Lange: "TTIP geht wohl nicht"
2. Mai 2016Deutsche Welle: Herr Lange, waren Sie überrascht, als Sie an diesem Montagmorgen die Zeitungen aufgeschlagen haben und über die vermeintlich geheimen TTIP-Papiere gelesen haben?
Bernd Lange: Die Veröffentlichung war überraschend, aber der Inhalt natürlich nicht, weil ich ihn kenne und mir die Papiere gerade in der vergangenen Woche noch einmal angeguckt habe.
In dem Dokument sind Positionen und ihre Wechselwirkungen aufgelistet, also zum Verbraucherschutz auf der einen Seite und Import von Autoteilen auf der anderen Seite? Ist das ein normales Vorgehen bei Verhandlungen?
Zum einen muss man sehen, dass sich die USA eigentlich überhaupt nicht bewegt haben. Auf der anderen Seite ist das eine Aneinanderreihung von eckigen Klammern, die signalisieren, dass es in vielen Punkten noch keine Vereinbarungen gibt. Natürlich gibt es bei Verhandlungen auch Geschäfte auf Gegenseitigkeit, dass zum Beispiel die Frage der Zölle in Zusammenhang gebracht wird mit Marktzugang im Agrarbereich. Aber trotzdem gibt es klare europäische Positionen. Und das ist das Betrübliche, dass sich da noch nichts bewegt.
Es wird ja nun seit drei Jahren verhandelt. Man ist also gar nicht weitergekommen, sehe ich das richtig?
Ganz genau. Wir haben eine klare europäische Position. Das Europäische Parlament hat sich positioniert. Die europäischen Texte sind ja auch alle zugänglich und nun kann man sehen, die Amerikaner bewegen sich so gut wie gar nicht. Deswegen muss man irgendwann jetzt einmal fragen: Lohnt sich das noch? Wenn das so ist, dass die Amerikaner sich nicht bewegen, dann muss man wohl auch den Mut haben zu sagen, das geht wohl nicht.
Die beiden Verhandlungsführer der USA und der EU haben noch vergangenen Freitag bei einer Pressekonferenz gesagt, es gäbe sehr wohl Bewegung und man sei zuversichtlich bis Ende des Jahres zu einem konsolidierten Text zu kommen. Ist das zu optimistisch?
Wie Goethe sagt: "Schluss der frommen Worte, ich will Taten sehen." Wir haben drei Jahre zusammengesessen. Und immer weiter konsolidierte Texte zu spinnen, das hilft ja nichts. Wir müssen jetzt endlich mal sagen, wo können wir uns einigen und wo eben nicht.
Nun ist ja gerade der Import von amerikanischem Hormon-Fleisch nach Europa ja nur schwer vorstellbar. Können Sie für das Europäische Parlament sagen, solchen Forderungen werden wir niemals zustimmen?
Na klar, das haben wir im Juli 2015 beschlossen. Es wird mit dem Parlament kein Hormonfleisch und kein gentechnisch verändertes Fleisch geben. Und auch kein geklontes Fleisch. Diesen Marktzugang wird es nicht geben.
Ein besonderes Problem sind wohl auch die Schiedsgerichte. Die USA bestehen auf privatrechtlich organisierten Gerichten, die Europäer sind eher für öffentlich bestellte Richter. Sehen Sie da eine Chance auf einen Kompromiss?
Nein, das habe ich dem Handelsbeauftragten der USA auch vergangene Woche bei der Hannover Messe noch gesagt. Es gibt nur zwei Optionen. Entweder gibt es kein zusätzliches Instrument für Investitionsschutz, weil das zwischen Europa und den USA gar nicht nötig ist. Oder es gibt ein öffentliches Gerichtssystem. Das alte privatrechtliche System gehört auf den Müllhaufen der Geschichte und nicht in ein modernes Handelsabkommen.
Weiterer Knackpunkt ist ja der Zugang europäischer Firmen zu öffentlichen Aufträgen und Ausschreibungen in den USA. Da sind die Amerikaner sehr zurückhaltend. Sehen Sie da Möglichkeiten der Annäherung?
Nein, das ist auch ein großer Kritikpunkt. Das Angebot der Vereinigten Staaten für europäische Dienstleistungen umfasst etwa 0,0001 Prozent des öffentlichen Beschaffungsmarktes. Das ist überhaupt nicht akzeptabel. Wenn das nicht fundamental anders wird und ein Gleichgewicht beim Marktzugang erzielt wird, dann kann man kein Abkommen abschließen.
Meinen Sie, dass die Veröffentlichung von eigentlich geheimen Papieren in der jetzigen Lage hilfreich ist? Erhöht das auch den Druck auf die Amerikaner oder könnte die Reaktion sein, wir machen das dann gar nicht, wenn ihr unsere Papiere verratet?
Es kann sein, dass sie versuchen werden, daraus jetzt eine Art Ausstiegsszenario zu machen. Wir haben ja das Problem, dass wir unsere Positionen immer alle veröffentlicht haben und die Amerikaner das eben nicht gemacht haben. Aber muss eben auch inhaltlich sagen, das scheint kein Konsens zu finden zu sein. Dann muss man auch den Mut haben und es erst einmal auf Eis legen.
Muss man am Ende nicht auch die Frage stellen: Kann man nicht auch ohne TTIP leben?
Das habe ich ja immer gesagt. Eine Welt ohne TTIP ist möglich. Wir haben ja versucht, Standards zu setzen. Da gibt es kein Nachgeben und auch keinen zeitlichen Druck. Da gilt die Regel aus dem Straßenverkehr: Sicherheit vor Schnelligkeit. Und wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht.
Nun sagen ja Maschinenbauer, Anlagenbauer und auch die Autoindustrie in Europa, wir brauchen TTIP um einfacheren Zugang zu haben, um doppelte Zulassungen und Bürokratie loszuwerden. Ist das noch ein Argument oder geht das auch ohne?
Ja, die Großen können das ja machen, also für Volkswagen oder BMW ist das kein Problem. Aber für die kleine Maschinenfabrik in Hameln ist das ein Problem. Das ist für mich auch das Zentrale: Erleichterungen für kleine und mittlere Betriebe und auch faire Arbeitnehmerregeln auszuhandeln. Aber auch in diesem Bereich sind wir nicht weitergekommen, weil es eine Blockade der Vereinigten Staaten gibt.
Bernd Lange (60) ist sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter und als Berichterstatter federführend für die Handelsgespräche mit den USA. Er hat als einer der wenigen Abgeordneten Zugang zu allen relevanten Dokumenten aus den TTIP-Verhandlungen. Das Europäische Parlament müsste einem TTIP-Abkommen zustimmen.
Das Gespräch führte Bernd Riegert.