Freihandel auf Kosten der Umwelt?
2. Mai 2016"Was bislang aus diesen Geheimverhandlungen an die Öffentlichkeit drang, klang wie ein Albtraum. Jetzt wissen wir, daraus könnte sehr bald Realität werden", warnte Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. Greenpeace Niederlande hat bisher geheime TTIP-Dokumente auf einer Internetseite veröffentlicht. Auf der Internetkonferenz re:publica in Berlin präsentiert die Umweltschutzorganisation zudem eine Analyse der Dokumente.
In den Unterlagen seien Schlagworte wie Chlorhühnchen oder Gentechnik nicht zu finden, dafür aber "haufenweise Vorschläge" der USA, wie europäische Schutzmaßnahmen aufgelöst werden sollen, kritisierte Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch in Berlin.
Es ist nicht das erste Mal, dass Umweltschützer starke Bedenken gegen das geplante Freihandelsabkommen äußern: "Wir befürchten, dass durch das Abkommen Standards im Bereich Umweltschutz gesenkt werden können und Methoden entstehen, die in Zukunft diese Art von Standardsetzung erschweren", sagt Karl Bär vom Münchener Umweltinstitut.
Wirtschaftsvertreter hingegen erhoffen sich durch den Vertrag mehr Wachstum und Beschäftigung. TTIP sei "ein wichtiges Element, um unseren Wohlstand zu sichern und das weltwirtschaftliche Gewicht von Europa zu wahren", sagte Felix Neugart vor einiger Zeit der DW. Neugart arbeitete bis Januar 2016 beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und leitet jetzt die Auslandshandelskammer in Dubai.
Die Konditionen für dieses geplante "Konjunkturprogramm" mit dem sperrigen Namen Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) verhandeln die Europäische Union und die USA seit 2013 - hinter verschlossenen Türen. Die Dokumente, die die US-Verhandlungspartner erstellt haben, sind streng geheim.
Abfall oder Futtermittel?
Das erklärte Ziel des Abkommen sei es, durch die sogenannte "Regulatorische Kooperation", die Standards in der EU und den USA so weit wie möglich zu vereinfachen, schreibt das deutsche Umweltbundesamt in einem Positionspapier. Das könne für den Umweltschutz in der EU aber auch erhebliche Risiken bergen: "Umweltstandards könnten sinken und die Umwelteigenschaften von Produkten gefährdet werden", heißt es in der Publikation.
Denn oftmals sind die Umweltstandards der EU strenger als die der USA - vor allem in der Chemie. Zum Beispiel sind zahlreiche Pflanzenschutzmittel, die in den USA verwendet werden, in der EU verboten, weil sie krebserregende Stoffe beinhalten. Und viele Grenzwerte sind in Europa geringer als die Grenzwerte in den USA: Im Jahr 2012 wurden etwa große Mengen Futtermais - die mit dem Schimmelpilzgift Aflatoxin B1 verunreinigt waren, und in der EU als Abfall hätten entsorgt werden müssen - als Futtermittel über den Atlantik verschifft.
EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström verteidigt das Freihandelsabkommen. Es werde kein Produkt auf den europäischen Markt kommen, das den EU-Standards nicht entspreche, sagte sie im letzten Jahr.
Umweltbundesamt fordert Positivliste
Allerdings soll es bei TTIP nicht nur um die mögliche Angleichung oder gegenseitige Anerkennung bestehender Standards gehen, sondern vor allem um die Abstimmung bei zukünftigen Regulierungen. Die Sorge vieler Umweltschützer dabei ist, dass die EU sich dann dem Druck der USA beugen könnte, laschere Standards zu akzeptieren. "Es wird immer eine Frage des politischen Willens sein, ob wir in Zukunft auf amerikanische Einwände gegenüber europäischen Regulierungsvorhaben Rücksicht nehmen wollen oder nicht", sagt Neugart. "Wenn man in Europa höhere Umweltstandards haben will als in Amerika, dann ist das natürlich im normalen Gesetzgebungsprozess weiter möglich."
Das Umweltbundesamt schlägt in diesem Zusammenhang vor, "systematisch zu prüfen, auf welchen Feldern unter welchen Bedingungen die Regulatorische Kooperation zu positiven Umweltwirkungen auf beiden Seiten führen könnte." Die so identifizierten Bereiche könnten dann in Form einer Positivliste in TTIP verankert werden, heißt es in dem Positionspapier.
Streitfrage Investitionsschutz
Ein weiterer Kritikpunkt ist der geplante Investitionsschutz, der den Umweltschützern im Wege stehen könnte, so Bär: Unternehmen könnten auf dieser Grundlage Staaten auf Schadensersatz verklagen, wenn diese zum Beispiel Umweltauflagen verschärfen wollen. Unter anderen Abkommen ist das bereits Realität, zum Beispiel beim Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA: Ein Schiedsgericht verurteilte in den 1990er Jahren den mexikanischen Staat auf 15,6 Millionen US-Dollar Schadensersatz, weil er einer US-amerikanischen Firma die Betriebserlaubnis für eine Sondermülldeponie verweigerte.
Die vor allem von Großkonzernen verlangten Investor-Staats-Schiedsverfahren (ISDS) gelten als einer der Hauptgründe für den großen Widerstand gegen TTIP in Europa. Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und sein französischer Kollege Matthias Fekl hatten Anfang des Jahres vorgeschlagen, Investorenstreitigkeiten stattdessen durch einen neu eingerichteten Handelsgerichtshof schlichten zu lassen. Dieser Handelsgerichtshof soll sich von privaten Schiedsgerichten dadurch unterscheiden, dass Transparenzregeln gelten und Revision möglich sein würde. Karl Bär geht das nicht weit genug: "Es geht um die grundsätzliche Frage: 'Bekommen internationale Investoren besonderer Rechte, sich gegen Regulierung zu wehren?'"