen Menschen lebten somit auf einmal in einer Art deutscher Wirtschaftszone.
Eine deutsche "Musterkolonie"
Kiautschou mit seiner zentralen Ortschaft Tsingtao gedachten die Deutschen zu einer wahren "Musterkolonie" auszubauen. Rund 200 Millionen Mark ließen sie sich dieses Vorhaben kosten. Man begann mit dem Bau von Straßen und Häusern, errichtete Kasernen sowie einen leistungsfähigen Hafen und pflanzte zur Begrünung unzählige Bäume. Auch Schulen, Hotels und später eine Hochschule vergaß man nicht. Auf dieser durften auch Chinesen studieren - eine im deutschen Kolonialreich einmalige Einrichtung.
Und da die neuen Herren des Landes Deutsche waren, durfte auch eine Brauerei nicht fehlen. Unter dem treffenden Namen "Germania" nahm sie 1903 ihren Betrieb auf. Gebraut wurde selbstverständlich nach dem deutschen Reinheitsgebot. In München gewann das Bier 1906 sogar einen Preis auf einer Brauereiausstellung.
Europäer und Chinesen wohnten allerdings in strikt getrennten Vierteln. Mondäne Villen, die wie aus Deutschland dorthin verpflanzt schienen, waren unter den deutschen Kolonialherren besonders begehrt. Doch mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges kam der Aufbau der "Musterkolonie" 1914 zu einem abrupten Ende. Der Kriegsgegner Japan belagerte Kiautschou und nahm die Kolonie ein, nachdem die deutschen Verteidiger ihre gesamte Munition verschossen hatten.
Das Bier schmeckt noch
Obwohl die Chinesen die deutschen Kolonialherren ablehnten, erfreute sich eines ihrer Mitbringsel bald größter Beliebtheit: das Bier. Denn die siegreichen Japaner brauten in der Germania-Brauerei weiter Bier - unter dem Namen Tsingtao. Auch als die Chinesen einige Jahre später die Stadt zurückerhielten, produzierten sie weiter Bier. Doch China ging blutigen Jahren entgegen. 1937 erklärte Japan dem Reich der Mitte den Krieg. Als dieser Konflikt 1945 endete, flammte der Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten und Antikommunisten wieder auf, der 1949 mit dem Sieg des Kommunistenführers Mao Zedong endete. Beide Kriege hatten Millionen das Leben gekostet.
Das ursprünglich deutsche Bier aus Tsingtao war aber nach wie vor ein Verkaufsschlager - und ist es bis heute. Tsingtao ist in der Volksrepublik China mittlerweile die größte Brauerei, ihre Produkte sind auf jedem Kontinent erhältlich. Aber auch die alten Gebäude, in denen einst deutsche Kolonialbeamte in Tsingtao, dem heutigen Qingdao, wohnten und arbeiteten, erfreuen sich in China heute großer Beliebtheit - es werden sogar Häuser in "deutschem" Stil nachgebaut. Das Interesse an der Kolonialgeschichte in China ist groß, zumal Deutschland ein wichtiger Handelspartner ist. Die vielen Touristen aber, die ihren Durst mit einem Tsingtao-Bier stillen wollen, müssen sich vorsehen. In China verkaufen Straßenhändler das Bier in Beuteln - da will trinken gelernt sein.